Jede Woche Alarm für Österreichs Abfangjäger
Es gibt Piloten, die während des Fluges schlafen oder Feste feiern und dabei offenbar ihre Umgebung vergessen. Das ist höchst gefährlich in einem dicht genutzten Luftraum wie über Österreich. Fast täglich muss die Luftraumüberwachung Austro Control solche "Luft-Desperados" disziplinieren. Und fast jede Woche gibt es daher einen Alarmstart von Abfangjägern, um besonders widersetzliche Flieger unter Kontrolle zu bekommen.
Brigadier Rupert Stadlhofer, Chef der militärischen Luftraumkontrolle, rechnet vor: Etwa 180 Luftraumzwischenfälle pro Jahr bedeuten durchschnittlich jeden zweiten Tag einen Alarm. Meistens handelt es sich um "unkooperative" Zivilflugzeuge", die keine Verbindung mit der Bodenstation aufnehmen. Den Fluglotsen gelingt es meistens, per Notruffrequenz diese Flieger wieder auf den rechten Weg zu bringen.
Leer geräumt
Manchmal gelingt das nicht. Stadlhofer: "Dann gehen zwei Eurofighter mit Mach 1 hinaus, und setzen sich neben das Cockpit der Maschine." Dafür wird der Luftraum von der zivilen Luftraumkontrolle "leer geräumt". Das heißt, andere Zivilmaschinen werden umgeleitet.
Besonders beharrlich war die Crew eines Airbus A321 einer türkischen Charterfluglinie am Flug von Manchester ins nordzypriotische Ercan. Vom Luftwaffenstützpunkt Neuburg starteten zwei deutsche Eurofighter, die sich dem Airbus mit Überschall näherten. Die Türken blieben unbeeindruckt. Deshalb wurde der Airbus an der Staatsgrenze von zwei österreichischen Eurofightern übernommen. Erst über dem Alpenhauptkamm reagierten die Airbus-Piloten, und meldeten sich bei der Flugsicherungsfrequenz von Graz.
Brigadier Stadlhofer: "Wir haben durchschnittlich einmal pro Woche einen Alarmstart." Der letzte erfolgte am 19. März um 15.20 Uhr. Eine deutsche Boeing 763 nahm am Flug von Süden nach Frankfurt keine Funkverbindung auf. Zwei Eurofighter intervenierten, und im Raum Graz griff der Pilot endlich zum Funkgerät.
1,3 Millionen Flugzeuge durchqueren jährlich den österreichischen Luftraum. "Niemand kommt hier ungesehen durch", ist Stadlhofer überzeugt. Und er ist auch sicher, dass ein Zwischenfall wie in Malaysia hier nicht passieren könne. In Malaysia verschwand eine Boeing 700-200 nach dem Ausfall des Transponders vom Bildschirm der zivilen Luftraumkontrolle. Westlich davon durchquerte sie ein Radar der Militärs. Die Militärs haben die Boeing zwar gesehen, wussten aber nicht, um welche Maschine es sich handelt – und dass sie schon gesucht wurde. Denn dort reden Zivilisten und Militärs nicht miteinander.
Aktives Radar
In der Wiener Schnirchgasse sitzen zivile und militärische Fluglotsen Türe an Türe. Sie tauschen alle Daten aus. Der militärische Lotse verfügt über die aktiven Radardaten des Systems Goldhaube. Die Radarstationen (Primärradar) leuchten mit elektromagnetischen Strahlen den Luftraum bis in die Ukraine und bis Sarajevo aus. Diese Strahlen werden von Flugzeugen reflektiert, und dadurch sehen die Fluglotsen alles, was sich bewegt. Die zivilen Kollegen sind mit ihren Sensoren (Sekundärradar) auf Funksignale angewiesen, die von den Transpondern der Flugzeuge abgestrahlt werden. Aber im Gegensatz zu ihren militärischen Kollegen kennen sie Dank der Funksignale auch die Identität des Fliegers. Per Datenleitung geben sie die Identifizierungsnummern an die Militärs weiter. So entsteht ein gemeinsames Lagebild, auf dem auch Flugzeuge ohne Identifizierung zu erkennen sind. Das sind in den meisten Fällen Militärmaschinen in den Nachbarländern. So können die österreichischen Fluglotsen beispielsweise den Amerikanern bei Luftmanövern über der Adria zuschauen.
