Kaprun: Versöhnung und Verbitterung 15 Jahre danach
Die Parkplätze bei der Talstation der Kapruner Gletscherbahnen sind gut gefüllt. Hunderte Menschen wollen das prächtige Herbstwetter zum Skifahren am Kitzsteinhorn nutzen. So wie in den vergangenen Wochen auch. Und doch ist dieser Mittwochvormittag kein Tag wie jeder andere. Das Seilbahnunglück mit 155 Toten jährt sich zum 15. Mal.
Gemeinsames Leid
Während die Wintersportler zu den Gondeln eilen, trauern Angehörige und Vertreter von Gemeinde und Gletscherbahnen am 11. November mit einem Gottesdienst bei der Gedenkstätte unweit der Liftstation um die Verstorbenen. Rund 80 Menschen sind gekommen. Viele Trauernde kennen einander von den Gedenkveranstaltungen der letzten Jahre. Sie teilen den Schmerz, trösten einander. "Es ist eine Gemeinschaft, die das Schicksal verbindet", sagt Diakon Toni Fersterer. Werner Kirnbauer ist aus Güssing (Burgenland) angereist. Die sterblichen Überreste seines Sohnes, der bei der Katastrophe ums Leben gekommen ist, liegen zu Hause begraben. "Aber hier sind wir ihm näher", sagt Kirnbauer im Beisein von Frau Heidi.
Der 65-Jährige ist heuer nach Kaprun gefahren, um sich auszusöhnen. "Herr Brennsteiner, ich bin sehr krank – es ist wahrscheinlich mein letzter Gedenktag. Ich habe Sie damals beschuldigt und das war falsch. Ich bitte um Verzeihung", sagt Kirnbauer zum damaligen Betriebsleiter der Gletscherbahnen, Günther Brennsteiner. Tränen stehen ihm in den Augen, seine Stimme zittert. Auch Brennsteiner ist sichtlich ergriffen. "Ich stufe das als unglaubliche menschliche Größe ein", sagt er. Der 11. November 2000 habe auch sein Leben verändert. Manche werfen ihm heute noch eine Mitschuld an der Katastrophe vor.
Auch Norbert Karlsböck, damals Bürgermeister, heute Vorstand der Gletscherbahnen, ist gekommen und sucht das Gespräch mit den Trauernden. Diese Katastrophe sei ein Teil von Kaprun und werde es immer bleiben, sagt Karlsböck.
Unzufrieden mit Urteil
Andere Angehörige sind nach 15 Jahren nicht zu einer Aussöhnung bereit. Zu groß ist der Zorn über die juristische Aufarbeitung der Katastrophe. "Das Unglück kann man nicht rückgängig machen. Es war eine Schlamperei. Der Staat Österreich hat sich angeklagt – und selbst freigesprochen", meint Heidemarie Wohl verbittert. Die Wienerin ist mit Bruder Wilfried Wagner aus Wien hier. Sie gedenken ihrer Schwester, deren Ehemann sowie dessen Zwillingsschwester. Der Frust über das Urteil im Kaprun-Prozess – 16 Angeklagte wurden freigesprochen – ist nach wie vor groß. "Es kann bei so einer Katastrophe nicht sein, dass niemand verantwortlich ist", sagt Wohl. Der Prozess sei abgeschlossen, ihre Hoffnung auf Gerechtigkeit damit dahin. Für Uschi Geiger – "Sprachrohr der deutschen Angehörigen", wie sie selbst sagt – ist die Situation ebenfalls unbefriedigend. "Das ist der größte wunde Punkt bei uns Angehörigen – und der Grund dafür, dass keine Ruhe einkehrt."
Die Schrägaufzug-Garnitur „Kitzsteingams“ verlässt am 11. November 2000 um 9.02 Uhr zum letzten Mal die Talstation. Acht Minuten danach meldet der Zugführer den Brand – nur zwölf Menschen können sich aus der Kabine befreien, 155 sterben. Drei davon in der Bergstation, wo die Rauchgase aus dem Tunnel austreten.
Am 18. Juni 2002 beginnt der Prozess in Salzburg. 16 Personen müssen sich vor Gericht verantworten, darunter Bedienstete der Gletscherbahnen Kaprun, Beamte des Verkehrsministeriums und Vertreter von Privatfirmen. Am 63. Verhandlungstag, am 19. Februar 2004, spricht Einzelrichter Manfred Seiss alle Angeklagten frei – der Brand sei eindeutig durch einen defekten Heizlüfter verursacht worden. Die Staatsanwaltschaft legt Berufung gegen die Freisprüche von acht Angeklagten ein, diese werden aber am 27. September 2005 in zweiter Instanz vom Oberlandesgericht Linz bestätigt. Das Urteil sorgt international für Empörung.
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