Justizminister Brandstetter über Hasspostings: "Da ist die rote Linie"
"Sie sehen, das war eine problemlose U-Bahnfahrt", sagt ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter, als er aus der U6 steigt. Da, wo der 59-Jährige heute bei einem Obdachlosen einen Augustin-Kalender für 2017 kauft, wurde vor einem Jahr noch hemmungslos mit Drogen gedealt. Schuld war ein Schnitzer bei der Gesetzesänderung zur Gewerbsmäßigkeit: Weil sie enger gefasst wurde, blieben viele Dealer quasi straffrei – und die nutzten das aus, der Polizei waren die Hände gebunden. Theorie und Praxis – darüber sprach der KURIER mit dem Rechtswissenschaftler in der Wiener U-Bahn.
KURIER: Heute vor einem Jahr hat hier der Drogenhandel floriert. Wie haben Sie das erlebt?
Wolfgang Brandstetter: Die Polizei hat sehr schnell Alarm geschlagen. Wir haben gemeinsam eine Lösung entwickelt, die schon am 1. Juli in Kraft treten konnte. Man muss aber schon sehen, dass strafrechtliche Sanktionen alleine das Problem nicht lösen werden. Das betrifft Bereiche bis zur Gesundheits- und Sozialpolitik. Aber immerhin haben wir das, was die Bevölkerung am meisten gestört hat – dass hier so offensichtlich mit Drogen gehandelt wird – in den Griff bekommen.
Aus den Augen, aus dem Sinn? Die Dealer sollen jetzt in die umliegenden Gassen gewandert sein.
Dort werden sie ja auch verfolgt. Sogar bis in die Stiegenhäuser, die im Gesetz erfasst sind als öffentlicher Bereich. Die Gesetze haben wir, und die Polizei nützt sie auch.
Laut Suchtmittelstatistik sind zwei Drittel der Anzeigen Erstanfälle – meistens also Konsumenten, die vorher nie aufgefallen sind. Die Polizei ermittelt aufwendig, die Verfahren werden oft eingestellt. Ergibt das Sinn?
Die vielen Einstellungen sind auf das Modell "Therapie statt Strafe" zurückzuführen. Wenn wir mit gesundheitsbezogenen Maßnahmen, die verpflichtend sind, durchkommen, brauchen wir keine Strafe. Ich weiß, die Polizei hat viel damit zu tun, aber es macht Sinn, da Kontrolle auszuüben.
Ich höre heraus: Eine Legalisierung von Cannabis wird es mit Ihnen nicht geben?
Weil ich es für einen Fehler hielte. Dann hätte ich überhaupt keine Kontrolle mehr über diese Szene. Es konnte mir noch keiner überzeugend erklären, dass der Einstieg über diese Art von Drogen völlig gefahrlos wäre.
Themenwechsel: Im Hofburg-Wahlkampf hat man ein neues Level an Hass im Netz erlebt. Reichen die Gesetze, die 2016 geschaffen wurden, aus?
Der Verhetzungstatbestand, wie er jetzt formuliert ist, deckt alles ab. Und wir haben den Tatbestand des Cybermobbings eingeführt. Wir merken an der Zahl der Anzeigen, dass das sinnvoll und notwendig war (siehe Bericht unten). Was wir innerstaatlich gegen Hass im Internet machen konnten, haben wir gemacht. Aber ich sage deutlich: Man kann denjenigen, die als Internetgiganten diese Postings verbreiten, nur auf europäischer Ebene auf Augenhöhe begegnen.
Wo liegt für Sie die Verantwortung von Facebook?
Ein Beispiel: Wenn jemand zu einer Demonstration geht und ein Schild trägt, auf dem etwas Verhetzendes steht, bekommt nicht nur der ein Strafverfahren, sondern auch derjenige, der es gemalt hat – wegen Beihilfe. Weitergedacht ist es nicht zu akzeptieren, dass ein Unternehmen Hasspostings millionenfach verbreitet.
Wie sieht die Praxis aus?
Wir haben gegenüber Facebook klargemacht: Wenn eine Staatsanwaltschaft mitteilt, dass es strafrechtlich relevante Eintragungen gibt, dann sind die zu entfernen. In der Regel passiert das binnen 24 Stunden. Dann kann die Behörde sagen: Es wurde zeitnahe entfernt, also gab es offenbar keinen Vorsatz. Wenn das aber bewusst nicht gelöscht wird, geht es vor Gericht. Wir wollen nur vermeiden, dass solche Dinge durch Rechtsstreitigkeiten zu lange im Netz bleiben.
Die Kritik der User lautet dann oft: Das ist Zensur, nichts darf man mehr sagen.
Es gibt rechtsstaatliche Grenzen, zu denen stehe ich. Es kann ja jeder auf eigenes Risiko der Meinung sein, dass das,was er von sich gibt, nicht strafbar ist. Dann muss eben ein unabhängiges Gericht darüber entscheiden.
Ist zu den Menschen schon durchgedrungen, dass sie sich durch gewisse Äußerungen in sozialen Medien strafbar machen?
Ich glaube, dass noch einiges an Aufklärungsarbeit notwendig ist. Zu sagen: Da ist die rote Linie – das braucht die Gesellschaft.
413 Fälle von Cybermobbing wurden im Vorjahr angezeigt. Der Paragraf 107c (Fortgesetzte Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems) trat am 1.1.2016 in Kraft. 29 Fälle wurden von der Staatsanwalt angeklagt, bei nur sechs kam es tatsächlich zu einer Verurteilung.
Verschärft wurde im Vorjahr auch der Tatbestand der Verhetzung – eine Reaktion auf die Hasspostings rund um die Flüchtlingswelle. Mit der Novelle ist es nun auch strafbar, wer gegen eine Person wegen ihrer Religion, Hautfarbe oder Sprache hetzt. Bis zu zwei Jahre Haft drohen, wenn 30 Menschen (bisher 150 Menschen) zu Gewalt aufgefordert oder aufgestachelt werden. Hört eine „breite Öffentlichkeit“ zu, sind es bis zu drei Jahre.
2015 gab es 511 Fälle, davon landeten 80 vor Gericht. 2016 waren es 662 Anzeigen, die 113 Anklagen ergaben. Zu den Verurteilungen liegen noch keine Zahlen vor.
Um dem zusätzlichen Arbeitsaufwand, den die neuen Paragrafen mit sich bringen, Herr zu werden, will ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter zusätzliche Ressourcen. „Wir sind schon in Gesprächen“, verweist er auf die zuständige SPÖ-Staatssekretärin Muna Duzdar.
Brandstetter will es den Bürgern leichter machen, Hasspostings anzuzeigen: Geplant ist ein Online-Formular, Vorbild ist etwa die Meldestelle für NS-Wiederbetätigung beim Bundeskriminalamt. „Und wir brauchen auch Staatsanwälte, die sich speziell darum kümmern“, fügt er hinzu.
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