Ärzte: Nachwuchsprobleme und Überalterung

Symbolbild
Bereits 78 Prozent der Allgemeinmediziner in Österreich sind über 50 Jahre alt.

Es ist ein schwerer Rucksack an Problemen, den die neue Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) von ihrem Vorgänger Alois Stöger übernehmen muss. Eine der gravierendsten Herausforderungen, der sie sich in den nächsten Jahren stellen muss: Die Ärzteschaft hat ein akutes Nachwuchsproblem. Immer weniger Jungmediziner streben eine Karriere als Allgemeinmediziner mit eigener Ordination an.

Die Folge: Die bestehende Ärzteschaft ist mittlerweile massiv überaltert. Mit der erwartbaren großen Pensionierungswelle in den nächsten Jahren drohen massive Versorgungsengpässe, warnt die Ärztekammer. "Es herrscht bereits Alarmstufe Rot", sagt Johannes Steinhart, Vizepräsident der Standesvertretung. Mit anderen Worten: Das klassische Berufsbild des Hausarztes droht buchstäblich auszusterben.

Überalterung

Wie dramatisch die Situation ist, zeigt eine aktuelle parlamentarische Anfrage, die noch von Alois Stöger beantwortet wurde. 81 Prozent der 3733 niedergelassenen Fachärzte mit Kassenvertrag sind älter als 50 Jahre. In Kärnten sind es sogar 92 Prozent (siehe Grafik unten).

Bei den Allgemeinmedizinern ist die Lage kaum besser: Auch hier sind bereits 78 Prozent älter als 50, negativer Spitzenreiter ist abermals Kärnten mit 91 Prozent.

Umgekehrt gibt es kaum noch junge Ärzte mit Kassenverträgen: Bei den Allgemeinmedizinern ist gerade einmal ein Prozent jünger als 34 Jahre, bei den Fachärzten weist die Statistik null Prozent aus.

Gerade bei den Kassen-Allgemeinmedizinern lässt sich jetzt schon eine Verdünnung der Versorgung feststellen. Ein Phänomen das Stadt und Land gleichermaßen betrifft: Im ländlichen Raum gingen seit 2004 insgesamt 93 Kassenstellen verloren (minus fünf Prozent), in den Großstädten waren es sieben Prozent. Immerhin: Bei den Facharzt-Praxen gibt es noch Zuwächse.

Für Steinhart trägt die Politik die Verantwortung für diese Entwicklung: Die Rahmenbedingungen für Jungmediziner seien so schlecht, dass sie nach dem Studium lieber einen Job im Ausland annehmen, als in einer Landgemeinde Praktischer Arzt zu werden. Besonders abschreckend sei das dürftige Honorierungssystem und der zunehmende Wust an Bürokratie (siehe Interview unten).

Dabei hat Österreich im internationalen Vergleich eine sehr hohe Ärztedichte. Ein beträchtlicher Teil der Personalressourcen wird allerdings durch den Spitalsbereich gebunden, der in Österreich traditionell sehr stark ausgebaut ist. Und immer mehr Ärzte eröffnen eine Wahlarztpraxis ohne Kassenvertrag.

Mögliche Lösungen

Um eine Unterversorgung vor allem der ländlichen Regionen zu verhindern, schlägt der Wiener Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer den Ausbau von Gruppenpraxen vor. Länder wie etwa Großbritannien hätten diesen Weg bereits eingeschlagen und damit das Problem in den Griff bekommen.

In dieselbe Kerbe schlägt auch das Gesundheitsministerium. Dort kann man sich laut Anfrage-Beantwortung unter anderem vorstellen, dass künftig Ärzte Kollegen anstellen können. Hier brauche es aber noch eine entsprechende verfassungsrechtliche Bestimmung. Denkbar sei auch, dass in Gruppenpraxen neben Ärzten auch weitere Gesundheitsberufe Gesellschafter werden können. Auch die Arbeitsbedingungen für Gesundheitsberufe sollen verbessert werden, heißt es im neuen Konzept zur Primärversorgung. Stichwort: Flexible und familienorientierte Arbeitszeiten.

