Favoriten ist Österreichs heißestes Pflaster
Während es die Verbrecher in die Städte zieht, versieht der Großteil der 27.387 Polizisten Österreichs einen relativ ruhigen Dienst in den ländlichen Regionen. Der Rechnungshof fordert daher umfangreiche Personalumschichtungen und einen Kahlschlag bei den 96 Polizeiinspektionen in Wien.
Der Rechnungshof ermittelte österreichweit das Verhältnis zwischen Polizisten und Strafanzeigen. Das heißeste Pflaster ist Wien – und der heißeste Ort Österreichs ist der Bezirk Favoriten. 200.820 Anzeigen im Jahr 2011 ergaben bei 6925 Polizisten eine Pro-Kopf-Anzeigenquote von 28,9. Im Burgenland kamen auf einen Beamten nur 6,79 Anzeigen. Von den 100 Behördensprengeln sind 14 die Polizeidirektionen der großen Städte. Diese verarbeiteten aber 56 Prozent der 540.000 Anzeigen. Besonders hoch ist der Arbeitsdruck auch für die Polizisten in Graz. Dort werden 40 Prozent aller Anzeigen des Bundeslandes Steiermark erstattet.
Grenzpolizei
Die stärksten „nicht nachvollziehbaren“ Unterschiede zwischen dem Anteil der Straftaten und dem Anteil der Exekutivbediensteten haben die Bundesländer mit einer ehemaligen Schengen-Außengrenze. Das erklärt ein Insider im Innenministerium mit der ehemaligen Grenzgendarmerie und den in den Polizeidienst übernommenen Zollwachebeamten. Diese genießen Versetzungsschutz, und man müsse auf „natürliche Abgänge“ warten, um ihre Dienstposten in die Städte zu transferieren.
Aber auch dort soll nach dem Willen der Rechnungshofprüfer kein Stein auf dem anderen bleiben. Sie fordern die radikale Auflösung der 96 Polizeiinspektionen in Wien. Die Wiener Polizisten sollten künftig in 23 Zentralinspektionen zusammengefasst werden. Dadurch könne man 265 Beamte mehr auf die Straße schicken. Mit der Maßnahme ließe sich zudem die in Wien sehr unterschiedliche Arbeitsbelastung ausgeglichen werden. Laut Statistik (siehe Grafik) muss ein Beamter am Hotspot Favoriten fast doppelt so viel arbeiten wie ein Polizist in Döbling.
Widerstände sind vorprogrammiert. Polizeigewerkschafter Hermann Greilinger fürchtet, dass die angestrebten Reduktionen berufliche Nachteile für die Beamten mit sich bringt. Der Versuch im vergangenen Jahr, einige Polizeiinspektionen in den Nachstunden zu sperren, musste sehr bald wegen regionaler Widerstände wieder aufgegeben werden.
Der Wiener Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl fordert von der Politik die Rückendeckung für umfassende Reformen.
KURIER: Kann man durch das Gegenrechnen von Anzeigen und Beamten die Notwendigkeit für eine Reform ableiten?
Gerhard Pürstl: Mit Zahlen kann man das alleine nicht ausdrücken. Die polizeiliche Grundversorgung muss gewährleistet werden. Aber mit den derzeitigen Strukturen bin ich selbst nicht zufrieden. Ich nehme die Rechnungshof-Empfehlungen sehr ernst.
Heißt das, Sie fordern auch mehr Polizisten aus den Bundesländern für Wien?
Natürlich habe ich das Interesse, dass städtische Ballungsgebiete so ausgestattet werden, dass Belastungsgerechtigkeit herrscht. Die Ungleichverteilung muss man sich anschauen, und dann ein Konzept für ganz Österreich machen.
Laut Rechnungshof sollen Sie die Zahl der Wachzimmer von 96 auf 23 reduzieren. Haben Sie dann noch Platz für zusätzliche Beamte?
Eine Reduktion der 96 Standorte auf 23 halte ich für Utopie. Aber bei der vorhandenen Struktur herrscht dringender Handlungsbedarf. Die Wachzimmerstruktur stammt aus den 70er-Jahren, und ist nicht mehr zeitgemäß. Der Bürger hat inzwischen andere Bedürfnisse.
Was hat sich seit damals geändert?
Damals lief der Bürger noch zum Wachzimmer, wenn er Hilfe brauchte. Außerdem waren dort das Meldewesen und die Fundstelle. Weiters hatten wir die Spitalsbettenvermittlung. Das ist jetzt alles weggefallen. Die Menschen kommunizieren heute mit dem Handy über den Notruf 133. Der verzeichnet pro Tag bis zu 4000 Anrufe.
Die Schließungen während der Nachtstunden sind gescheitert. Halten Sie so eine tief greifende Reform für realistisch?
Die Entwicklung und die Umsetzung eines Konzeptes dauert 10 bis 12 Jahre. Zuerst brauchen wir die politische Willensbildung, dass die Polizei in Ruhe ein Konzept entwickeln kann. Den Startschuss dazu muss die nächste Regierung geben.
Wie schaut der Fahrplan einer Reform aus?
Zuerst brauchen wir eine Bürgerbefragung. Auch die Stadtentwicklung ist zu berücksichtigen. Und natürlich wird es eine Anschubfinanzierung benötigen.
Jetzt ist es quasi amtlich: Der Wiener Bezirk Favoriten ist die unsicherste Gegend Österreichs, wie ein dem KURIER vorliegender Rechnungshof-Bericht zeigt. Der schleichende Niedergang des Riesen-Bezirks, nur drei U-Bahn-Stationen von der Innenstadt entfernt, lässt sich mit freiem Auge seit Jahren verfolgen. Man kann der Wiener Stadtregierung daher eine unangenehme Frage nicht ersparen: Wäre der „niedrige zweistellige Millionen-Euro-Betrag“ (genaue Zahlen werden verheimlicht), den die Grünen als „Spielgeld“ für ihr Auto-raus-Projekt in den reichen Bezirken 6/7 zur Verfügung hatten, nicht besser im armen zehnten Bezirk angelegt gewesen? Die triste Laxenburger Straße hätte Investitionen dringend nötig. Die Favoritenstraße, obwohl Fußgängerzone, hat ebenfalls schon bessere Tage gesehen. Erstaunlich ist, dass die Sozialdemokraten den traditionell „roten“ Arbeiterbezirk (und andere, ähnliche Problem-Regionen) kampflos den Blauen überlassen. Und dass es den grünen Multikulti-Fans egal ist, wenn eine Gegend mit hohem Ausländeranteil zur No-go-Zone wird, wo Salafisten offen um Nachwuchs werben und machtvolle Pro-Erdoğan-Demonstrationen ihren Ausgang nehmen. Kein Wunder, dass sich die Bürger dort zunehmend von der Politik verlassen fühlen. Der Kanzler bekam einen Wutanfall, als ihn FP-Chef Strache im TV-Duell vor der Wahl mit türkischsprachigen SPÖ-Plakaten konfrontierte. Gefälscht, hieß es. Aber in Favoriten hingen zumindest vom dortigen SP-Kandidaten Dutzende türkische Plakate.
Der Rechnungshof fordert mehr Polizisten für Wien. Noch viel nötiger ist aber, nicht ganze Regionen verkommen zu lassen, in denen Ausländerintegration misslingt, weil die Communitys unter sich bleiben. Das lässt sich später auch durch keine Schulreform mehr reparieren.
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