Wenn nun beim zivilen Fluglotsen am Schirm plötzlich ein Flugzeug verschwindet – etwa, weil der Pilot den Transponder abgeschalten hat – dann kann der militärische Lotse diesen Flug aber weiterverfolgen.
Es muss schnell gehen. Wie ist das Wetter? Welche Flugdaten habe ich? Seit sechs Jahren ist Major Andreas Huemer Einsatzpilot des Bundesheeres. Zahllose Alarmeinsätze hat er hinter sich. Aber bei jedem neuen Einsatz gibt es noch immer einen Adrenalinschub.
"Von der Schnelligkeit hängt der Erfolg der Mission ab," erzählt Huemer dem KURIER. Wenn man einmal im Flieger sitzt, angelassen hat und über die Startbahn hinausdonnert, gehen die Überlegungen erst richtig los. Eine entscheidende Rolle spielt der Radarleitoffizier in der "Einsatzzentrale Basisraum" in St. Johann im Pongau. In dieser unterirdischen Befehlszentrale laufen alle Radardaten zusammen. Jetzt geht es nur mehr um die Hauptfrage: "Erwische ich ihn noch vor der Staatsgrenze?" Eine Frage, die im kleinen Österreich eine große Rolle spielt. Meistens gelingt das nur mit einem Überschallflug.
Überdurchschnittlich oft knallt es im Bezirk Amstetten. Das ist nämlich die kürzeste Strecke von Zeltweg ins Donautal, weil dort sehr oft amerikanische Militärmaschinen (aus Ungarn kommend) durchfliegen.
Strafverfahren
Ganz wichtig ist aber auch die Frage: "Wo beginne ich zu bremsen?" Wenn man mit mehr als 1000 Stundenkilometer bei einem langsam fliegenden Objekt vorbeisaust, hat man keine Zeit zum Fotografieren. Aufregend für Huemer war eine Abfangjagd mit einer F-5 gegen eine langsam fliegende Antonov. "Das ging weit in die Oststeiermark hinein."
Das Foto ist später das wichtigste Beweismittel für ein Strafverfahren wegen eines Verstoßes gegen die Luftfahrtbestimmungen.
In der Nacht kann in den Cockpits über Österreich gefeiert und geschlafen werden. Da steigen keine Eurofighter-Piloten auf. Denn der vormalige Verteidigungsminister Norbert Darabos hatte bei seinen Spezialverhandlungen mit der EADS die Nachtsichtgeräte herausreklamiert.
Für manche ist es ein Trost, dass auch die hochgerüstete Schweizer Luftwaffe in den Nachtstunden den Betrieb einstellt. Das wurde öffentlich ruchbar, als in den Morgenstunden des 10. Februar eine entführte Boeing 767-300 der Ethiopian Airlines am Flughafen Genf landete. Die Maschine wurde von zwei französischen Abfangjägern eskortiert, weil laut einem Armeesprecher die Schweizer Luftwaffe "außerhalb der Bürozeiten" nicht erreichbar sei.
Das soll sich nun rasch ändern. Es geht ja nur um die Personalkosten. Nachtflugtauglich sind die Schweizer Flieger jedenfalls.
Ersatzlos gestrichen
Wie es mit der sogenannten "aktiven Komponente" der österreichischen Luftwaffe weitergeht, steht in den Sternen. Eine Nachrüstung der skandalumwitterten Eurofighter ist nicht angedacht. Außerdem verlautbarte aus dem Ministerium, dass wegen des Spardrucks auch an einen Ersatz der fast schon 50 Jahre alten Saab-105 nicht zu denken sei.
Dann ist Österreich auf die Angaben der Luftraumnutzer angewiesen. Beispielsweise der Amerikaner, die mit ihren F-16 oft zwischen Ramstein und dem Balkan pendeln. Unbewaffnet natürlich, wie sie sagen. Ob das auch der Fall ist, kann nur ein Abfangjäger feststellen. Beispielsweise bei jener F-16, die scheinbar voll aufgerüstet einflog (Bild oben links). Erst das scharfe Auge des Eurofighter-Piloten erkannte, dass es sich bei den Raketen um harmlose "Dummies" handelte, die wegen der Flugeigenschaften angehängt waren. Ohne Abfangjäger würde man den Amerikanern einfach glauben müssen, weil am Radar diese Details nicht zu sehen sind.
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