HIV-Experten warnen jetzt vor Panikmache
Anonym, zuverlässig, unbürokratisch. Die Aidshilfe Wien ist die erste Adresse für HIV-Tests, Beratungen und Präventionsarbeit. Ins Haus am Wiener Mariahilfer Gürtel kommen nicht nur Wiener, sondern auch Niederösterreicher und Burgenländer. Letztere haben in ihren Bundesländern keine ähnliche Einrichtung. Der Obmann der Aidshilfe Wien, Dennis Beck, 47, ist auch Geschäftsführer der Wiener Gesundheitsförderung. Er warnt vor Panikmache und einem Missbrauch des Blutspendewesens für HIV-Tests.
KURIER: Sind die Beratungszimmer der Aidshilfe Wien voll, wenn ein „HIV-Thema“ medial so hohe Wellen schlägt?
Dennis Beck: Das kann ich Ihnen in einer Woche sagen. Sachlich gerechtfertigt wäre es nicht, denn das Risiko ist minimal, seit es die PCR-Testung (Anm. den direkten Virusnachweis) gibt. Es liegt bei eins zu zweieinhalb Millionen.
In den vergangenen 15 Jahren gab es keine Ansteckung über Blutspenden.
In Österreich wird der höchste Standard verwendet. Bei rund 300.000 Blutspenden jährlich kann es rein statistisch alle sieben Jahre passieren. Die Realität hat es mit uns aber gut gemeint.
Spielt das Thema Blutspenden in der Aidshilfe eine Rolle?
Primär geht es bei uns um die Ansteckung durch sexuelle Übertragung. Wir appellieren aber an alle, die Blutspende nicht zu missbrauchen.
Was meinen Sie damit?
Es gibt das Phänomen, dass Menschen einfach zur Blutspende gehen, um sich so auch testen zu lassen. Eine solche Haltung erhöht natürlich das Risiko bei Blutproben. Das hat mit dem aktuellen Fall aber nichts zu tun.
Die Aidshilfe Wien testete im Vorjahr 7000 Personen. Tendenz steigend. Wirkt endlich die Prävention?
Die Präventionsaktivitäten greifen. Außerdem ist die Schwelle, ins Aidshilfehaus zu gehen, gesunken.
Die Aidshilfe garantiert Anonymität. Wie wichtig ist das den Klienten?
Sie können auch zum Hausarzt gehen. Dort ist es nicht anonym. Beide Angebote sind sinnvoll. Man kann sich übrigens in allen Labors anonym testen lassen.
Man spricht heute nicht mehr Risikogruppen, sondern von Risikoverhalten.
Darum geht es uns in der Prävention. Es kann jeden treffen, auch Heterosexuelle ohne Drogengebrauch, die 40 Prozent der Neuinfektionen ausmachen. Rund 50 Prozent sind homosexuell. Bei bi- und homosexuellen Männern stellen wir eine Kondommüdigkeit fest. Die restlichen zehn Prozent sind Drogenkranke, die sich großteils über sexuellen Kontakt infizieren.
1996 erhielt der Krankenpfleger Helmut G., 57, die Diagnose HIV-positiv. „Sie war ein großer Einschnitt in mein Leben. Ich habe lange gebraucht, bis ich mich damit auseinandersetzen konnte.“ Heute ist G. Obmann der Selbsthilfegruppe „Positiver Dialog“.
Seit 1996 habe sich für die Betroffenen vieles zum Positiven geändert. So entspricht die Lebenserwartung von Infizierten heute nahezu jener in der Gesamtbevölkerung. Die moderne Therapie kann die Zahl der Aids-Erkrankungen und der Todesfälle um rund 90 Prozent senken. „Dass jemand an Aids stirbt – das gibt es praktisch nicht mehr“, sagt Helmut G.. „Die Mehrzahl der Betroffenen führt ein ganz normales Leben.“
Doch angesichts steigender Infektionszahlen (siehe Grafik unten) warnt er vor einer Kondommüdigkeit: „Man darf eine HIV-Infektion nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es ist für viele eine große psychische Belastung, etwas Fremdes – das Virus – im Körper zu haben, das man nicht mehr wegbekommt. Und obwohl die Medikamente viel besser geworden sind, kann es Nebenwirkungen geben.“
In der bisher größten Umfrage unter HIV-Patienten gab 2011 ein großer Teil an, unter Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Stimmungsschwankungen zu leiden. Studienleiter Olaf Kapella: „Als größte Belastung für die Lebenszufriedenheit wird aber die Angst vor dem Bekanntwerden der Infektion und der Stigmatisierung empfunden.“
Nach wie vor haben HIV-Positive – wenn die Infektion bekannt ist – immer wieder „große Probleme am Arbeitsmarkt“, sagt Helmut G. Auch Kündigungen gibt es nach wie vor – „offiziell werden dann andere Gründe als die Infektion genannt“.
