Klimawandel: "Auch Österreicher werden überlegen, wohin sie gehen"
Man kennt Kilian Kleinschmidt in Österreich eigentlich in einem anderen Zusammenhang als mit dem Klimawandel. Kleinschmidt ist ein unternehmerischer Entwicklungs- und Flüchtlingshelfer, der unter anderem für die UNO das Flüchtlingslager Zataari in Jordanien leitete - eines der größten der Welt mit bis zu 100.000 Menschen darin. Mit deutlich kleineren Menschenmengen - aber eben für Österreich doch ungewohnt großen - hatte er dann ab 2015 zu tun, als er die österreichische Regierung beim Erstaufnahmezentrum Traiskirchen zu beraten begann.
Nun hat Kleinschmidt, ein gebürtiger Deutscher der einen Wohnsitz in Wien hat, ein weiteres Projekt in Österreich gefunden, das er unterstützt: Das Klimavolksbegehren, für das man noch im April Unterstützungserklärungen unterschreiben können soll. Gerade vor wenigen Tagen erst hat die Initiatorin und Grünen-Politikerin Helga Krismer planmäßig die Leitung abgegeben, um eine überparteiliche Bewegung zu ermöglichen. Hauptverantwortlich ist nun die österreichische "Fridays for Future"-Aktivistin Katharina Rogenhofer, deren Bewegung am heutigen Freitagabend beim nächsten globalen Klimaprotest teilnimmt.
Der wortgewaltige, 56-jährige Kleinschmidt ist beim Volksbegehren Botschafter für einen Teilbereich. Er heißt "Vertrieben werden" und dreht sich um das, was Kleinschmidt kennt, weil er es bei seiner Arbeit in den Kriegs- und Katastrophengebieten der Welt - zwischen Uganda und Pakistan, Somalia und Jordanien - auch selbst gesehen und miterlebt hat. Es ist das, was mittlerweile auch Studien bestätigen: Der Klimawandel ist bereits heute eine treibende Kraft hinter Konflikten und Vertreibung in aller Welt. Und das Problem wird sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten verschärfen. Und es wird auch in Österreich Menschen aus ihrer gewohnten Umgebung vertreiben, sagt Kleinschmidt im Interview mit dem KURIER.
KURIER: Herr Kleinschmidt, wie kommt jemand wie Sie dazu, ein österreichisches Klimavolksbegehren zu unterstützen?
Kilian Kleinschmidt: Ich bin Europäer und lebe auf der Welt. Aber ich bin mit Österreich sehr verbunden, habe hier auch einen Wohnsitz und es ist gut, dass etwas gemacht wird. Man tut hier immer so, als wäre man was anderes. Man hat die schöne Natur und glaubt, man sei in seiner Bergfestung gar nicht betroffen von dem, was um uns herum vorgeht. Aus dieser Selbstgefälligkeit müssen wir alle rauskommen.
Die Österreicher halten sich für sehr klimafreundlich. Wie macht man so einem Land seinen Handlungsbedarf klar?
In den letzten Wochen gab es dramatische Berichte aus allen Ecken. Es geht nicht mehr mit Business as usual, es ist Alarmstufe Rot. Hier und in allen anderen europäischen Ländern ist immer noch nicht erkannt worden, dass das Thema Nummer 1 ist, wie wir gemeinsam überleben. Man muss einen Notfallplan ausmachen und umsetzen - nicht nur davon reden.
Ihr Thema beim Klimavolksbegehren ist "Vertrieben werden". Als Österreicher denkt man dabei immer an die anderen. Zurecht?
In diesem Winter und letzten Sommer haben wir erlebt, dass es sowohl zu trocken als auch zu nass war. Das beeinflusst die Form unseres Wohnens. Man ist ja heute verrückt, wenn man sein Haus neben einen Fluss baut, weil es wahrscheinlich mal überschwemmt wird. Anderswo gibt es Erdrutsche. Die Siedlungsstruktur wird sich ändern und auch hier werden viele Menschen überlegen, wohin sie gehen.
Ich habe 2010 die Flutkatastrophe in Pakistan miterlebt. Starke Monsunregen haben 20 Millionen Menschen beeinträchtigt und zehn Millionen vertrieben. Wie sowas aussieht, kann sich kein Mensch vorstellen. In Bangladesch müssen 30 Millionen Menschen aus den Küstenregionen abwandern und in bereits zu dicht besiedelte Gebiete gehen. Aber auch in den USA werden Küstenregionen unbewohnbar und viele Leute müssen umsiedeln. Norddeutschland und Holland könnten absaufen. Großbritannien bereitet sich auf immer mehr direkte Klimakatastrophen vor. Ich habe in den letzten drei Jahren an einem Projekt gearbeitet zu Notfall-Vorbereitungen (“Emergency Preparedness”) in Europa. Da ging es darum, wie wir mit unseren eigenen Flüchtlingskrisen umgehen können. Das Thema kommt immer näher an uns Wohlstands-Länder heran und wird große Verschiebungen auslösen.
