Holocaust-Überlebender Rudi Gelbard ist 87-jährig gestorben

Holocaust-Überlebender Rudi Gelbard ist 87-jährig gestorben
Als einer der letzten Zeitzeugen der Nazi-Verbrechen hat Gelbard sein Wissen an nachfolgende Generationen weitergegeben.

"Überleben ist ein Privileg, das verpflichtet. Ich habe mich immer wieder gefragt, was ich für die tun kann, die nicht überlebt haben." - Das sagte Simon Wiesenthal, den Rudolf Gelbard immer wieder zitiert hat. Gelbard, einer der letzten österreichischen Zeitzeugen des Holocaust, ist in der Nacht auf Mittwoch im Alter von 87 Jahren in Wien gestorben, wie die Israelitische Kultusgemeinde dem KURIER bestätigte.

Am 4. Dezember 1930 in Wien geboren, war Gelbard ein glühender Mahner wider das Vergessen der Verbrechen des Nationalsozialismus

Gelbard erlebte am 9. November 1938 in Wien bewusst die Judenverfolgungen im Zuge der Novemberpogrome mit. Nach immer drückenderen Lebensumständen wurde er im Oktober 1942 ins KZ Theresienstadt verschleppt. 19 Mitglieder seiner Familie wurden ermordet, er selbst überlebte als eines der wenigen Kinder die Internierung in Theresienstadt und setzte sich danach für die Aufklärung über die NS-Verbrechen ein.

Antifaschist und Ombudsman-Redakteur

Nach seiner Befreiung 1945 holte Gelbard im Privatunterricht seine Schulbildung nach. Danach war er in Wien in der Firma seines Vaters, als Ministeriumsmitarbeiter und als Kaufmann beruflich tätig. Er war Mitglied der Sozialdemokratischen Freiheitskämpfer und dabei an zahlreichen antifaschistischen Aktionen, wie etwa einer Belagerung der Wiener Universität im Jahr 1946, beteiligt. 1965 erlebte er die Straßenauseinandersetzungen in Wien im Zuge der "Borodajkevic-Affäre" mit. Dabei wurde der ehemalige KZ-Häftling Ernst Kirchweger getötet.

Von 1975 bis 1990 war Gelbard als KURIER-Redakteur beschäftigt. Er war Mitglied der Ombudsman-Redaktion und Dokumentarist für Zeitgeschichte. An "Haiders Kampf" und anderen Büchern von Hans-Henning Scharsach hat er redaktionell mitgearbeitet. Zudem war Gelbard Beobachter bei zahlreichen Neonazi-Prozessen.

Im Dezember 1996 wurde er in den Bundesvorstand der FreiheitskämpferInnen gewählt und gehörte diesem bis zu seinem Tode an. Für sein Engagement erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. "Wir werden sein Andenken bewahren und in seinem Sinn weiter agieren", hieß es in einer Aussendung der Kultusgemeinde, wo er Mitglied der Kulturkommission war.

"Das wichtigste ist Information"

Sein unermüdlicher Einsatz galt seit vielen Jahren den Zeitzeugen-Vorträgen an Schulen und an der Universität Wien, in denen er sein Wissen über die Nazizeit an nachfolgende Generationen weitergab. Zuletzt war Gelbard noch beim Jüdischen Filmfestival Wien als Gastredner eingeladen.

"Information! Das wichtigste ist Information, um sich vor kommenden Gefahren zu wappnen", sagte Gelbard im Vorjahr zum KURIER. In dem ausführlichen Interview sprach der Zeitzeuge außerdem über Terrorangst, Antisemitismus, mögliche Einschränkungen der Demokratie und über österreichische Innenpolitik. 

Van der Bellen würdigt "wachsamen Mahner"

Österreich verliere "einen wichtigen Zeitzeugen der Schoah, einen wachsamen Mahner vor Antisemitismus und Intoleranz sowie einen engagierten Kämpfer für Demokratie, Humanismus und Rechtsstaatlichkeit", meinte Bundespräsident Alexander Van der Bellen in einer Aussendung.

