Keine Sorge über Abwanderung: „In der Pension kommen sie wieder“
Um nach Litschau zu kommen, fährt man durch viele Gemeinden, deren Ortskern nur aus einem kleinen Supermarkt und einer Bankfiliale besteht. Der Luftkurort, der ein paar Kilometer von Tschechien entfernt im Waldviertel liegt, ist da anders. Nur wenige Geschäfte und Häuser rund um die Kirche stehen leer. Apotheke, Bäckerei, Geschäfte, zwei Wirtshäuser und mehrere Bankfilialen sind im Zentrum der Stadtgemeinde im Bezirk Gmünd zu finden.
Abwanderung ist hier, wie in vielen Teilen des Waldviertels aber ebenso ein großes Thema. In der jüngsten Studie der Statistik Austria über die Bevölkerungsentwicklung Niederösterreichs ist zu lesen, dass im Waldviertel Anfang 2020 800 Personen weniger leben als im Jahr davor. In Litschau sind es mit Stichtag 1. Jänner 2020 um 76 weniger Personen als am selben Tag 2019.
Einwohnerzahlen
Hinter den Zahlen aber verbirgt sich wie so oft eine Geschichte. Eigentlich sogar mehrere. 2012 wurde das NÖ Pflege- und Betreuungszentrum Litschau eröffnet. 84 Personen sind eingezogen.
Durch das Zentrum gäbe es aber auch eine höhere Sterberate, sagt Jürgen Uitz, Stadtamtsdirektor von Litschau. 2015 hat die Stadt dann 80 Flüchtlinge aufgenommen. Die Einwohnerzahl ist wieder nach oben gegangen. „Die sind aber nicht bei uns geblieben“, so Uitz. Zu den etwa 2.300 Hauptwohnsitzern im Ort kommen außerdem noch einmal etwa 1.200 Zweitwohnsitzer. „Das ist immer das Problem mit Zahlen“, sagt Bürgermeister Rainer Hirschmann. „Im Sommer hat Litschau sicher um die dreieinhalbtausend Leute“, so Hirschmann. Viele Einwohner hätten nur wegen dem Parkpickerl den Hauptwohnsitz in Wien und nicht im Waldviertel.
Zuzug
Nur in die Irre führen die Zahlen aber nicht. „Wir haben natürlich weniger Geburten als Todesfälle. Aber wir haben Zuzug. Leute kommen nach Litschau auch wieder zurück“, sagt Uitz. Zum Beispiel Leopold Hofbauer. Er hat den Gasthof Kaufmann am Hauptplatz vor über zehn Jahren gekauft. Da es in seiner Jugend keine Lehrstellen in der Region Litschau gegeben habe, so Hofbauer, sei er mit seiner Frau nach Wien gezogen. Zwölf Jahre haben sie dort gelebt, dann ist er wegen eines Jobs zurück ins Waldviertel: „Wir haben es nie bereut.“
Der 58-Jährige ist sicher, dass jetzt wieder mehr zurückziehen, gerade jene, die in seinem Alter sind: „In der Pension kommen alle wieder zurück. Die haben mit der Arbeitswelt abgeschlossen und genießen jetzt hier die Natur und das unbeschwerte Leben.“ Der Wirt deutet zur Budel, wo mehrere Männer miteinander tratschen: „Viele von ihnen haben in Wien gearbeitet und sind in der Pension wieder hergezogen.“
Ohne der Eigeninitiative einiger Litschauer würde es mit dem Zuzug aber wohl anders aussehen. Leopoldine Riedl ist im Ort aufgewachsen und arbeitet seit Jahrzehnten ehrenamtlich für das Hilfswerk. Als die „Hilfe und Pflege daheim“ nach Gmünd gezogen ist, hat Riedl den Verein „Leben in der Region Litschau“ ins Leben gerufen, damit Angebote wie „Essen auf Rädern“ weiter bestehen. „Das Helfen macht mir Spaß“, sagt die 73-Jährige. „Aber in so einer Stadt geht es nur miteinander.“
Verein verbindet
Viele der Einwohner sehen in den Vereinsstrukturen einen Hauptgrund, warum junge Leute nach deren Ausbildung wieder ins nördliche Waldviertel zurückkehren. „Wenn wir das nicht hätten, wären wir schon ausgestorben“, sagt Reinhard Hable, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Litschau (eine von neun Feuerwehren in Litschau). Er pendelt für die Arbeit täglich nach Wien. Im Ort selbst gäbe es nicht genügend Jobs mit dem gleichen Verdienst.
Dass mehr Arbeitsplätze wichtig wären, sagt auch Hofbauer, gerade „im Bereich der Industrie“. Riedl vermutet, dass viele „praktisch gezwungen“ sind wegen fehlender Jobs wegzuziehen: „Wenn es wieder eine Möglichkeit gibt, kommen sie retour.“
Bürgermeister Hirschmann ist zuversichtlich, dass der Trend wiederkommt, aufs Land zu ziehen. Immerhin hat Litschau einen Naherholungsbereich mit See, zwei Festivals und das Feriendorf Königsleitn. Tourismus soll künftig vermehrt mit der Kultur verbunden werden, damit die Nächtigungszahlen steigen. Zusätzlich plant man auch mehr Bauplätze zu schaffen, damit Jungfamilien herziehen. „Also mache ich mir nicht so große Sorgen, wenn da einmal minus drei Prozent steht (Einwohnerzahl, Anm.), wenn ich es mir erklären kann“, sagt Hirschmann.
Hintergrund: Zuzug gleicht Sterberate im Waldviertel noch nicht aus
800 Einwohnerinnen und Einwohner weniger im Waldviertel 2020 als im Jahr davor – diese Zahl klingt nach viel.
Regionalberater Josef Wallenberger hat vor einigen Jahren aber begonnen, sich solche Zahlen genauer anzuschauen. „Neben dem Trend des Wegzugs haben wir auch einen Trend des Zuzugs beobachtet“, sagt Wallenberger. Der Altersanteil sei im Waldviertel aber sehr hoch: „Es sterben immer noch mehr Menschen als geboren werden.“ Der Zuzug würde zudem noch nicht die Sterberate ausgleichen.
Von den etwa hundert Gemeinden im Waldviertel verzeichnen laut Wallenberger aber immerhin 40 sehr wohl einen Bevölkerungsanstieg. Die Situation, dass man „da oben überhaupt keine Arbeit bekommt“, würde sich außerdem seit einiger Zeit ändern. „In den nächsten zehn Jahren gehen in den Kernbezirken etwa 13.000 Menschen in Pension. Da ist eher die Frage, ob wir genug Arbeit haben“, so Wallenberger.
Der Regionalberater weist auch auf die Internetseite www.wohnen-im-waldviertel.at hin. Dort finden Interessierte Informationen zu Immobilien, Grundstücken und Jobmöglichkeiten: „Es wird besser, aber es ist immer noch nicht rosig aufgrund der Altersstruktur.“
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