Gefängnisarchitektin: "Morgen sind das wieder unsere Nachbarn"

In der Justizanstalt Stein
Gefängnisarchitektin Andrea Seelich erklärt, warum in Stein die Fenster so hoch sind und was sie an bunten Gefängnissen stört.

Für Februar kündigte Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) ein Standortkonzept für Österreichs Strafanstalten an. Es verzögert sich offenbar, so wie die seit Jahren angekündigte Reform des Maßnahmenvollzugs. Jedenfalls könnte sie über kurz oder lang den Neubau wie die Schließung einzelner Anstalten bedeuten. Die österreichische Gefängnisarchitektin Andrea Seelich hat im Laufe ihrer Karriere 102 Justizvollzugsanstalten in ganz Europa besucht. Sie erklärt, welche Fehler beim Bau und Betrieb von Gefängnissen gemacht werden und wie es besser gehen würde - um Justizvollzugsbeamten wie Gefangenen das Leben zu erleichtern.

Gefängnisarchitektin: "Morgen sind das wieder unsere Nachbarn"
andrea seelich, honorarfrei

Sie haben ein Jahr lang auf neun Quadratmetern gelebt, um sich besser in Häftlinge hineinversetzen zu können. Wie war das für Sie?

Zu behaupten, dass ich mich deshalb besser in Häftlinge hineinversetzen kann, wäre anmaßend. Die neun Quadratmeter sind nur einer der Faktoren, die Haft ausmachen. In der Haft ist man in einer ganz anderen psychologischen Situation, kann sich den Tagesablauf nicht selbst gestalten, ist fremdbestimmt. Die neun Quadratmeter waren für mich wichtig, um zu sehen, wie die Raumwirkung ist, wenn ich so einen kleinen Lebensraum zur Verfügung habe.

Was waren ihre wichtigsten Erkenntnisse?

Erträglich war das nur, weil ich den Raum jederzeit verlassen konnte. Aber ich konnte mein Hab und Gut durchaus gut unterbringen, wenn ich den Raum sinnvoll gestalte. Ich habe auch Freunde eingeladen auf den neun Quadratmetern. Was ganz bedeutend ist, ist die Aussicht: Je enger das Innen, desto wichtiger das Außen. Das Fenster darf nicht zu groß sein, sonst wird das Innen eine Auslage und man hat keine Privatsphäre mehr – das wurde in Gefängnissen, auch in Österreich, leider öfter mal gemacht.

Österreich will neue Gefängnisse bauen. Würde Sie der Minister fragen: Was wäre Ihr wichtigster Ratschlag?

Nach zwanzig Jahren Erfahrung habe ich manche Gefängnisse über Jahre begleitet und was sich zeigt, ist, dass jene Gefängnisse am besten funktionieren, wo ein kleines Team von Fachleuten am Bau gearbeitet hat – weil es dann keine Verantwortungsdiffusion gibt. Zudem kostet das auch weniger Geld. Das Wichtigste für ein Gefängnis ist, dass es nutzernah ist; es muss auf die Bedürfnisse des Personals und der Insassen eingehen. Es muss also beim Planungsprozess bereits ein Betriebskonzept stehen. Das Problem bei den Bauten der letzten Jahre war, dass viele Leute am Tisch sitzen und keiner von denen kann einen Grundriss lesen. Damit meine ich nicht, zu sehen, wo ein Fenster oder eine Tür ist, sondern welche Art von Strafvollzug dort möglich, wo es Gefahrenpotential gibt. Ich kann am Grundriss erkennen, wo es zu Übergriffen kommen wird, und ich habe leider die Erfahrung gemacht, dass ich mich da nicht irre.

Welche Fehler werden bei der Architektur oft gemacht?

Es ist oft so, und das ist eigentlich auch verständlich, dass Architekten zum ersten Mal ins Gefängnis kommen und sich denken: Oh Gott, lauter Mörder! Um diese Angst zu überwinden, nimmt er die Haltung ein, dass das nur schlimme Buben sind. Er fängt an, die Gefangenen nicht als erwachsene Menschen zu sehen, sondern sie zu verkindlichen und so schaut dann auch die Architektur aus. Dann gibt es plötzlich Schubladen mit Rollen unter Betten und so Unsinn. Ich sehe in diesen Bauten oft knallbunte Farben – das ist eine Farbgestaltung, die in einer Zeitschrift spannend ist, aber wer hat zuhause einen knallbunten Fußboden? Alles ist so lustig und bunt. Ein Gefängnis ist aber nicht lustig und bunt, sondern es geht darum, wie ich meiner Frau begegnen kann, die mich jetzt hoffentlich nicht verlässt, obwohl ich eingesperrt bin in den nächsten fünf Jahren. Darum, dass Besuche möglich sind, ohne dass die Frau von anderen Insassen durch Zurufe belästigt wird.

