Flucht und Gewalt: Der Klimawandel verändert bereits jetzt Staaten
Der Klimawandel verändert schon heute Staaten und führt zu Gewalt und Flüchtlingsströmen. Unter anderem auf den Syrien-Konflikt hat er einen messbaren Einfluss. Zu diesem Urteil kam eine international beachtete Studie mit österreichischer Beteiligung. Die Vermutung wurde in den vergangenen Jahren immer wieder geäußert. Doch laut den Autoren ist ihre Studie (hier in englischer Sprache abzurufen) die erste, die auch einen statistisch belastbaren Beweis erbringt, dass der Klimawandel die Ursache darstellt und Konflikt und erzwungene Migration die Folge davon sind.
Bisher konnte zwar ein Zusammenspiel dieser beiden Elemente beobachtet werden, aber das direkte Ursache-Wirkungs-Verhältnis war nicht erforscht. "Ab jetzt können wir unter gewissen Annahmen sagen, dass diese kausale Kette existiert", sagt Jesus Crespo Cuaresma im Gespräch mit dem KURIER. Der Leiter des Makroökonomie-Instituts an der WU Wien war einer der beteiligten Forscher, die 157 Länder über zehn Jahre (2006-2015) beobachtet haben.
Syrien als prominentes Beispiel
Insbesondere nach 2010 sei der Effekt messbar gewesen. Konkret bei den Konflikten in Syrien im Jemen und allgemein im Arabischen Frühling sei es den Forschern gelungen, einen starken Einfluss zu messen. Crespo Cuaresma erklärt das am Beispiel von Syrien: "Langanhaltende Trockenheit und Wasserknappheit führten zum Ausfall der Ernte. Bäuerliche Familien flohen in die Städte, wo eine Überbevölkerung entstand. Viele Menschen waren ohne Arbeit, der Stein für politische Unruhen und Krieg war gelegt." Das Ergebnis ist bekannt: Was Mitte der 2000er-Jahre als vom Klimawandel verursachte Dürreperiode losging, setzt sich bis heute in einem verheerenden Bürgerkrieg fort.
Bei Dürre kommt es aber nicht automatisch überall zu Krieg und Vertreibung. Das entwickelt sich im Zusammenspiel mit anderen Einflüssen. Der Klima-Effekt auf das Konfliktrisiko sei schließlich auch nicht in allen Ländern zu finden oder ausschlaggebend gewesen. Wie sich Dürren auswirken, hänge auch mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren zusammen. Trotzdem sind die Ergebnisse eindeutig. "Für viele Länder ist der Klimawandel-Effekt sehr wichtig."
Besonders anfällig dafür scheinen Länder zu sein, die weder demokratisch noch sehr autokratisch organisiert sind. "Pseudodemokratien", wie jene in Nordafrika, wo der Arabische Frühling ausbrach. "Es gibt so etwas wie einen perfekten Sturm, in dem der Klimawandel ein sehr wichtiger Trigger ist", sagt Crespo Cuaresma.
Konflikt um bis zu 14 Prozent wahrscheinlicher
Verändere der Klimawandel die Temperatur und den Niederschlag, dann steige die Wahrscheinlichkeit auf Gewalt um bis zu 14 Prozent erklärt Crespo Cuaresma. Wenn sich an den sozioökonomischen Rahmenbedingungen der Welt nichts ändert, ist deshalb mit einem Anstieg der erzwungenen Migration zu rechnen. Das sei die logische Folge, wenn man die Studien-Erkenntnisse mit Vorhersagen von Klimatologen zusammendenke.
Dabei erinnert der Forscher daran, dass die Folgen keineswegs nur in Westeuropa zu spüren seien. "Westeuropa hat eine etwas verzerrte Wahrnehmung, wie Migration derzeit stattfindet, weil das Problem politisch in den letzten Jahren so präsent war. Migration findet normalerweise in Länder statt, die nicht sehr weit weg sind " Auch in Syrien sei ein Großteil der Menschen ja in Nachbarländern untergekommen.
Effekt wohl größer als in Studie belegt
An der Forschung beteiligt war neben der WU auch die JKU Linz, die Universität Shanghai, die University of East Anglia (Norwich) und das International Instituts for Applied System Analysis). Ein weltweit verfügbarer Indikator aus der Klimatologie und die weltweit gut dokumentierten Daten über Asylanträge wurden unter anderem beobachtet. "Der Indikator erklärt und prognostiziert Dürre sehr gut. Der Klimawandel könnte natürlich auch noch andere Effekte haben", sagt Crespo Cuaresma.
Für ihn ist daher wahrscheinlich, dass die Studie den Effekt des Klimawandels auf Migration noch unterschätzt. Auch illegale Migration und Migration außerhalb des Asylwesens sei schließlich mangels vertrauenswürdiger und vergleichbarer Daten gar nicht berücksichtigt, könne aber auch durch den Klimawandel ausgelöst werden.
Mit ihrer bewusst global angelegten Studie konnten die Forscher auf diverse Länderbesonderheiten und Detailfragen bisher noch nicht eingehen. Die genaueren Untersuchungen für sozioökonomische Bedingungen oder auch Fluchtbewegungen innerhalb eines Landes stehen in naher Zukunft auf der Agenda. "Wir wollen ein Gefühl bekommen, wie Klimawandel-Effekte damit interagieren, wie eine Gesellschaft ausschaut". Dann könne man auch besser abschätzen "wie groß diese Migrationsströme in der Zukunft sein können".
Neue Prioritäten in der Politik?
Crespo Cuaresma - der derzeit von Medien in allen Teilen der Welt interviewt wird - hofft, dass auch die globale Politik auf die Forschungserkenntnisse reagiert. Wer Politik auf Basis von wissenschaftlichen Beweisen machen wolle, der müsse womöglich die "Prioritätensetzung" ändern, sagt er. Genaue Handlungsanleitungen will er als Forscher nicht geben. Man solle aber die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG) und ihre Maßnahmen weniger isoliert voneinander betrachten - und vielleicht in einer anderen Reihenfolge vornehmen. Denn solange die Studie nicht widerlegt werde, gelte nun: "Du kannst politische Konflikte nicht mehr so leicht von Umweltzerstörung trennen."
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