Dauer-Bereitschaft
Kathrin Raab betreute in den vergangenen zwei Jahren sieben Krisenpflegekinder. Sie ist in Dauer-Bereitschaft. "Zwischen halb acht und halb vier am Nachmittag kann jederzeit der Anruf der Sozialarbeiter kommen", so Raab.
In der Regel holen Sozialarbeiter die oft traumatisierten Kinder ab und bringen sie direkt zu den Pflegefamilien. "Die Wegzeit zu mir nach Hause ist meine Vorbereitungszeit", sagt die 35-Jährige. Nur bei Neugeborenen, die direkt aus dem Spital kommen, habe sie einen Tag Vorlaufszeit, um Essen und Kleidung zu besorgen.
Die Kinder, die von Krisenpflegeeltern betreut werden, sind zwischen 0 und 3 Jahren alt. Die Gründe, warum sie von ihren Familien weggeholt werden, sind unterschiedlich: Drogen, Alkohol, mangelhafte Ernährung, Obdachlosigkeit.
Krisenpflegeeltern kümmern sich in der Regel zwei Monate lang um die Kleinen. "In dieser Zeit wird abgeklärt, ob die Kinder wieder zu ihren Familien zurückkommen oder ob es andere Maßnahmen braucht", erklärt Reichl-Roßbacher. Etwa 40 Prozent der Kinder kommen in ihre eigenen Familien zurück, 60 Prozent werden vermittelt.
Im Laufe der vergangenen zwei Jahre machte Raab die Erfahrung, dass vor allem die Gesundheit der Kinder für einige Eltern nicht immer an erster Stelle steht. "Viele kommen schwer vernachlässigt zu mir. Einmal bestand sogar der Verdacht, dass ein Kind geistig beeinträchtigt ist, aber dann stellte sich heraus, dass es wegen traumatischer Erfahrungen entwicklungsverzögert war", sagt sie. Das Gefühl, dieses Kind das erste Mal lachen zu sehen, sei unbeschreiblich gewesen.
Schauplatzwechsel in den 4. Bezirk: An der Wand des Kinderzimmers hängen Dutzende Kinderfotos – etwa von einem schlafenden Baby mit blauer Mütze oder einem lächelnden Kind mit Wuschelkopf und Pinguin-Pulli. "Ich hatte 30 Krisenpflegekinder in den vergangenen vier Jahren", erzählt Miriam Köhler.
Trotz der jahrelangen Erfahrung sei sie bis heute vor jedem Anruf nervös. Einmal habe sie ein Kind bekommen, das nicht mal einen Namen hatte, geschweige denn eine Staatsbürgerschaft. "Das Baby existierte einfach nicht, es hatte keine Identität."
Rückfälle
Die Krisenpflegemutter wird bei ihrer Schilderung von Geschrei unterbrochen. Der dreijährige Michael (Name geändert, Anm.), um den sich Köhler aktuell kümmert, schlägt mit einem Plastikhammer auf eine Tischplatte im Eck des Kinderzimmers.
Der Bub ist nicht zum ersten Mal bei ihr. "Natürlich kann es vorkommen, dass Kinder, die eigentlich ihren Familien zurückgegeben wurden, wieder in Krisenpflegefamilien kommen. Das ist etwa der Fall, wenn eine Mutter, die drogen- oder alkoholabhängig war, einen Rückfall erleidet oder sich aus anderen Gründen doch nicht mehr um das Kind kümmern kann", sagt Reichl-Roßbacher.
Auch bei Michael war das so. Er wurde auch schon in der Vergangenheit vernachlässigt, und kam vor einem Jahr zum ersten Mal zu Miriam Köhler. "Seine Situation hat sich aber keinesfalls verbessert, seine Entwicklungsstörungen merkt man daran, dass er nicht richtig sprechen kann", sagt sie. Trotz manch herausfordernder Situation denkt Köhler nicht daran, aufzuhören. Zu sehen, wie sich die Kinder doch noch gut entwickeln, sei einfach ein schönes Gefühl.
Daten und Fakten
70 Krisenpflegeeltern würden in Wien gebraucht werden. Aktuell gibt es aber nur 35
Neues Modell
Mit einer Anstellung und 1.500 Euro netto Gehalt – und 500 Euro pro weiterem Kind – will die Stadt Wien mehr Menschen – auch Alleinerziehende – für die Arbeit als Krisenpflegepersonen gewinnen
Info-Abend
Am 29. September findet von 17 bis 19 Uhr ein kostenloser Online-Info-Abend zur Krisenpflege der Stadt Wien statt.
Anmeldung unter: kanzlei-rap@
ma11.wien.gv.at
Dauerpflege
Auch Dauerpflegeeltern werden gesucht. Infos unter
www.oesterreich.gv.at/themen/
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