Kriminologe: Höhere Strafen für Sexualdelikte nicht notwendig

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Christian Grafl ist Experte in der Task Force Strafrecht der Regierung. Er sagt, dass höhere Strafen nicht abschreckend wirken.

„Zahlen lügen nicht“, sagt Christian Grafl. Der Kriminologe hat für die Task Force Strafrecht, die Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP) ins Leben gerufen hat, ausgewertet, wie der vorhandene Strafrahmen von Richtern genutzt werden – zuletzt war der Ruf der Politik nach einer Anhebung der Strafen bei Vergewaltigungen und Körperverletzungsdelikten laut geworden. Grafl kommt zu einem anderen Schluss: „“Es kann keine Rede davon sein, dass wir dringend wieder eine Straferhöhung brauchen.“


Schon in den vergangenen zehn Jahren haben die Richter deutlich härter gestraft. Bei Sexualdelikten etwa werden  80 Prozent der Ersttäter zu Freiheitsstrafen verurteilt. Bei Gewaltdelikten hat sich die Strafrechtsreform aus dem Jahr 2016 massiv ausgewirkt  – damals wurde unter anderem der Strafrahmen für Körperverletzung von drei auf fünf Jahre erhöht. „Man sollte sich Zeit lassen, bevor man so grundlegende Veränderungen macht“,  sagt der Kriminologe.


Luft nach oben Härtere Strafrahmen – also eine Anhebung der Höchststrafe sieht der Wissenschaftler als nicht notwendig an. Denn die Richter würden zwar auf die Reform reagieren , es gebe aber noch sehr viel Luft nach oben. „Die Strafrahmen reichen in der Praxis sehr gut aus.“

Ost-West-Gefälle


Was sich nicht verändert hat ist das Ost-West-Gefälle bei den Verurteilungen. “Das wird sogar stärker“, bestätigt Grafl. Im Sprengel des Oberlandesgerichts Wien wird am häufigsten mit Freiheitsstrafen reagiert.  Völlig anders ist die Situation im Bereich des OLG Innsbruck – da werden vor allem Geldstrafen ausgesprochen.


Massiv gestiegen sind die Einweisungen in den Maßnahmenvollzug. Aktuell betrifft das 1050 Personen – vor fünf Jahren waren es noch 800.  Der dringendste Grund geht auf das Jahr 2015 zurück –  damals ging der Fall Brunnenmarkt durch die Medien. „Das hat das Thema in die Öffentlichkeit gebracht. Und ich gehe davon aus, dass Gutachter seither noch vorsichtiger geworden sind“, meint Grafl.


Das bestätigt die psychiatrische Sachverständige Gabriele Wörgötter: „Zukunftsprognosen werden zurückhaltender formuliert.  Fälle wie der Brunnenmarkt oder die zerstückelte Leiche im Neusiedler See hinterlassen auch Spuren bei den Sachverständigen.“ Auch, weil Gutachter schnell an den Pranger gestellt würden.

 

 

Der Maßnahmenvollzug als Einbahnstraße

Die Zahl der „geistig abnormen Rechtsbrecher“ steigt stetig. Allein im Jahr nach dem Fall Brunnenmarkt gab es einen Anstieg um 20 Prozent.  Doch mit wirklich schweren Straftaten haben jene Personen, die aktuell im Maßnahmenvollzug untergebracht sind, nur selten zu tun.  Die Einrichtungen sind übervoll, gleichzeitig haben sich  die Herausforderungen für die Betreuung deutlich geändert. Entlassungen sind teilweise unmöglich geworden.


In der Justizanstalt Göllersdorf haben mehr als 50 Prozent der Betroffenen Deutsch nicht als Muttersprache.  Das macht eine Therapie schwierig bis unmöglich. „Dazu kommt, dass viele  einen unklaren Aufenthaltsstatus oder ein Aufenthaltsverbot haben“, sagt  Alexander Dvorak im Rahmen eines Seminars der Fachgruppe Strafrecht der Richtervereinigung.  Die Folge: Ausgänge können aufgrund der erhöhten Fluchtgefahr kaum erlaubt werden, Nachbetreuungen in externen Einrichtungen  sind speziell bei Menschen mit Aufenthaltsverbot nicht möglich – sie müssten sofort das Land verlassen. Um weitere Betreuung zu garantieren, bleiben sie deshalb in der Anstalt. Abgesehen davon gibt es keine einzige Nachbetreuungsmöglichkeit in ganz Niederösterreich, wie Robert Stetter vom Landesklinikum Amstetten-Mauer berichtet.

Martin Kitzberger vom Forensischen Zentrum Asten beobachtet außerdem eine Zunahme an jungen Betroffenen  mit dissozialen Zügen und einer massiven Suchtproblematik.  „Die müssten  ganz anders therapiert werden, sie passen gar nicht in diese Einrichtungen.“


„Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. So kann es nicht mehr weitergehen“, wird Florian Engel  vom Justizministerium deutlich. Man habe eine relevante, gesellschaftliche Aufgabe – gleichzeitig fehlt das Geld. Oder  wie  Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien meint: „Die Justiz wird mit dieser Aufgabe allein gelassen.“

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