Mit der Gondel in den Tiefschnee
Ein langer Bergrücken zieht sich vom Piz Val Gronda (2812 m) hinunter. Das bietet Variantenfahrern und Freeridern jede Menge Platz, ihre Spuren im Tiefschnee zu ziehen. Ischgl ist stolz darauf, dieses Gebiet erschlossen zu haben. 30 Jahre haben Naturschützer versucht, genau das zu verhindern. Sie sehen diverse Pflanzen- und Tierarten bedroht. Doch seit etwas mehr als einer Woche fährt eine Pendelbahn auf den Gipfel in der Silvretta Arena.
Dass es bei der Erschließung nicht um weitere drei Pistenkilometer geht, die auf der einen Seite des Piz Val Gronda ins Vesiltal führen, daraus machen die Touristiker des riesigen Skigebiets kein Hehl. „Besonderes Highlight ist das neu erschlossene Freeride-Gebiet, das sich bis ins Fimbatal erstreckt“, bewerben sie die neue Bahn. Für den KURIER waren zwei Freeride-Profis bei der Premierenfahrt der neuen Bahn dabei.
Die in Innsbruck studierenden Bayern Bene (27) und Marinus Höflinger (24) produzieren als freeski-crew.com seit neun Jahren Videos mit jeder Menge Freestyle-Action. Ihr neuester Streich ist gerade online gegangen. Tirols Tiefschneehänge kennen die beiden wie ihre Westentasche. „Generell ist Ischgl ein sehr cooles Gebiet, um abseits der Pisten zu fahren“, weiß Bene. Die neue Gondelbahn hätte es aber seiner Ansicht nach nicht unbedingt gebraucht. „Ähnliches Gelände ist bereits erschlossen.“
Typisches Gelände
Tiefschnee hat die beiden Freerider witterungsbedingt bei ihrer Testfahrt nicht erwartet. Sie haben sich das Gelände trotzdem angeschaut. „Es ist sehr typisch für diese Gegend: Baumfreie Zone mit Cliffs durchsetzt. Aber die Hänge sind nicht besonders steil. Das ist eher was zum Anfangen“, erklärt Marinus, der überzeugt ist, „dass das Touristen anzieht, da der Berg ohne großen Kraftaufwand zu erreichen ist.“
Und genau darauf sind die Ischgler aus. „Es ist ein Trend, dass Skigebiete immer mehr auf Freerider setzen“, weiß Bene. Doch genau dieses Klientel habe die Tourismushochburg im Paznauntal lange gemieden. „Das Après-Ski hat viele abgeschreckt. Darum ist das Gebiet immer noch ein bisschen ein Geheimtipp. Wir haben es auch erst recht spät für uns entdeckt.“
Wen also im Gegensatz zur Silvrettaseilbahn AG aufgrund von Naturschutzbedenken das schlechte Gewissen plagt, der wird auf der Suche nach Tiefschneehängen auch fündig, ohne die neue Bahn zu benützen. Lifttechnische Alternativen gibt es ohne Ende. Und die führen auch zu jeder Menge gesicherter Pisten. 172 Kilometer (in der Falllinie) stehen Besitzern eines Skipasses (z.B. 5 Tage für Gäste in der Hochsaison um 188,50 Euro) offen.
Es dauert nicht lange und schon sind die großen Après-Ski-Bars in Ischgl nach Pistenschluss bestens gefüllt. Kurz nach 17 Uhr fliegen den ins Tal zurückgekehrten Wintersportlern im „Kuhstall“ die Schlager um die Ohren. Auf der anderen Seite des Dorfs tanzen Gogo-Girls im knappen Party-Dirndl zu House- Sound auf dem Tresen der „Schatzi-Bar“. Dazwischen möchte das vor vier Jahren eröffnete „Freeride“ seine Nische finden.
Ischgl steht wie wahrscheinlich kein zweiter Skiort in den Alpen für Après-Ski und Event-Tourismus. Dabei ist es gerade einmal 50 Jahre her, dass die Bewohner des Orts im Paznauntal begonnen haben, die Hänge oberhalb ihres Dorfs für den Wintertourismus zu erschließen. Am 15. Dezember 1963 fährt die erste Gondel der Silvrettabahn auf die Idalp. Die Talstation steht auf einst begehrten landwirtschaftlichen Böden. In den folgenden Jahrzehnten wird das Skigebiet Schritt für Schritt ausgebaut. Aus den Bergbauern werden Hoteliers und Wirtsleute.
Wer heute über die Dorfstraße flaniert, findet sich in einer Welt, in der nichts an die Vergangenheit erinnert. Kein Haus scheint älter als 50 Jahre zu sein.
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