Gemeinde kämpft um Heilstollen: Durchatmen im Bergwerk
„Ich hab’ gedacht, die Bevölkerung wird sagen, jetzt spinnt er, der Bürgermeister“, schmunzelt Mario Angerer. „Aber im Gegenteil, den Leuten gefällt die Idee.“
Und so wurde der verschüttete Gotthardistollen, der Eingang zum 1932 stillgelegten Kupferbergwerk in Kalwang, erst sorgsam freigelegt, abgesichert und dann die Luft darin gemessen: Kalwang will dort einen Heilstollen einrichten, ähnlich jenen in Bad Gastein oder Oberzeiring.
Das soll Kurgäste bringen und Kalwang zum „exklusiven steirischen Gesundheitsdorf als europäische Modellgemeinde im ländlichen Raum“ machen, wie es im Entwicklungskonzept des Ortes festgeschrieben ist. Angerer, seit 2007 ÖVP-Langzeitbürgermeister der Marktgemeinde im Bezirk Leoben, hat schon ein Pflegeheim mit rund 100 Betten in die Ortschaft geholt und ist fest überzeugt, dass auch sein Plan des Heilstollens aufgeht.
Anerkennung ist durch
Das o.k. des Eigentümers, der Familie Liechtenstein, hat die Gemeinde bereits. Auch die Anerkennung des Landes nach dem Heilmittel und Kurortegesetz liegt vor: 13 Monate lange Untersuchungen eines Forscherteams der Montanuniversität Leoben ergaben, dass sich das Mikroklima im Stollen zur Behandlung von Lungenbeschwerden eigne.
Eine Luftfeuchtigkeit von rund 90 Prozent, dazu kühle, nahezu staubfreie Luft um die acht Grad, 200 Meter im Inneren des alten Bergwerks: In der Kaverne könnten unter anderem Patienten mit allergischem Asthma oder chronischer Bronchitis durchatmen, aber auch jene Menschen, die an Lungenbeeinträchtigungen durch Long Covid leiden. Kalwang wäre der erst fünfte Heilstollen in Österreich.
Investitionsprogramm
Nun arbeite man an einem Betriebsplan, beschreibt Angerer, in dessen Gemeinde auch ein Unfallkrankenhaus der AUVA steht. Darüber hinaus muss auch an die Unterbringung der Kurgäste gedacht werden, dazu ist ein eigenes neues Hotel nötig – Geld, das über Investoren kommen soll.
„Wenn das alles aufgeht, dann ergibt sich ja noch das eine oder andere“, sinniert der Bürgermeister. „Vielleicht ein Kur-Café, Wohnungen.“ Wie viel das gesamte Projekt kosten könnte, ist noch offen. Der Ausbau des Gotthardistollens wird jedenfalls vorerst mit zwei Millionen Euro beziffert.
Petition läuft
Das Interesse an dem Projekt sei da, aber: Die Umsetzung stehe und falle mit der Möglichkeit, dass die Kurgäste von Sozialversicherungen zugewiesen werden, heißt es. Dazu muss der Heilstollen Kalwang aber in den Bundesrehabilitationsplan aufgenommen werden. Dieser wird alle fünf Jahre überarbeitet, der neue gilt ab 2025.
Doch Angerer fühlt sich von Landes- wie Bundespolitik ein bisschen „im Regen stehen gelassen“, jetzt, wo die Vorarbeit getan sei: „Dabei sagen alle, man muss den ländlichen Raum stärken. Das tun wir mit dem Projekt.“
Deshalb geht die Gemeinde mit einer Onlinepetition in die Offensive und hofft auf Unterschriften www.openpetition. eu/at/petition/online/ein-wegweisendes-projekt-fuer-unsereregion-heilstollen-kalwang. „Die Chancen für die Marktgemeinde wären enorm“, versichert der Ortschef. „Neue Arbeitsplätze, der Zuzug von jungen Menschen.“
Zur Hochblüte der Kupferabbaus hatte Kalwang 1.700 Einwohnerinnen und Einwohner, rund 1.000 sind es jetzt. „Das Problem mit Abwanderung haben wir zwar nicht, aber mit Überalterung“, betont Angerer. „Da haben wir zwei Möglichkeiten: Entweder wir tun etwas oder wir werden immer weniger.“
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Ausbilden und üben: Was in anderen Stollen passiert
Mindestens seit dem elften Jahrhundert wird am Erzberg im obersteirischen Eisenerz Gestein abgebaut. Auch heute noch, allerdings nur im Tagbau. Ein Teil der stillgelegten, kilometerlangen Stollen hat dadurch eine neue Nutzung erfahren:
Im Oktober 2021 wurde das „Zentrum am Berg“ eröffnet, das an die Montanuniversität Leoben angegliedert ist und Ausbildung außerhalb des Hörsaals verspricht. Doch auch Einsatzkräfte von Feuerwehrleuten bis Rettungsmitarbeitern können es für Übungen nützen.
Um rund 30 Millionen Euro wurde in einigen Stollen ein Tunnelforschungszentrum eingerichtet: Es besteht aus insgesamt vier miteinander verbundenen Tunnel mit jeweils 400 Meter Länge, zwei Straßentunnel und zwei Eisenbahntunnel. Sie sind, was Sicherheitsvorkehrungen, Größe oder Ausstattung betrifft, identisch mit den in Österreich üblichen Tunnels.
Brände und Bergungen
Das soll Übungen unter gesicherten Bedingungen, aber so nahe wie möglich an der Realität erlauben. Insgesamt ist die Anlage vier Kilometer lang, Brandversuche mit (Elektro-)Autos wurden hier ebenso bereits durchgeführt wie Rettungs- und Bergeeinsätze im verqualmten Tunnel. Auch Grubenunglücke können in dem obersteirischen Forschungszentrum realitätsnah simuliert werden, um die notwendigen Hilfseinsätze durchzuspielen.
Doch das Zentrum ist noch viel breiter ausgelegt: Militär und Polizei könnten Maßnahmen gegen Terrorbedrohungen – etwa einen Anschlag in einer U-Bahn – oder auch Geiselnahmen üben. Das ist kein unwahrscheinliches Szenario, so forderte 1995 ein Giftgasanschlag in der U-Bahn von Tokio 13 Tote und 6.000 Verletzte.
Die Montanuniversitä selbst nützt die Anlage für die Wissenschaft, die wiederum der Wirtschaft dienen soll: So gehen Forscherinnen und Forscher der Frage nach, wie Stollen bei Tunnelbauten verfestigt werden können oder welche Drainagesysteme das anfallende Grundwasser besser ableiten.
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