"Frieden? Muss mich damit abfinden"

Maria Lausch mit ihrem Sohn Andreas in der Gedenkstätte.
Vor zehn Jahren endete der Prozess mit Freisprüchen. Gespräch mit zwei Hinterbliebenen

Andreas Lausch war sieben Jahre alt, als er am 11. November 2000 in den Gletscherdrachen am Kitzsteinhorn stieg. Sein Vater Gerhard nahm den nächsten Zug, die Kitzsteingams. Der heute 21-Jährige und seine Mutter Maria (51) sprechen mit dem KURIER über die Brandkatastrophe und ihre Hintergründe, die in einem neuen Buch aufgearbeitet werden.

KURIER: Zehn Jahre ist es her, dass der Kaprun-Prozess mit Freisprüchen geendet hat. Habt ihr mittlerweile euren Frieden damit gefunden?

"Frieden? Muss mich damit abfinden"
Maria Lausch in ihrer Wohnsidelung in Kaprun, dahinter das Kitzsteinhorn Bild: Walter Schweinöster
Maria Lausch: Frieden? Ich muss mich halt damit abfinden. Der Fall ist abgeschlossen, da bin ich auch erleichtert. Es war ein jahrelanger Rechtsstreit voller Pannen und leerer Versprechungen.

Andreas Lausch: Beim Prozess ist herausgekommen, was jeder erwartet hat: gar nichts. Manche wollten weiterkämpfen, denen ist es wohl ums Geld gegangen. Das finde ich überflüssig. Und wenn ich 100 Millionen kriege, das ersetzt meinen Vater nicht.

Jetzt erscheint ein Buch, das den Fall noch einmal aufrollt. Wie geht es euch dabei?

Maria: Für die Angehörigen ist es sicher interessant, das zu lesen. Es beschäftigt mich bis heute, ob da wirklich gepfuscht worden ist.

Andreas: Nur die, die dabei waren, die am Berg oben waren, die Rauchwolke gesehen, das Chaos und die Panik miterlebt haben, wissen, was da passiert ist.

Andreas, du warst damals noch ein Kind. Woran erinnerst du dich?

"Frieden? Muss mich damit abfinden"
Gerhard Lausch als Skilehrer Repro: Walter Schweinöster
Andreas: An alles. Mein Vater und ich sind in der Früh raufgefahren und haben uns vor dem Zug angestellt. Als ich eingestiegen bin, ist hinter mir der Schranken zugegangen. Dahinter ist mein Vater gestanden. Er war dann in dem Zug, der gebrannt hat.

Maria: Mein Sohn hatte einen Schutzengel, und das war eine Trainerin. Er wollte umdrehen und mit seinem Vater mitfahren, aber sie hat ihn mit rauf genommen. Sonst wären beide in diesem Zug gewesen. Das war Schicksal.

Andreas: Der Papa kommt nach, hat es geheißen. Von oben im Sportheim, wo ich auf ihn gewartet habe, hab ich dann die Rauchwolke gesehen. Da habe ich gewusst, er kommt nicht mehr.

Maria, wie haben Sie den 11. November 2000 erlebt?

Maria: Der Abschied war hektisch, ohne Bussi, ohne allem. Ich hab in die Arbeit müssen und zu ihnen gesagt: "Schaut’s, dass ihr verschwindet, wir sehen uns beim Mittagessen." Von meiner Arbeit aus habe ich kurz nach 9 den Rauch am Kitzsteinhorn gesehen. Die stundenlange Warterei war grausig. Am Abend ist der Andi vom Berg heruntergekommen und hat geschrien: "Ich weiß eh, dass der Papa tot ist. Erzählt mir nichts, ich bin nicht dumm." Ich hatte einen Zusammenbruch, war dann drei Wochen im Krankenhaus. Bis eine Freundin mich wachgerüttelt hat. Du hast ein Kind, hat sie gesagt, es muss weitergehen.

Wie habt ihr beide diese Tragödie verarbeitet?

Maria: Es war nicht einfach. Ich habe versucht, beides für meinen Sohn zu sein – Mutter und Vater. Da stößt man an seine Grenzen. Es gibt heute noch viele Situationen, wo der Gerhard fehlt.

Andreas: Ich bin ganz normal weiter in die Schule gegangen, habe meine Freunde gehabt. Die wissen, dass ich damit abgeschlossen habe. Wütend sein bringt nichts mehr.

Wie ist euer Umfeld danach mit euch umgegangen?

Maria: Wenn ich ein Formular ausfüllen muss, dabei "Witwe" und als Datum den 11.11.2000 schreibe, kennt sich jeder aus. Das hat sich tief eingeprägt. Bis heute wissen manche Leute nicht so recht, wie sie reagieren sollen. Ich brauche kein Mitleid. Ich habe mir mein Leben gerichtet. Trotzdem hätte ich meinen Mann gerne an meiner Seite.

Wäre es leichter für euch, wenn es einen Schuldigen gäbe?

Andreas: Diejenigen, die einen Fehler gemacht haben, wissen es schon. Die müssen damit leben. Ich muss nicht jeden Abend einschlafen und mir denken, ich bin verantwortlich für den Tod von 155 Menschen.

155 Menschen sterben am 11.11. 2000 beim Brand der Gletscherbahn von Kaprun. Nur zwölf Menschen überleben, weil sie mit Skiern Löcher in die Plexiglasscheiben schlagen, durch die sie flüchten können. 2004 werden alle 16 Angeklagten – Vertreter der Gletscherbahn, des Zugherstellers, des Verkehrsministeriums und des TÜV – freigesprochen.

Ein Heizlüfter deutscher Produktion mit "Produktions- und Konstruktionsfehler" war Brandauslöser, so der Richter. Nach einer Anzeige gegen den Heizlüfter-Hersteller ermittelt die deutsche Staatsanwaltschaft und kommt zu gänzlich anderen Ergebnissen: Der Heizlüfter ist für Bad und WC gebaut worden und hat in einem Fahrzeug nichts verloren. Darüber hinaus wurde er zerlegt und für den Einbau konstruktiv verändert.

Es ist die finale Aufarbeitung eines nationalen Traumas. Zehn Jahre nach den Freisprüchen im Kaprun-Prozess stellen der KURIER-Redakteur Hannes Uhl und der deutsche Journalist Hubertus Godeysen das Buch "155" vor.

Die Autoren zeichnen ein ganz neues Bild von der Katastrophe, von den Ermittlungen und vom Prozess. Mit schmerzhafter Detailtreue erzählen sie von schlampiger Ermittlungsarbeit, verschwundenen Beweismitteln und davon, wie die Wahrheit erst durch Ermittlungen deutscher Behörden ans Licht kommt.

Das Buch wird am Montag in Wien präsentiert. Am Dienstag startet der KURIER eine Serie, die die größte Katastrophe der Zweiten Republik in ein neues Licht rückt.

"155 – Kriminalfall Kaprun" von Godeysen/Uhl, erschienen in der edition a. 19,90 €

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