Gefängnisarchitektin: "Morgen sind das wieder unsere Nachbarn"
ABD0074_20150529 - PUCH-URSTEIN - ÖSTERREICH: THEMENBILD: Ein Justizwachebeamter in der Salzburger Justizanstalt in Puch-Urstein am Freitag, 29. Mai 2015. - FOTO: APA/BARBARA GINDL

Muss man vor einem Gefängnisbau schon wissen, wer die Insassen sein werden, also ob es Jugendliche, Untersuchungshäftlinge oder geistig Abnorme sein werden?

Fast jede Insassenart braucht eine andere Betreuung. Wenn Gruppen nicht durchmischt sind wie in der freien Gesellschaft, wenn also nur Männer mit Männern und Frauen mit Frauen zusammenleben, werden alle negativen Eigenschaften potenziert. Bei Männern knallt es einmal, und dann ist wieder Ruhe. Bei Frauen ist es so, die können sich sehr lange piesacken mit ganz gemeinen Dingen. Jugendliche mögen es gerne dunkel, das ist im Gefängnis natürlich sehr unerwünscht. Es sind auch so kleine Dinge, dass es Vorhänge gibt, die man zuziehen kann. Ein gutes Gefängnis ist auch eines, in dem das Personal gut miteinander umgehen kann, in dem die Arbeitsplatzbedingungen passen.

Welche Wünsche und Anliegen hören Sie einerseits von Gefangenen und andererseits von Justizwachebeamten?

Erstaunlicherweise haben sie oft dieselben Bedürfnisse: Etwas mehr Privatsphäre. Zum Beispiel: Wo kann ich meine Sachen unterbringen?

Wo widersprechen sich die Anforderungen für Personal und Insassen?

Das ist das Kernthema der Gefängnisarchitektur: Die einen wollen raus, die anderen hindern sie daran. Die einen verstecken was, die anderen suchen es. Das hat natürlich auch bauliche Maßnahmen zur Folge. Aber was sie wiederum eint: Personal wie Insassen wollen einen ruhigen Alltag. Je näher das Personal am Insassen ist, desto höher ist das Resozialisierungspotential. Je mehr Arbeitsmöglichkeiten es für Insassen gibt, desto ruhiger ist die Atmosphäre.

Gefängnisarchitektin: "Morgen sind das wieder unsere Nachbarn"
APA20582076-3_09102014 - KREMS/STEIN - ÖSTERREICH: THEMENBILD - Illustration zum Thema Justizanstalt / Strafvollzug / Maßnahmenvollzug. Der Hochsicherheitstrakt der Justizanstalt Stein aufgenommen am Donnerstag, 2. Oktober 2014, in Krems (Niederösterreich). Die Justizanstalt Stein ist die zweitgrößte Justizanstalt Österreichs. In Stein werden ausschließlich Strafgefangene mit langen Haftzeiten bis lebenslang untergebracht. Zusätzlich können auch Häftlinge des Maßnahmenvollzugs (§ 21 Abs. 2 StGB) untergebracht werden. (ARCHIVBILD VOM 02.10.2014) FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
Welche Erkenntnisse gibt es da, wie das Zusammenleben friedlicher werden kann?

Ein Beispiel, in den meisten Gefängnissen Europas ist es so: Wenn man sich gut benimmt, bekommt man Vergünstigungen, darf immer mehr Dinge im Haftraum haben und sich quasi hochdienen. Das hat zur Folge, dass jene, die frisch ins Gefängnis kommen, nichts haben, und die, die schon länger dort sind, schwarz mit den Dingen handeln, die die anderen vielleicht brauchen, aber noch nicht haben dürfen. In der Justizanstalt Oldenburg in Deutschland gab es eine Umkehr im Betreuungskonzept: Jeder, der kommt, bekommt sofort alles und kann es verlieren, wenn er sich daneben benimmt. Das heißt, es gibt kaum Schwarzhandel und die Insassen benehmen sich anständig, weil sie nichts verlieren wollen.

"Jeder, der kommt, bekommt sofort alles" – es fällt nicht schwer, sich da empörte Schlagzeilen des Boulevards vorzustellen. Sind Gefängnisse da auch in der Populismusfalle?

