Auf dem Ötztaler Gletscher hat der Winter Einzug gehalten. Neben der Bergstation der Tiefenbachbahn schweift der Blick über eine verschneite Bergwelt. Von einer Aussichtsplattform ist auch das gegenüberliegende Skigebiet des Pitztaler Gletschers zu sehen.
Der dazwischenliegende Linke Fernerkogel scheint von diesem Steg zum Greifen nahe. Der Berg und die Gletscherflächen an seinen Flanken stehen im Mittelpunkt der Begehrlichkeiten der Pitztaler und Söldener Bergbahnen. Sie wollen diese noch unverbaute Naturlandschaft mit Liften erschließen.
Flug über das geplante Skigebiet
Dabei sollen nicht nur die beiden Skigebiete verbunden werden, sondern auch 64 Hektar neuer Pisten entstehen. Der Widerstand der Naturschützer gegen das Projekt ist groß. Denn die dafür notwendigen Eingriffe sind massiv.
Das geplante Absprengen einer Gratspitze an der Seite des Linken Fernerkogels ist zum Symbol des Protests geworden. Sie soll um 36 Meter gekürzt werden, um darauf eine Liftstation zu errichten.
Bei einem Lokalaugenschein wollten die Projektbetreiber ihr Vorhaben am Mittwoch verteidigen. Es gehe nicht darum, einen ganzen Berg zu sprengen, wie manche Medien behauptet hatten. Das freilich allein für das Schleifen des Berggrats 120.000 Kubikmeter Fels abgetragen werden müssten, steht außer Streit.
„Umzingelt von Liften“
Für Jakob Falkner „schreit die Logik nach dieser Verbindung“. Denn, so der Geschäftsführer der Bergbahnen Sölden, die in dem Ötztaler Wintersportort auch die Bahnen auf den Gletscher betreiben: „Dieses Gebiet ist umzingelt von Liften. Wir verbinden zwei Täler.“
Und das sei „in Zeiten wie diesen umso wichtiger“. Ja, damit sei der Klimawandel gemeint, sagt Falkner auf Nachfrage. „Wo wird es eher Schnee haben: Von 2.500 Metern aufwärts oder unterhalb?“, lautet seine Logik.
Warum in Zeiten des Klimawandels auf dem Gletscher gebaut werden soll, sei für ihn daher schnell erklärbar, sagt der Ötztaler: „Wir beeinflussen das Klima nicht. Was wir wissen ist, dass wir auf den Gletschern sicher Skifahren, bevor wir irgendwo anders Skifahren.“
Jakob Falkner, Geschäftsführer Bergbahnen Sölden, zum Klimawandel
Um das zu gewährleisten, feuern dieser kühlen Tage die Schneekanonen aber selbst auf dem Ötztaler Gletscher aus allen Rohren. Auch wenn das Skigebiet am Tiefenbachferner auf einer Höhe von 2.793 bis 3.249 Metern liegt.
Wie sehr die globale Erwärmung die heimische Skitourismus-Branche schon jetzt fordert, zeigen auch die Investitionen in die Beschneiung. 114 Millionen Euro waren es alleine im vergangenen Jahr.
Aus unternehmerischer Sicht mag unter diesen Vorzeichen die Schaffung des größten Gletscherskigebiets Europas durchaus Charme haben. Argumentiert wird von den Projektwerbern jedoch vor allem mit der Strukturschwäche des Pitztals, das ohne dieses Vorhaben seiner Zukunftschancen beraubt werde.
Tatsächlich könnten die beiden Täler, die über ihre Gletscher verbunden werden sollen, nicht unterschiedlicher sein. Dort das von vorn bis hinten hochtouristisch erschlossene Ötztal. Allein in Sölden werden jeden Winter über zwei Millionen Nächtigungen verzeichnet. Nur Wien kann das toppen.
Im benachbarten strukturschwachen Pitztal bestimmen nicht Bettenburgen, sondern vor allem Häuser mit Ferienwohnungen das touristische Bild. Ein Talidyll, das in Tirol selten geworden ist. Daran würde sich auch durch den Zusammenschluss nichts ändern, glaubt Philipp Eiter.
Gemeinsam mit anderen jungen Wirtschaftstreibenden hat sich der Betreiber einer Après-Ski-Bar aus St. Leonhard zur Initiative „Lebensraum Pitztal“ zusammengeschlossen, die sich für das Projekt starkmacht.
„Das Pitztal lebt vom Wintertourismus. Wir kämpfen mit Nächtigungsrückgängen“, sagt der 38-Jährige. Ein Blick in die Statistik zeigt jedoch, dass die Winternächtigungen in St. Leonhard viel eher von Jahr zu Jahr stark schwanken.
100.000 Unterschriften
Die wirtschaftliche Situation werde dramatischer geschildert, als sie sei, sagt Gert Estermann. Der Tiroler hat eine Online-Petition gegen die Gletscherehe gestartet, die bereits vergangene Woche die Marke von 100.000 Unterschriften geknackt hat.
Er ist überzeugt, dass in Zukunft gerade unverbaute Natur „ein Wertfaktor sein wird, der uns die Touristen bringt.“ Die würden wegen der schönen Landschaft kommen. Und nicht wegen noch mehr Liftstützen. Mit dem Argument von Jack Falkner, wonach das Projektgebiet ohnehin bereits von Liften umzingelt sei, kann Estermann daher auch wenig anfangen.
Gerd Estermann, Initiator Petition gegen Gletscherehe
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