Immer mehr Eltern wollen ihre Kinder selbst unterrichten
Die Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) schlägt Alarm: Im Schuljahr 2017/’18 wurden bundesweit 2330 Kinder für häuslichen Unterricht angemeldet. Den Leistungsnachweis erbrachten sie am Semesterende in Externistenprüfungen. Das ist in Österreich laut Staatsgrundgesetz zwar ein Grundrecht – nach Ansicht von Experten aber eine höchst fragwürdige Praxis.
Wiens Kinder- und Jugendanwalt, Ercan , spricht insofern von einem Riesenproblem. Denn zum einen müssen Eltern, die bei der jeweiligen Schulbehörde häuslichen Unterricht beantragen, weder fachliche oder pädagogische Eignungen, noch einen Lehrplan vorweisen können. Zum anderen werde den Kindern die soziale Interaktion in den Schulen vorenthalten. „Und Schule ist immer auch eine Entfaltungs- und Schutzzone“, erklärt Nik-Nafs.
So könnten Kinder, die zu Hause Opfer von Gewalt sind, dieser temporär entfliehen. Häuslicher Unterricht eigne sich im schlimmsten Fall aber dazu, Missstände in der Familie zu vertuschen. Seien es nun Gewalt, Verwahrlosung oder auch religiöser Fanatismus.
„Die Kriterien für Eltern müssten dringend verschärft werden“, sagt Nik-Nafs.
Ein Teil des Problems ist, dass die Schulbehörden den häuslichen Unterricht in den seltensten Fällen verhindern können. Käme man zum Schluss, dass dem Antrag „eine staatsfeindliche oder kindeswohlgefährdende Haltung“ zugrunde liege, sei das mit dem Ziel des österreichischen Schulwesens zwar nicht vereinbar, heißt es vom Wiener Stadtschulrat. Da es sich um ein Grundrecht handle, müssen die Eltern ihr Ansinnen der Behörde gegenüber allerdings nicht begründen. Dass es in Wien sogar zwei salafistische Familien geben soll, die ihre Kinder zum häuslichen Unterricht anmelden konnten, obwohl sie unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen, wird offiziell nicht bestätigt.
Wahlfreiheit bleibt
In Wien registriert man eine permanente Zunahme der Anträge. So wurden im Schuljahr 2016/’17 436 Anträge auf häuslichen Unterricht bewilligt und für ’17/’18 liege die endgültige Anzahl laut Stadtschulrat noch nicht vor. Die Erfahrung zeige aber, dass pro Jahr „zehn bis 20 Fälle“ dazu kämen.
Einer der Hauptgründe sei die prinzipielle Ablehnung staatlicher Schulbildung. Wie etwa durch die sogenannten Freilerner (die für ein selbstgesteuertes Lernen im Lebensumfeld des Kindes eintreten) oder andere Anhänger alternativer Bildungskonzepte.
Eine Gesetzesänderung ist unter der aktuellen Bundesregierung jedenfalls nicht in Sicht. Eine Verfassungsänderung sei nichts, was sich ein Minister wünscht, heißt es im Unterrichtsministerium. Die Wahlfreiheit für die Eltern solle erhalten bleiben. Zumal häuslicher Unterricht ohnehin „ziemlich zahm in Anspruch genommen“ werde.
Zumindest eine Gesetzesnovelle gilt ab 1. Jänner 2019. Während die Schulbehörden bis dato vier Wochen Zeit hatten, den Antrag von Eltern abzuwägen und zu eruieren, ob das Kindswohl gefährdet sein könnte, soll es ab da keine konkrete Frist mehr geben. Dadurch gewinne man zwar mehr Zeit, heißt es beim Wiener Stadtschulrat. Ein Qualitätsgewinn sei das aber nicht. Zurzeit erarbeitet man einen Leitfaden für Schulinspektoren, damit diese zumindest die Antragsgespräche einheitlich führen können.
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