Da gibt es eine simple Antwort: Wenn jemand eine Straftat begeht und ins Gefängnis kommt, ist es der gesetzliche Auftrag, ihm zu einem straffreien Leben zu verhelfen, indem man ihm jede Unterstützung gibt, die er braucht. Der Vorteil ist, wenn ich in den Insassen investiere, steigt die Chance, dass er nicht rückfällig wird. Wenn er rückfällig wird, gibt es ein Opfer, dann trifft es einen von uns. Wir investieren also nicht in den Insassen, sondern in unser aller Sicherheit. Investition in den Strafvollzug ist potentieller Opferschutz.

Die Vorstellung, die man von Gefängnisarchitektur hat, ist das panoptische Prinzip, also Gefängnisse so zu errichten, dass die Justizwachebeamten möglichst viel überblicken können. Herrscht das weiterhin vor?

Das panoptische Prinzip ging von der damaligen Ideologie des Strafvollzugs aus und hat der zu hundert Prozent entsprochen. Jedes bauliche Detail, das Sie in der Justizanstalt Stein sehen, geht Hand in Hand mit dieser Vorstellung. Zum Beispiel die sehr hoch angesetzten Fenster, bei 1,80 oder 2 Metern, wo man nicht hinunter-, sondern hinaufschaut. Das war nicht, damit man nicht in den Hof sieht. Es war, damit man den Blick zum Himmel lenkt und das Beten fördert. Für das Bewusstwerden von Gott. Damals stand in den Betreuungskonzepten, dass man an dem Tag, an dem man die Tat begangen hat, Buße tun muss. Das war sehr eng mit einer religiösen Vorstellung von Schuld und Sühne verbunden und deckt sich in vielen Bereichen nicht mehr mit dem aktuellen Strafvollzug.

Gefängnisarchitektin: "Morgen sind das wieder unsere Nachbarn"

Was hat sich umgekehrt bewährt?

Es ist oft so, dass Architekten, die Gefängnisse planen, glauben, sie müssen ein supertolles modernes Design machen und Betten an die Wände klemmen. Das ist nichts, das zu einem besseren Strafvollzug beiträgt, sondern nur etwas, das mehr Geld kostet. Oft gibt es designte Möbel, die nicht selbst repariert werden können. Aber wenn etwas von den Insassen selbst repariert werden kann, wird es nicht beschädigt – einen Stuhl, den ich selbst repariert habe, beschädige ich nicht. Das stärkt die Verantwortung für mein eigenes Tun.

Und für die Justizwachebeamte?

In der Justizanstalt Düsseldorf sind die Geschossdecken wie in der panoptischen Bauweise weiter durchbrochen, weil man dann hört, was in einem anderen Geschoss passiert, ob es laut ist oder plötzlich ganz ruhig wird. Ein Justizwachebeamter arbeitet ja mit allen seinen Sinnen, wenn man den vor einen Überwachungsmonitor setzt, nutzt man nicht sein ganzes Potential aus. Wenn die Stimmung im Gefängnis kippt, spüre ich das als Beamter.

Wenn Sie sich die Gefängnisse in Österreich anschauen: Wie bewerten Sie diese?

Das Schlechteste, das ich erlebt habe, und zwar über viele Jahre immer wieder, ist die Josefstadt. Weil zu viele Leute auf viel zu wenig Raum mit viel zu wenigen Möglichkeiten untergebracht werden. Das müsste man reduzieren, so viel wie nur geht. Eine Möglichkeit wäre, die Institution des Jugendgerichtshofs wieder aufzubauen. Die Josefstadt ist auch baulich wirklich schlecht, die Räume sind furchtbar. Es ist auch nicht schön, dort zu arbeiten. Es gibt keine Möglichkeiten, kurz rauszugehen; die Menschen, die dort arbeiten, tun mir wirklich leid.

Was sind positive Beispiele?

Am besten gefallen mir zwei Außenstellen. In Rottenstein, das zur Justizanstalt Klagenfurt gehört, hat es der Anstaltsleiter geschafft, eine Ökonomie aufzubauen und bestimmte Projekte stattfinden zu lassen. Die andere ist Oberfucha, das zu Stein gehört, wo mit hauseigenen Mitteln die räumlichen Begebenheiten verbessert wurden. In beiden herrscht offener Vollzug, in dem die Insassen auf die Entlassung vorbereitet werden. Am besten entlässt man einen Insassen, indem er eine Wohnung und einen Arbeitsplatz hat, er versichert ist und gültige Papiere hat. Damit er nicht am Bahnhof sitzt und nach drei Tagen am Bahnhof wieder eine Straftat setzt. Man muss sich bei Gefangenen immer bewusst sein: Morgen sind diese Leute wieder unsere Nachbarn.

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