Wortklauberei in Wien, Dramatik in Spielfeld
Kurz vor 18 Uhr eskalierte die Lage erneut an der Grenze bei Spielfeld. Etwa 4000 Flüchtlinge brachen vom slowenischen Lager Sentilj über die österreichische Grenze durch. Die Menschen in Spielfeld fürchteten wieder einen Durchmarsch, die Feuerwehr bezog Position an der Zufahrtsstraße. Doch der Durchmarsch blieb aus. Die Flüchtlinge blieben vorerst im Lager, um auf den Weitertransport zu warten.
Insgesamt 6000 Menschen befanden sich damit in dem für 3000 Personen konzipierten Lager. Mindestens 2000 sollten noch in der Nacht in andere Notunterkünfte gebracht werden.
Aufgrund des Andrangs hatte die Polizei zwischenzeitlich überlegt, aus Sicherheitsgründen die Schleusen ganz zu öffnen. Man wollte so vermeiden, dass Menschen im Gedränge verletzt werden, hieß es vonseiten der Exekutive.
Dabei war es schon zu Mittag zu einer lebensgefährlichen Eskalation gekommen – für die Flüchtlinge, aber ebenso für die Einsatzkräfte. Seit den frühen Morgenstunden hatten auf slowenischer Seite tausende Schutzsuchende ohne jegliche Versorgung auf der Wiese gewartet. Darunter auch Alte, Kranke und Kleinkinder. Plötzlich drückten sie gegen den provisorischen Zaun der österreichischen Aufnahmestelle. Es kam zum Tumult. Schmerzensschreie waren zu hören. Menschen stiegen über andere hinweg. Manche versuchten, über den Zaun zu klettern.
Flüchtlinge und Soldaten zogen Kleinkinder aus der Menge und halfen ihnen so über den Zaun, sie wären sonst erdrückt worden. Heeres-Dolmetscher mit Lautsprechern versuchten die Menge zu beruhigen. Soldaten fischten einige Aufrührer aus der Masse der Flüchtlinge heraus. Nachdem ein zweiter Ausgang geöffnet wurde, beruhigte sich die Lage.
Bessere Aufteilung
Die Schutzsuchenden kommen unversorgt aus Slowenien, und sind mit ihren Kräften und Nerven am Ende. Deshalb begrüßen Einsatzkräfte die von Innenministerin Mikl-Leitner angekündigten baulichen Maßnahmen (siehe unten), einschließlich eines lokalen Grenzzaunes. Dann könnten solch gefährliche Ballungen vermieden werden.
Das Aufteilen der großen Menge von Flüchtlingen in kleine Gruppen ist sozusagen das Patentrezept der Aufnahmestelle. Dort werden sie in Gruppen von jeweils 50 Personen aufgeteilt. Diese Gruppen sind beherrschbar, und haben in einen Autobus Platz.
Immer heftiger diskutiert wird die Frage, wie lange die Einsatzkräfte die Belastungen durch den Flüchtlingsansturm noch aushalten. Die 1500 eingesetzten Berufssoldaten (KIOP) müssen im November abgelöst werden. Es gibt aber nur 2200 KIOP-Soldaten beim Bundesheer.
Kritik an Klug
Die strikte Weisung von Verteidigungsminister Gerald Klug, keine Rekruten im sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatz einzusetzen, stößt vor allem bei der Jungen ÖVP auf Misstrauen.
JVP-Generalsekretär Stefan Schnöll weist darauf hin, dass Rekruten 20 Jahre lang die Ostgrenze überwacht hätten. In der Weigerung Klugs, auch jetzt wieder Rekruten an die Grenze zu schicken, vermutet er die Absicht des SP-Ministers, ein Berufsheer "durch die Hintertür einzuführen" zu wollen.
Ein Sprecher von Minister Klug weist darauf hin, dass der derzeit laufende Flüchtlingseinsatz mit dem früheren Grenzeinsatz nicht vergleichbar sei. Und mit den vorhandenen Kaderpräsenzeinheiten sei auch ein längerer Einsatz möglich.
Ein Grenzzaun kann keine Lösung für das Flüchtlingsproblem sein", sagte ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner nicht nur bei seinem ORF-Sommergespräch im August. "Zu glauben, dass man etwas mit einem Zaun lösen kann, halte ich für falsch", sagte SPÖ-Kanzler Werner Faymann nicht nur bei seinem ORF-Sommergespräch.
Nun ist solch eine Absperrung in Österreich Thema. "Natürlich geht es auch um einen Zaun", sagte ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, gefragt, was sie mit "baulichen Maßnahmen" an der Grenze zu Slowenien meint. Das brachte Faymann in die Bredouille. Die ÖVP will die Flüchtlingspolitik neuerdings ja verschärfen, die SPÖ mag das nicht. Faymann hat Ungarns Orbán wegen des Zaunbaus gescholten. Ergo ließ der Kanzler nach der Regierungssitzung wissen: "Österreich wird nicht eingezäunt! Es geht nicht darum, die Grenzen dichtzumachen, sondern darum, die ankommenden Leute besser kontrollieren zu können." Und weil die Koalitionäre nicht schon wieder als Streithanseln dastehen wollen, sagte auch Mitterlehner: Es gehe um "technische Sicherungen im Grenzbereich". Faymann redete von Containern: "Wie viele Meter das sind, wie hoch, wie breit, sollen die Experten vorschlagen."
Semantik hin oder her – worum es den Regierenden auch geht, sprach der Vizekanzler aus: Nicht den Eindruck zu erwecken, "dass man ohnmächtig zuschaut, wie Menschen über die Grenze strömen"; Bilder zu vermeiden, die glauben machten, "jeder spaziert hier über die Grenze". Fachleute prüfen nun, mit welchen "technischen Maßnahmen" das zu verhindern ist; in zehn Tagen soll es das Ergebnis geben. Wobei Faymann wie Mitterlehner betonen, sich mit dem Nachbarland, in das das Gros der Flüchtlinge will, abzustimmen: "Wir werden bei uns nichts errichten, worüber wir uns bei den Deutschen ärgern würden."
Kapazitätsgrenze
Amnesty Österreich und Caritas missfallen die Barrikaden-Pläne ("Zäune und Mauern gegen Menschen in Not sind Ausdruck des Versagens der Politik"); Bundespräsident Heinz Fischer goutiert sie. Österreich sei "an die Grenzen der Kapazitäten gestoßen", befand er im Kosovo, wo er dienstlich bis Donnerstag ist. Die Tausenden Menschen, die nach Deutschland marschierten, "schaffen große organisatorische und logistische Probleme". Derer wollen die Regierenden auch mit mehr Personal Herr werden. Bis zu 2000 zusätzliche Polizisten könnte es geben.
Am Abend sprach EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit Faymann über die Angelegenheit. Beide waren sich einig, "dass Zäune keinen Platz in Europa haben".
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