Ärztekammer-Vizepräsident Steinhart drängt auf die rasche Umsetzung dieser Pläne: "Es ist nicht damit getan, sie einfach nur in ein Papier hineinzuschreiben."

Ärzte: Nachwuchsprobleme und Überalterung

Johannes Steinhart ist Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer.

KURIER: Herr Dr. Steinhart, was sind die Gründe für den Nachwuchsmangel im niedergelassenen Versorgungsbereich?
Johannes Steinhart: Die beruflichen Rahmenbedingungen sind bei uns so schlecht, dass wir pro Jahr Hunderte Jungmediziner an Länder wie die Schweiz, Deutschland oder nach Skandinavien verlieren. Schuld daran ist unter anderem das katastrophale Honorierungssystem. Während Hunderte Millionen Euro in elektronische Gesundheitsakte ELGA investiert werden, gibt es hier keine Anpassungen an den aktuellen Stand der Erfordernisse. Ein Patientenbesuch beim Hausarzt wird mit 40 Euro abgegolten. Sehen Sie sich an, was im Vergleich dazu ein Handwerker allein für die Anfahrt bekommt.

Was sind weitere Faktoren, die den Arztberuf so unattraktiv machen?
Die Ärzte haben massiv unter Bürokratie zu leiden. Bewilligungsverfahren werden immer komplexer. Selbst bei Medikamenten, die vielleicht ein paar Euro kosten, ist der Aufwand für Genehmigungen enorm. Mit ELGA wird der Beruf nur noch bürokratischer. Seit Jahren weisen wir auf diese Probleme hin, doch wir finden kein Gehör.

Wie wirken sich die Nachbesetzungsprobleme in den Arztpraxen auf die Patienten aus?
Es droht eine Verschärfung der schon bestehenden Zwei-Klassen-Medizin. Die, die es sich leisten können, werden private Angebote nutzen. Die anderen werden enorme Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. Und die sehr teuren Ambulanzen werden noch mehr überquellen.

Künftig soll es Lehrpraxen geben, um die Ausbildung zu attraktivieren. Werden sie das Problem entschärfen?
Ich fürchte, dass es nicht viele Lehrpraxen geben wird. Es fehlt an der nötigen Finanzierung. Es kann nicht sein, dass dafür die Ärzte selbst aufkommen müssen.

Was erhoffen Sie sich von der neuen Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser?
Nachdem sie selbst Ärztin ist, gehe ich davon aus, dass sie stärker als ihr Vorgänger die ärztliche Perspektive mitberücksichtigt. Das würde dem Gesundheitssystem guttun.

In einer parlamentarischen Anfrage wollte Norbert Hofer (FPÖ) wissen, ob es möglich sei, in der Seewinkelgemeinde Podersdorf eine zweite Planstelle für einen Allgemeinmediziner einzurichten. Begründung: Podersdorf mit seinen rund 2000 Einwohnern sei eine Tourismus-Gemeinde, und vor allem in den Sommermonaten sei die medizinische Versorgung nicht gewährleistet. Für den damaligen Gesundheitsminister Alois Stöger war das „besondere touristische Aufkommen“ aber kein Grund, sich hier für eine zweite Planstelle einzusetzen. Österreichs Ärztekammer lässt dazu ausrichten, dass das touristische Aufkommen in der Praxis bereits bei der Kassenstelle berücksichtigt werde.

Podersdorfs Bürgermeister Andreas Steiner „weiß nicht, wie Hofer daraufkommt“, aber er hätte nichts gegen einen zweiten Gemeindearzt. „Nur, das wird’s nicht spielen“, sagt Steiner. Überlegenswert wäre es aber, zumindest während der Sommermonate einen zusätzlichen Arzt mit Kassenvertrag zu bekommen. „Immerhin urlauben rund 2000 Gäste bei uns.“

Für den Direktor der Burgenländischen Gebietskrankenkasse, Christian Moder, ist das kein Thema: „Es gibt keine befristeten Verträge.“ Er glaube auch nicht, dass durch den Tourismus die Nachfrage ärztlicher Betreuung verstärkt auftrete.

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