„Die gesellschaftliche Entwicklung hat mit der medizinischen nicht Schritt halten können“, bedauert Helmut G. „Auf der anderen Seite hat sich in den vergangenen 20 Jahren vieles verbessert. Ich selbst musste vor einiger Zeit in Spitalsbehandlung – und habe im Krankenhaus überhaupt keine Diskriminierung erlebt. Ich bin zuversichtlich, dass solche positiven Erfahrungen in Zukunft noch viel häufiger werden.“
Elisabeth Lovrek, Richterin des Obersten Gerichtshofes, wundert sich: „Wird nicht jeder Blutspender zwei Mal getestet?“ Wird er nicht, eine zweite Blutabnahme nach zehn Tagen (diagnostisches Fenster) würde das Restrisiko aber ausschalten. Von der Durchführbarkeit abgesehen.
Wer haftet? Der Blutspender nur dann, wenn er selbst von den Viren in seinem Blut wissen konnte. Das Spital nicht, weil es die Verantwortung an den Lieferanten weiterreichen kann. Mit dem Roten Kreuz steht die Patientin nicht in direktem Vertragsverhältnis, deshalb muss sie (ohne sonst übliche Beweislastumkehr) beweisen, dass dort Fehler gemacht wurden. Außer man geht nach dem Produkthaftungsgesetz vor, was laut Richterin Lovrek gelingen könnte: Bei „mangelhafter Beschaffenheit“ von „in Verkehr gebrachten menschlichen Körperteilen“ wie Blut haftet der Erzeuger unabhängig vom Verschulden. Mit welcher Entschädigung kann die Patientin rechnen? Höchstrichter Karl-Heinz Danzl hat 3300 Urteile zum Thema Schmerzensgeld gesammelt. Am nächsten kommt jenes für einen Mann, der durch eine Bluttransfusion mit Hepatitis C angesteckt wurde. Er bekam 21.000 €.
Das Rote Kreuz hat der Patientin Hilfe aus einem Fonds angeboten, unter der Bedingung, dass keine Rechtsansprüche gestellt werden.
Blut- und Blutprodukte gelten in Österreich als Arzneimittel. Sie werden streng kontrolliert – und zwar nach dem Arzneimittelgesetz und dem Blutsicherheitsgesetz. Die Vorschriften basieren auf nationalem als auch auf EU-Recht.
Ähnlich wie für den Fall unerwünschter Arzneimittelwirkungen bei Medikamenten (diese werden als „Pharmakovigilanz“ bezeichnet) gibt es eine Institution, die unerwünschte Wirkungen von Blut und Blutprodukten, Mängel bei Blutprodukten und Zwischenfälle – etwa im Rahmen der Gewinnung, Lagerung oder Verteilung – erfasst. An dieses „Österreichische Hämovigilanz-Register“ müssen alle ernsten Zwischenfälle im Zusammenhang mit Gewinnung, Testung, Lagerung oder Verteilung von Blut und Blutprodukten unverzüglich gemeldet werden.
Die Hämovigilanz ist ein Monitoringsystem, das die gesamte Transfusionskette vom Spender über Verarbeitung und Transport bis zur Verabreichung von Blut und Blutprodukten an den Patienten umfasst – mit dem Ziel, etwaige Risiken und Gefahren in Zusammenhang mit Blutspenden bzw. der Transfusion von Blut und Blutprodukten zu minimieren. Seit Juli 2008 wird das Hämovigilanzregister vom Bundesamt für Sicherheit und Gesundheitswesen/AGES PharmMed verwaltet.
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