Immer öfter stören Gaffer bei Unfällen
Ein Pensionist verwechselt auf einer Raststation in Kärnten Gaspedal und Bremse und kracht frontal in das Heck eines Reisebusses. Während die Rettungskräfte anrücken, um den Verletzten zu bergen, bildet sich blitzartig eine "Gafferfront" mit mindestens 100 Schaulustigen.
"Ich lüge nicht, wenn ich sage, dass sicher mehr als 50 Leute mit ihren Smartphones die Unfallszene filmten. Als Feuerwehrmann kann man nicht einmal mehr seine Arbeit erledigen, ohne fürchten zu müssen, dass Leute im Weg stehen oder unschöne Einsatzbilder in die sozialen Medien stellen", sagt Rahman Ikanovic, Kommandant der Feuerwehr Völkermarkt in Kärnten.
Während das Gaffen nach Verkehrsunfällen samt Behinderung der Rettungskräfte in Deutschland seit Kurzem von der Verwaltungsübertretung zum Straftatbestand angehoben wurde und mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe sanktioniert werden kann, überlegt man in Österreich noch. Doch auch hierzulande gehören unangenehme, ja gefährliche Situationen aufgrund des zunehmenden (digitalen) Voyeurismus nach Kollisionen bereits zum Alltag der Einsatzkräfte.
Kritik
"Wir müssen immer öfter aufpassen, dass uns Lenker, die an einem Einsatzort vorbei fahren, nicht vor lauter Schauen und Fotografieren anfahren", erzählt Philipp Gutlederer, Pressesprecher des Bezirksfeuerwehrkommandos Amstetten. Viele seiner Kollegen seien davon genervt, schon Bilder von sich selbst im Internet zu finden, kaum seien sie von einem Einsatz zurückgekehrt.
"Wenn dann einer keinen Helm trägt, wird das kritisiert, obwohl es durchaus sein kann, dass der Betreffende den Einsatzort schon verlassen hat", erklärt Gutlederer. "Dass wir bei fast jedem Unfall schon einen Sichtschutz aufbauen müssen, weil Neugierige kein Benehmen mehr kennen, ist einfach nicht in Ordnung." Er würde sich mehr Rücksichtnahme wünschen.
Feuerwehrausrüster verkaufen derartige Sichtschirme bereits als Modelle zum Aufklappen, damit Feuerwehrleute während des Einsatzes nicht ständig Decken hochhalten müssen. So groß ist offenbar der Bedarf.
"Bei uns ist die ’Gafferwand’ seit Jahresbeginn im Einsatz", schildert Ikanovic: "Obwohl ein Einsatzleiter wichtigere Aufgaben zu erledigen hätte, muss er inzwischen auch darauf achten, dass ja kein blödes Foto entsteht. Wir haben sogar erlebt, dass ein Gaffer den Einsatz via Smartphone live ins Internet übertragen hat. Das geht echt zu weit."
Dass es nach Autobahnunfällen auch auf der Gegenfahrbahn staut, weil Neugierige durch das Autofenster fotografieren, statt zügig weiter zu fahren, kommt ebenfalls immer häufiger vor. Das bestätigt auch Philipp Glanzer vom Bezirkspolizeikommando Klagenfurt: "Oft ist der Stau auf der Gegenfahrbahn sogar länger als dort, wo der Unfall passierte", sagt Glanzer. Um den Einsatzradius definieren zu können, hat die Polizei auf Basis des Sicherheitspolizeigesetzes zumindest ein Durchgriffsrecht: "Wenn Schaulustige die Arbeit der Einsatzkräfte behindern, können Polizisten sie wegweisen – auch unter Gewaltanwendung, wenn eine mündliche Aufforderung nicht hilft", erklärt Glanzer (siehe Zusatzbericht).
Neues Zeitalter
"Die Neugierde ist ja prinzipiell nicht schlecht, weil Passanten so erkennen können, ob Hilfe notwendig ist", erklärt ÖAMTC-Verkehrspsychologin Marion Seidenberger. "Leider geht es vielen aber nicht mehr darum, bei Unfällen helfend einzugreifen, sondern nur darum, den eigenen Voyeurismus zu befriedigen." Im Internet-Zeitalter hätte sich ein Rennen um die besseren Fotos und Videos auf Facebook oder Youtube entwickelt. Zwar bestünden Sanktionsmöglichkeiten, um Schaulustige zur Verantwortung zu ziehen – eine Verschärfung sei aber durchaus überlegenswert.
"Gesetze werden da nicht helfen, eher Appelle an Ethik und Menschlichkeit", meint Gerry Foitik, Bundesrettungskommandant des Roten Kreuzes. "Neugierde ist verständlich. Aber heute liegen zwischen dem Fotografieren mit dem Smartphone und der Veröffentlichung im Netz nur wenige Sekunden. Die sollte man gut nutzen, und sich fragen, ob man das als Betroffener selbst gerne hätte", hält Foitik fest.
Wer aus Neugierde einen Unfallort beobachtet und/oder fotografiert, kann einiges anrichten. Etwa, Rettungskräfte behindern oder Verkehrsstaus auslösen. Deshalb dürfen Polizisten sensationslüsterne Menschen von einem Unfallort weg schicken. Das ist im Paragraf 38 des Sicherheitspolizeigesetzes klar geregelt.
Schaulustige können sich aber auch selber Schwierigkeiten einhandeln. Wer auf der Autobahn unnötig langsam an einem Unfallort vorbei fährt, unterschreitet die Mindestgeschwindigkeit von 60 km/h. Dabei können laut ÖAMTC Strafen von bis zu 726 Euro drohen.
Wer Bilder von Unfallopfern veröffentlicht (das gilt auch für soziale Medien) verletzt meist deren Persönlichkeitsrecht: mehr dazu im Internet unter www.saferinternet.at/urheberrechte. Wird man vom Betroffenen geklagt, kann das teuer werden.
Wären strengere Gesetze sinnvoll? "Alles, was die Verkehrssicherheit in Österreich erhöht, ist gut. Ich werde mich mit dem Kuratorium für Verkehrssicherheit und anderen Experten zusammensetzen, um zu erarbeiten, wie man ein schärferes Vorgehen gegen Schaulustige im Gesetz formulieren kann", sagt SPÖ-Verkehrssprecher Anton Heinzl zum KURIER.
Andreas Ottenschläger, Verkehrssprecher der ÖVP, bremst: "Die Frage ist, wie der Vollzug stattfinden kann? Bereits jetzt leistet die Autobahngesellschaft Asfinag einen wichtigen Beitrag, in dem sie stellenweise einen fixen Sichtschutz auf den Mittelleitwänden errichtet."
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