"Seine Offenheit und Menschlichkeit haben dazu beigetragen, dass seine Stimme Gehör und seine Worte Gewicht fanden", betonte Van der Bellen und weiter: "In diesem Moment eines so schmerzlichen Verlustes ist es unsere gemeinsame Verpflichtung, das Erbe dieses großen Österreichers zu bewahren. Unser Mitgefühl ist bei seiner Familie und seinen Freundinnen und Freunden."

Auch Van der Bellens Vorgänger, Heinz Fischer, reagierte auf die "erschütternde Nachricht". Gelbard sei nicht nur Zeit seines Lebens ein glaubwürdiger Anti-Faschist, sondern auch ein genauer Kenner und präziser Kritiker des Kommunismus und Stalinismus gewesen, schrieb der ehemalige Bundespräsident, der auch ein enger Vertrauter des nun Verstorbenen war.

Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG), Oskar Deutsch, schrieb in einer Aussendung: "Wir werden Rudi Gelbard als einen erfahrenen und verlässlichen Mitstreiter vermissen. Mit ihm verlieren wir eine herausragende Persönlichkeit und einen engen Freund." Die Israelitische Kultusgemeinde werde Gelbard stets ein ehrendes Andenken wahren.

Holocaust-Überlebender Rudi Gelbard ist 87-jährig gestorben

Zahlreich waren auch die Reaktionen aus der Sozialdemokratie, Gelbards politischer Heimat. Trauerbekundungen kamen unter anderem aus der Bundespartei, der Wiener SPÖ, dem Parlamentsklub sowie der SPÖ-Delegation im Europäischen Parlament. "Mit Rudi Gelbard verlieren wir einen starken Antifaschisten, einen unermüdlichen Kämpfer für Humanität und Solidarität und wir verlieren einen großartigen Menschen", schrieb die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ).

Nicht nur Sozialdemokraten reagierten mit Betroffenheit, auch die NEOS würdigten den Zeitzeugen in einer Aussendung. Deren Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger verneigte sich "mit tiefem Respekt" und schrieb: "Gelbard hat sich sein ganzes Leben lang für Bildung und Aufklärung engagiert, hat mit Schülerinnen und Schülern gearbeitet und ist als Zeitzeuge und Mahner - auch vor der Verharmlosung von FPÖ-Einzelfällen - aufgetreten."

Sobotka würdigt "Sprachrohr für Opfer des Holocaust"

Tief betroffen zeigte sich Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP). Gelbard war "wie kein anderer ein Sprachrohr für die Opfer des Holocaust", würdigte er den Verstorbenen in einer Aussendung. Unermüdlich habe Gelbard seine Erlebnisse an junge Menschen weitergegeben, um an der nachhaltigen Demokratisierung des Landes mitzuwirken.

Auch das Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ) zeigte sich "tief betroffen" vom Tod Gelbards. "Wir verlieren nicht nur einen engagierten Freiheitskämpfer, sondern auch einen guten Freund und vor allem ein großes Vorbild", sagte Vorsitzender Willi Mernyi. Gelbard habe als Zeitzeuge mit seinen Vorträgen hohe Anerkennung und Wertschätzung erlangt.

"Wir trauern um Rudolf Gelbard. Er war ein wunderbarer und wichtiger Mensch", sagte Peter Pilz von der gleichnamigen Oppositionspartei. "Tief betrübt" zeigte sich der freiheitliche Nationalratsabgeordnete David Lasar. Zeit seines Lebens sei Gelbard eine mahnende Stimme gegen Intoleranz und Antisemitismus gewesen.

Für die Grünen würdigte Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou den Verstorbenen: "Mit ihm verliert Österreich, verliert Wien einen wichtigen Zeitzeugen der Schoah."

Stadt Wien stellt Ehrengrab bereit

"Wann immer uns ein Zeitzeuge des Holocaust verlässt, wird unsere Gesellschaft ärmer“, sagt Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) zum Ableben von Rudolf Gelbard. "Deshalb ist es unsere Pflicht ihr schwieriges Erbe anzutreten und Verantwortung für unser tägliches Handeln in der Gesellschaft zu übernehmen. ... Das sind wir Rudolf Gelbard - und uns selbst - schuldig.“

Die Stadt Wien, deren "Goldenes Verdienstzeichen" er trägt, stellt nun ein Ehrengrab am Zentralfriedhof zur Verfügung.

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