Fall Seisenbacher: Kurz macht Druck
Peter Seisenbacher soll ein neues Leben führen: Bescheiden, in einer Wohnung in Kiew (Ukraine). Mit seiner neuen Lebensgefährtin soll er ein Kind haben. „Es gefällt ihm hier sehr gut, aber er ist hier gewissermaßen ein Gefangener, weil er keinen Pass hat und nicht ausreisen kann“, sagt ein Kontaktmann, der regelmäßig mit ihm in Verbindung ist, zum KURIER. Leben soll er von der finanziellen Unterstützung von Freunden. „Das geht eine Zeit lang, aber Dauerlösung ist es wohl keine.“
Die Causa Seisenbacher ist zur Chefsache geworden. Kanzler Sebastian Kurz brachte das Thema bei seinem heiklen Besuch beim ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zur Sprache. Er erwarte eine „rasche Entscheidung“, damit der Ex-Judoka nach Österreich ausgeliefert werden könne.
Keine Auslieferung
Wobei: Auslieferung wird es keine geben. Diese hatte ein ukrainisches Gericht bereits abgewiesen. Grund: Die Vorwürfe gegen den ehemaligen Spitzensportler – konkret soll er in seiner Funktion als Judo-Nachwuchstrainer mehrere Mädchen sexuell missbraucht haben – sind nach ukrainischem Recht bereits verjährt.
Seisenbacher selbst hat kein Interesse daran, nach Österreich zurückzukehren. „Er sagt, dass ihn in Österreich kein faires Verfahren erwartet“, schildert sein Kontaktmann. Bereits im Dezember 2017 hatte er den Prozess in Wien platzen lassen und war untergetaucht.
Neuer Gerichtstermin
Seisenbachers ukrainischer Anwalt dürfte jedenfalls sämtliche Register ziehen, um die Rechtswege in die Länge zu ziehen. So forderte die ukrainische Migrationsbehörde Seisenbacher schon im Vorjahr auf, das Land zu verlassen – doch Seisenbacher suchte um politisches Asyl an. Zwar dürfte auch dieses Ansuchen negativ entschieden worden sein – doch noch sind nicht alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft. Konkret soll sich das Kiewer Verwaltungsgericht am 11. September mit dem eingelegten Rechtsmittel beschäftigen.
Sollte auch in diesem Verfahren gegen den Österreicher entschieden werden, könnte eine sofortige Aufforderung zum Verlassen des Landes folgen. In diesem Fall besteht keine Verpflichtung der ukrainischen Behörden, die Österreicher zu informieren. Theoretisch kann Seisenbacher aber nur (legal) ausreisen, wenn er einen gültigen Reisepass besitzt. Das ist aktuell nicht der Fall. Er müsste sich mit der österreichischen Botschaft in Kiew in Kontakt setzen.
Ziel: Transnistrien?
Möglich ist auch, dass Seisenbacher erneut innerhalb der Ukraine abtaucht – oder sich in ein anderes Land absetzt. Dann würde die internationale Fahndung wieder schlagend. Ein mögliches Ziel für den zweifachen Olympiasieger könnte das benachbarte Transnistrien sein – ein abtrünniger Teil Moldawiens, der die Selbstständigkeit anstrebt. Ein rechtsfreier Raum, in dem Seisenbacher wohl nicht damit rechnen muss, ausgeliefert zu werden und in dem Zielfahnder wenig Erfolg hätten.
Die Rechtsanwälte des 58-Jährigen hüllen sich in Schweigen. Sowohl der ukrainische Advokat als auch der Grazer Verteidiger Bernhard Lehofer sagen dazu: „Kein Kommentar.“
Chronologie
- Herbst 2013: Die Staatsanwaltschaft Wien leitet Ermittlungen gegen Peter Seisenbacher ein, weil es Gerüchte über Missbrauch an Unmündigen gibt. Die Vorwürfe reichen bis ins Jahr 1997 zurück.
- Oktober 2016:Gegen den ehemaligen Olympiasieger wird eine Anklage wegen Kindesmissbrauchs erhoben.
- 19. Dezember 2016:Seisenbacher erscheint nicht zu seinem Prozess am Wiener Landesgericht.
- Dezember 2016:Gegen den damals 56-Jährigen wird ein Haftbefehl erlassen, der weltweit ausgeschrieben wird.
- 1. August 2017:Peter Seisenbacher wird nach über siebenmonatiger Flucht in Kiew von Beamten der ukrainischen Kriminalpolizei verhaftet.
- 2. August 2017:Ein ukrainisches Bezirksgericht verhängt die Auslieferungshaft über den Doppelolympiasieger.
- 8. September 2017: Seisenbacher wird aus der Auslieferungshaft entlassen, das Verfahren auf freiem Fuß weitergeführt.
- 28. September 2017:Die Rechtsmittel gegen eine Entscheidung eines Kiewer Gerichts werden zurückgezogen.
- Oktober 2017: Das ukrainische Justizministerium lehnt die Auslieferung ab, dem Österreicher droht wegen des Fremdenrecht s eine Abschiebung. Seisenbacher legt dagegen Rechtsmittel ein. Das Kiewer Gericht weißt diese zurück.
- November 2017:Der Ex-Judoka legt danach noch zwei Mal Rechtsmittel ein.
- 20. März 2018:Der Ex-Sportler bleibt einer Verhandlung in Kiew fern und bewirkt so eine Aufschiebung des Prozesses.
- 15. Mai 2018: Ein Verwaltungsgericht in Kiew beschäftigt sich erneut mit einer Klage von Seisenbacher. Der Österreicher dürfte gegen die Ablehnung von Asyl Rechtsmittel eingelegt haben. Es wird ein neuer Termin ausgesucht.
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