Worum wird es bei ihrem Bereich im Volksbegehren gehen?
Es wird um unsere globale Verantwortung und Solidarität gehen. Was bedeutet die Klimakrise für unseren Beziehungen zu anderen Ländern? Für die Handelsbeziehungen, eine Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen und so weiter. Laut einer Schätzung wird es bis 2050 etwa 150 Millionen direkt Vertriebene durch klimatische Veränderungen geben. Wir können nicht so tun, als ob diese Migration keine Flucht ist.
Und es geht auch darum wie wir selbst leben. Unser Lebensstil ist für den Klimawandel verantwortlich. Es braucht echte Investition. Diejenigen, die einen wirklichen Lebenswandel durchführen, brauchen mehr Unterstützung. Und Leute wie ich, die zu viel rumfliegen oder rumfahren, sollten stärker sanktioniert werden. Das sind unpopuläre Maßnahmen. Man sieht ja, dass sich die “Gelbwesten”-Proteste in Frankreich an Steuern auf Sprit entzündet haben. Das muss ich mit noch mutigeren Maßnahmen in Bezug auf kollektiven Verkehr betreiben. Es reicht nicht, irgendwo hundert E-Roller rumfahren zu lassen und dass das Öffi-Ticket in Wien nur 365 Euro kostet.
Der Klimawandel droht alle Fortschritte, die man zum Beispiel in der Armutsbekämpfung gemacht hat, wieder auszuradieren.
Naja, welche Fortschritte? Auch heute sind 800 Millionen Menschen hungrig, 1,5 Milliarden Menschen ohne Energie und Menschenrechte werden für die wenigsten Menschen vollkommen realisiert.
Das zu ändern wird durch den Klimawandel auch nicht leichter.
Manche Politiker glauben, dass man mit drei Ziegen und einem Brunnen einen afrikanischen Bauern in seinem Dorf halten kann. Das ist kolonialistische Arroganz. Auch unsere Vorfahren sind im 17. oder 18. Jahrhundert ausgewandert und von den Dörfern weg. Verstädterung ist das große Thema des 21. Jahrhunderts und hängt sehr eng mit Umwelt zusammen. Derzeit leben 50 Prozent der Menschen in Städten. Bis 2050 werden es 75 Prozent und wir insgesamt über zwei Milliarden Menschen mehr sein. Wir regen uns auf, wenn in einem Jahr 100.000 Menschen übers Mittelmeer geschwommen kommen. Am afrikanischen Kontinent ziehen jeden Tag 50.000 Menschen in Städte. Allein Lagos in Nigeria wächst um eine Million Menschen im Jahr. Diese Städte dürfen nicht weitere Katastrophen werden, so wie sie es derzeit sind.
Diese Städte müssten "grün" werden. Aber solche Investitionen werden schon bei uns im Westen oft nicht getätigt, wo das Geld eigentlich vorhanden wäre.
Es gibt Geld wie Sand am Meer - also Sand gibt es nicht mehr genug auf der Welt zum Bauen, aber Geld gibt es. Es sucht verzweifelt nach mehr Möglichkeiten. Die Technologien und Antworten haben wir schon. Das Geld kommt aber nicht dorthin, wo es gebraucht wird. Und auch die lächerlichen Hilfsgelder, die man global hat, muss man schlauer nutzen.
Haben Sie dafür ein konkrete Beispiele?
Die Menschen brauchen Energie. Äthiopien hat zum Beispiel viel Wasserkraft. Aber die Dämme dazu vertreiben auch viele Leute. Wir könnten dort viel mehr mit Erdwärme und Solar machen. Oder bei Baumethoden. In Addis Abeba werden wie wahnsinnig schlechte, klimatechnisch unverantwortliche Wolkenkratzer gebaut. Der ganze Nahe Osten verpulvert Energie durch schlechtes Bauen. Wir haben die Lösungen dafür, müssen sie aber auch zugänglich und finanzierbar machen. Österreich ist für kleine, feine Lösungen eigentlich Vorreiter. In diesem Land gibt es die mittelständischen Bastler, die Lösungen wie Minikraftwerke, Turbinen und Baustoffe erzeugen. Sehr beeindruckend, sag ich jetzt als Piefke.
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