Görtschitztal: "Jetzt sterben die damaligen Kinder"

Am Friedhof in Klein St. Paul ruhen viele, die im Zementwerk gearbeitet haben
47 Asbestose-Neuerkrankungen im Görtschitztal in zwölf Jahren, ein Paar erzählt von den Schicksalsschlägen.

"Früher war das Görtschitztal das Tal der Könige, heute ist es das Tal des Todes. Im Verwandten- und Bekanntenkreis sterben jährlich drei bis vier Menschen, weil sie mit diesem Gift in Berührung gekommen sind. Aber darüber darf man hier nicht reden, weil der Verursacher der größte Arbeitgeber ist."

Manuela Berger (Name geändert) spricht über das "w&p"-Zementwerk in Klein St. Paul (Bezirk St. Veit). Sie spricht aber nicht über Hexachlorbenzol (HCB) sondern vielmehr über Asbestose und die tödlichen Folgen. Die Krankheit ist im Tal allgegenwärtig. Waren es einst die Arbeiter aus dem Zementwerk, die darunter litten, so sind es nun deren Kinder. Der Wiener Umweltanwalt Wolfgang List will Strafanzeige gegen das Zementwerk erstatten.

"Alle lebten gesund"

"Wietersdorfer", wie es einst genannt wurde, verarbeitete 60 Jahre lang Asbest – legal, versteht sich. Erst mit dem Verbot im Jahr 1977 wurde der Vorgang gestoppt. Was blieb, waren Krankheitsfälle. "Mein Vater hat im Werk gearbeitet. Er starb mit 63 an den Folgen der Asbestose. Es folgten Verwandte, Nachbarn, Freunde – in den vergangenen 15 Jahren weit über 30 Personen. Alle lebten gesund, niemand wurde älter als 65; meine Jugendfreundin nur 48. Der Asbestose-Tod ist furchtbar, es dauert kein Jahr von der Diagnose weg. Besser ist, du erschießt dich", erzählt Berger, die mit ihrem Ehemann seit der Kindheit im Tal lebt.

Asbestose ist eine chronische Lungenerkrankung, die durch das Einatmen von Asbestfasern entsteht. "Sie führt zu Rippenfellkrebs. Und die Krankheit kommt leider gehäuft im Görtschitztal vor – die Latenzzeit beträgt 20 bis 40 Jahre ab der Asbestexposition", erklärt Landessanitätsdirektorin Ilse Oberleitner.

Laut Auskunft des Kärntner Tumorregisters starben von 2001 bis 2013 in Kärnten 95 Menschen an den Folgen der Asbestose. Zum Vergleich: In Tirol waren es im selben Zeitraum 52 Todesfälle. Aussagekräftiger ist die Zahl der Asbestose-Neuerkrankungen, denn sie wird auch nach Bezirken ausgewertet: In St. Veit wurden in diesen zwölf Jahren 47 Fälle registriert, das ergibt eine Rate von 6,3 Fällen pro 100.000 Einwohner. Der Österreichweite Durchschnitt liegt bei 1,2 Fällen.

Zurück zur Familie Berger, die den subjektiven Eindruck hat, dass die Asbestose-Opfer immer jünger werden. "Erst starben die Werks-Arbeiter, dann die Ehefrauen, die das Gewand wuschen und jetzt sind die Kinder von damals dran. Wir kamen ja auch mit dem Asbest in Verbindung, haben am Werksgelände gespielt. Bei jedem Husten hast du die Panik", gestehen sie. Das Paar hofft, dass ihre Kinder einmal wegziehen. "Wir können nicht flüchten. Das Haus hat durch den HCB-Skandal an Wert verloren und niemand, der Verstand hat, zieht hierher." "w&p" hingegen stehe als Arbeitgeber sowie Sport- und Kulturförderer stets gut da.

Strafanzeige folgt

Anwalt List kündigt an, er werde Strafanzeige "gegen das Werk und damals zuständige Personen" erstellen. "Es besteht der Verdacht der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Umständen wegen des sorglosen Umgangs mit Asbest", sagt er. Die strafrechtliche Verjährungsfrist betrage fünf Jahre und beginne mit dem Tod der Asbestose-Opfer.

"w&p" reagiert gelassen. "Während der Verarbeitung von Asbest wurden die zum damaligen Zeitpunkt geltenden Sicherheitsvorschriften beachtet. Nach der Schließung wurden die Gebäude eingehaust, abgesaugt und geschleift", erklärt man.

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