Gewaltspirale dreht sich schneller

Gewaltspirale dreht sich schneller
Bei den Anzeigen zeigt sich ein Aufwärtstrend. Es gibt zu wenige Frauenhäuser.

Der mutmaßliche Doppelmord eines Wiener Polizisten, 23, an seiner 25-jährigen Kärntner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen, zwanzig Monate alten Sohn wirft für die Ermittler noch immer Fragen auf. Die Bluttat bringt aber auch das Thema Gewalt in der Familie wieder in die Schlagzeilen.

Denn im Vorjahr gab es österreichweit 135 Mord- und Totschlagversuche. 39 Menschen kamen dabei zu Tode. Maria Rösslhumer von den autonomen Frauenhäusern hebt bei der Thematik die Täter-Opfer-Beziehung hervor: "25 bis 30 Frauen wurden von ihren Partnern ermordet. Zum Teil vor den Augen der Kinder." Rösslhumer übt Kritik an der Justiz: "Diese Morde passieren meistens nicht aus heiterem Himmel, sondern sind häufig geplant. Es geht um Rache und Enttäuschung. Viele der Täter sind durch andere Gewalttaten vorbestraft. Die Justiz müsste sie nach Gefährlichkeits-Analysen in Haft nehmen."

Täter-Opfer-Beziehung

Doch Mord und Totschlag in Familien und Beziehungen haben in der Regel eine traurige Vorgeschichte. Gewaltdelikte wie Körperverletzung oder Nötigung kündigen die letzte Eskalationsstufe an. Die Statistik 2015 des Innenministeriums bestätig: Bei 61,5 Prozent der angezeigten Gewaltdelikte – das entspricht 20.560 Fällen – gab es eine Beziehung zwischen Täter und Opfer (Details siehe Grafik).

Im heurigen Sommer erinnerte Familienministerin Sophie Karmasin – im Zuge der internationalen Kinderrechte-Konferenz – an das Gewaltpotenzial in Österreich: "Eine aktuelle Studie zeigt, dass immer noch knapp 75 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher psychische und/oder physische Gewalterfahrungen in der Familie hatten." Die im Volksmund als "g’sunde Watschen" verharmloste Körperverletzung an Kindern wird, so die letzte Erhebung aus 2014, von knapp einem Drittel der Eltern noch immer eingesetzt.

Gewalt steigt leicht an

Dass Gewaltdelikte in Familien und Partnerschaften leicht im Steigen begriffen sind, führen Experten auch auf den wachsenden Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund zurück. Nicht weil es mehr Übergriffe, aber längere Gewalt-Phasen gibt. Rösslhumer erklärt: "Frauen haben es hier ganz schwer. Das Umfeld akzeptiert eine Trennung nicht. Auch die Übergriffe gegen die Kinder anzuzeigen ist, zumindest in der älteren Generation, eine Rarität." Die Expertin räumt weiters mit einem gängigen Vorurteil auf: "Gewalt in der Familie gibt es natürlich auch in den bestens situierten Kreisen. Und zwar gar nicht so selten."

Zu wenig Frauenhäuser

Wie prekär die Gewalt-Situation im Lande ist, zeigt der Umstand, dass alle 30 Frauenhäuser (vier in Wien) laufend ausgelastet sind. 2015 mussten knapp über 300 hilfesuchende Mütter und Frauen abgewiesen werden, weil es keinen Platz mehr gab.

Die Exekutive hat mit Übergriffen jede Menge Arbeit (siehe unten). Jurist Ewald Filler, Kinder und Jugendanwalt im Familienministerium: "Die Beamten agieren vorbildlich. Gewalt in der Familie ist kein Tabuthema mehr. Und Wegweisungen verhindern Schlimmeres."

Opferschutz bedeutet auch das Arbeiten mit Aggressoren

Erfolgsprojekt der Polizei Döbling wird in ganz Österreich eingesetzt. Wiederholungsgefahr wird verringert

Gewaltprävention bedeutet Arbeit mit Opfern. Vor zehn Jahren riefen Johann Golob, Werner Schweiger und Adolf Wagner aber ein Projekt ins Leben, in dem sich die Polizei auch intensiv mit Tätern bzw. Gefährdern beschäftigt.Im vergangenen Jahr wurde die komplexe Opferarbeit verpflichtend im Sicherheitspolizeigesetz verankert.

Gewaltspirale dreht sich schneller
Komplexe Opferarbeit
KURIER: Warum kamen Sie auf die Idee, die Gewaltprävention neu zu gestalten?
Adolf Wagner:Im Jahr 2006 gab es in 25 Prozent der Fälle von Gewalt in Beziehung eine Folgetat. Das heißt, die Gefährder hielten sich nicht an die Wegweisung oder wurden wieder gewalttätig. Durch die komplexe Opferarbeit konnte diese Zahl auf unter zehn Prozent in Wien minimiert werden.

Wie genau funktioniert die komplexe Opferarbeit?
Werner Schweiger: Es gibt in allen Stadtpolizeikommandos in Wien ein bis zwei speziell geschulte Beamte. Wenn eine Streife zu einem Einsatz gerufen wird, erfahren die Polizisten schon auf dem Weg, ob es dort vorher Fälle von häuslicher Gewalt gegeben hat. So können die Polizisten schon vor Ort darauf eingehen. Später wird der Akt an die Spezialisten weitergegeben, die dann mit dem Opfer reden, um sich auch ein Bild zur Gesamtsituation machen zu können. Wie ist die Aggression entstanden? Was war der Auslöser? Mit diesen Hintergrundinformationen wird dann aber auch mit dem Gefährder gesprochen.

Zeigen sich die Gefährder kooperativ?
Werner Schweiger: Wir wollen ihnen damit klarmachen, welche Folgen das gewalttätige Verhalten hat – rechtlich, sozial und auch beruflich. Man erfährt dadurch, was dahintersteckt. Manchmal geht es um Scheidung oder andere familiäre Probleme. Nach dem Gespräch sagen die Gefährder oft sogar, dass es das erste Mal war, dass ihnen jemand wirklich zugehört hat. So wird das Gewaltpotenzial und damit die Wiederholungsgefahr enorm verringert.

Johann Golob: Gestartet haben wir mit dem Projekt in Döbling vor rund zehn Jahren. Wir haben gesehen, dass es häusliche Gewalt in allen sozialen Schichten gibt. Es war uns dabei wichtig, Beamte darauf zu spezialisieren, sodass sie sich auch die notwendige Zeit nehmen können für die Menschen und unsere Kollegen im Regeldienst entlastet werden.

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