Gefälschte Forschung am Fließband
Mehr als 60 wissenschaftliche Arbeiten schrieb Johannes Karl in den vergangenen zwei Jahren. Indes: Für keine davon erhielt einen Titel. Denn Karl arbeitet für eine der größten Ghostwriting-Agenturen im deutschsprachigen Raum: Deren Mitarbeiter verfassen rund 1000 wissenschaftliche Arbeiten pro Jahr. Ein Drittel der Aufträge kommt von Studenten aus Österreich. Und die zahlen dafür von 3000 bis 50.000 Euro (siehe Info).
Ein Umstand, der den FPÖ-Abgeordneten Axel Kassegger empört: "Dass man als Student überhaupt an so etwas denkt, ist eigentlich nicht akzeptabel", sagt er. Daher brachte er Mitte Oktober eine parlamentarische Anfrage ein, wie man gegen das Fremdverfassen wissenschaftlicher Arbeiten effizienter vorgehen könnte.
Geringes Risiko
Tatsächlich gehen Studenten, die Ghostwriter beauftragen, kein nennenswertes Risiko ein: Beim Nachweis einer Fälschung wird zwar der Titel aberkannt – der Betroffene kann aber eine neue Arbeit schreiben (lassen) und einreichen. Die Ghostwriter selbst sind rechtlich ebenfalls nicht zu belangen.
Das weiß auch Karl – dennoch ist Karl ein Deckname. Er schreibe derzeit an seiner Dissertation und wolle die Professoren nicht gegen sich aufbringen. "Wenn ich damit fertig bin, überlege ich, unter meinem richtigen Namen aufzutreten", sagt er.
Derzeit ist er jedenfalls zufrieden mit seinem Job. Nach seinem Studium der Anglistik arbeitete er zuerst in der Produktion am Fließband. Dies erfüllte ihn nicht, lieber wollte er Texte verfassen. Daher bewarb er sich bei der Agentur "Acad Write" – für die er nun quasi Forschung am Fließband betreibt: Täglich erhält er zwei bis fünf Anfragen für wissenschaftliche Arbeiten, und er entscheidet, welche Aufträge er annimmt.
Einige Studenten kämen mit einer fast fertigen Arbeit, die nur noch einen Feinschliff benötigt. Andere wiederum hätten bloß eine vage Vorstellung. "In diesem Fall erledige ich alles: Ich formuliere eine Forschungsfrage, entwerfe ein Exposé und schreibe die Arbeit", schildert Karl. Eine komplette Diplomarbeit schaffe er mittlerweile innerhalb eines Monats – für seine eigene brauchte er einst noch zweieinhalb Jahre.
Wer lässt schreiben?
Doch wer beauftragt Ghostwriter – und warum? "Es sind Männer, Frauen, junge Studenten, Seniorstudenten und sogar wissenschaftliche Mitarbeiter", beschreibt Karl. Viele haben neben ihrem Vollzeitjob schlicht zu wenig Zeit. "Gerade in Österreich bezeichne ich viele Kunden auch als Opfer des Systems ", sagt Karl. Bürokratische Hürden – auslaufende Studienpläne und dergleichen – bringen Studenten unter Zeitdruck: Ohne Hilfe würden sie den Abschluss nicht rechtzeitig schaffen.
"Unfähigkeit und Faulheit spielen meist keine Rolle", betont auch Thomas Nemet, Gründer von "Acad Write". Moralisch sei seiner Branche nichts vorzuwerfen, sagt er: "Wir decken bloß einen Bedarf ab." Und er ergänzt: "Würden die Hochschulen ihren Job richtig machen, gäbe es uns nicht."
Hermann Mückler, Universitätsprofessor am Wiener Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, betreute bereits mehr als 200 Abschlussarbeiten. Plagiate sowie Fälschungen seien in der Wissenschaft immer schon Thema gewesen, weiß er.
Auch er hatte vereinzelt den Verdacht, das Werk eines Ghostwriters in Händen zu halten: "Etwa dann, wenn ein Kandidat bei der Diplomprüfung über seine eigene Arbeit kaum Bescheid weiß." Doch was tun? "Man könnte alte Seminararbeiten heraussuchen und den Stil vergleichen", erklärt Mückler. Diese werden an den Unis jedoch nur zwei Jahre lang aufbewahrt. Vor allem aber wäre es enorm zeitaufwendig: "Dafür müsste ich schon einen Privatdetektiv engagieren", sagt Mückler und lacht.
"Brauchen Mittelweg"
Dafür hat auch Kassegger Verständnis: "Das kann nicht die Aufgabe eines Professors sein. Ich habe selbst Diplomarbeiten betreut und weiß, wie viel Arbeit das ist." Er betont, harte Strafen abzulehnen: "Wir bräuchten einen Mittelweg – zwischen gar keinen und zu harten Konsequenzen." Immerhin verdiene ein Student, der einen Fehler gemacht habe, eine zweite Chance. Daher wolle er nun Möglichkeiten erarbeiten, wie man gegen Ghostwriting vorgehen könnte.
Würde Karl weiter als Ghostwriter arbeiten, wenn es illegal wäre? "Nein, in dem Fall höre ich auf", sagt er.
Kontakt zu den „Ghosts": Möchte man einen Ghostwriter engagieren, kann man dazu etwa eine Agentur wie „Acad Write“ kontaktieren. Dort arbeiten rund 350 freiberufliche Autoren, die Arbeiten aller Fachrichtungen verfassen. Auch über Suchmaschinen findet man im Internet viele Ghostwriter: Zumeist kann man sie über anonyme eMail-Adressen kontaktieren.
Preise: Abgesehen davon, dass das Erkaufen eines Abschlusses moralisch fragwürdig ist, ist es sehr teuer: 4000 bis 5000 Euro kosten Diplomarbeiten im Schnitt bei „Acad Writing“. Sind außerdem komplexe Forschungsarbeiten nötig, können die Kosten in seltenen Fällen bis zu 50.000 Euro betragen.
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