Immer weniger Insekten: Wer rettet Bienen und Bauern?
Die Fakten liegen längst am Tisch und sind beunruhigend bis schockierend: Es gibt immer weniger Insekten – deutsche Studien zeigen einen Rückgang von mindestens 70 Prozent. Und es gibt immer weniger Vögel auf den Feldern – in Europa wurde der Bestand halbiert.
Lange Nahrungskette
Bevor Sie mit den Achseln zucken: Die Insekten fressen ja etwas, und sie werden gefressen, sind also Glieder einer langen Nahrungsmittelkette. Und einige davon – vor allem die Bienen und noch mehr die mehr als 30.000 unterschiedlichen Wildbienen-Arten – sind essenziell, weil sie tagein, tagaus Pflanzen bestäuben.
„Die Biodiversität ist wesentlich für die Lebensmittelsicherheit“, hieß es erst im Februar in einem Bericht der FAO (UNO-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation). Zwar sind die wichtigsten Nutzpflanzen – Weizen, Mais, Reis – Luftbestäuber, sie brauchen also keine Bienen. Aber ein Drittel der Nutzpflanzen weltweit, von den Obstbäumen bis zu Kaffee oder Raps, sind auf das Bestäuben durch Insekten angewiesen. Wenn das nicht mehr passiert, geht die Artenvielfalt (Biodiversität) weiter zurück. In diesem Kreislauf befinden wir uns längst.
Heute, Montag, den 25. November, startet EU-weit das Sammeln für eine europäische Bürgerinitiative (siehe Kasten unten), die genau dieses Problem lösen will: „Rettet die Bienen und die Bauern. Hin zu einer Bienen-freundlichen Landwirtschaft für eine gesunde Umwelt“, so der Name der Petition.
Totales Pestizid-Verbot
Gerettet werden sollen die „Bienen und Bauern“ vor allem durch eine EU-weite Maßnahme: Ziel ist, ein Phasing-out, also ein Auslaufenlassen des Einsatzes künstlicher Pestizide um 80 Prozent bis 2030 und zu hundert Prozent bis 2035.
Was sagt die Wissenschaft? „Wir beobachten derzeit einen Rückgang der Biodiversität auf landwirtschaftlichen Flächen, die dramatischen Verluste werden zunehmend diskutiert. Der Rückgang der Biomasse der Insekten von mehr als 70 Prozent in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland, die Halbierung der Vögel der Agrarlandschaften in Europa und die Effekte auf das Bestäuben sind weitestgehend bekannt“, schreiben die Wissenschaftler Carsten Bühl (Uni Koblenz-Landau) und Johann Zaller (Boku Wien) in einer kürzlich präsentierten Studie.
Es gebe weiters eine übereinstimmende Meinung in der Wissenschaft, dass die Pestizide ein zentraler verantwortlicher Faktor für den beobachteten Rückgang der Biodiversität seien.
Die beiden Forscher stellen in ihrer Studie die These auf, dass die Beurteilung der Pestizide im Rahmen der EU-Zulassung trotz des enormen Aufwands unzureichend sei, weil dabei die Bedingungen auf den Feldern nicht berücksichtigt werden. Dies liege an „drei fundamentalen Fehlern“: Weil ignoriert werde, dass meist mehrere Pestizide gleichzeitig auf den Feldern eingesetzt werden, weil es ökologische Wechselwirkungen zwischen Organismen gebe, die durch Pestizide gestört werden, und drittens die Artenvielfalt auf den Feldern (Monokulturen) an sich reduziert werde. „Das System ist vom Ansatz nicht darauf ausgelegt, Biodiversität zu schützen, und auch weitere Verfeinerungen des Zulassungsverfahrens werden dies aufgrund der elementaren Fehler nicht ändern“, erklärte Bühl.
Der „böse“ Landwirt?
Zudem werde aktuell die Landwirtschaft für den Biodiversitätsrückgang verantwortlich gemacht, obwohl dort nur geprüfte Pestizide eingesetzt werden. „Der Zorn der Landwirte ist nachvollziehbar, weil ihnen ja von verschiedenen Stellen über Jahrzehnte zu Pestizidanwendungen geraten wurde. Jetzt wird ihnen der Schwarze Peter zugeschoben, weil viele internationale Studien genau diese Pestizide als Mitverursacher der Biodiversitätskrise aufzeigen“, erläutert Zaller gegenüber dem Informationsdienst Wissenschaft.
Strukturwandel
Es gehe aber um mehr als nur um das Pestizid-Verbot, erklärt Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker bei Global 2000 und einer der sieben Initiatoren der Bürgerinitiative. Ihnen gehe es auch um die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und den Wiederaufbau der natürlichen Ökosysteme, und eine Unterstützung der Landwirte beim Übergang in Richtung einer kleinteiligen, vielfältigen und nachhaltigen landwirtschaftlichen Struktur.
Und nicht zuletzt müssten agrarökologische Anbaumethoden gefördert werden und die Forschung zu pestizid- und gentechnikfreiem Anbau vorangetrieben werden.
Verlust von Lebensräumen
Ferdinand Lembacher, Generalsekretär der Landwirtschaftskammer, warnt aber vor zu einfachen, dafür aber radikalen Antworten: „Die Diskussion greift aus unserer Sicht zu kurz. Beim Verlust der Artenvielfalt wird immer versucht, nur die Bauern als Ursache zu sehen. Tatsächlich geht es auch um den Verlust von Lebensräumen durch Verbauung und die Klimakrise und die Lichtverschmutzung.“
Achtzig Prozent der Landwirtschaft in Österreich würden längst umweltgerecht wirtschaften, etwa indem fünf Prozent der Ackerfläche zugunsten der Insekten unberührt blieben. Zudem sei Österreich mit 25 Prozent Bioanteil längst Europameister.
Ein Totalverbot der Pestizide – Lembacher will lieber von Pflanzenschutzmitteln sprechen – könne sich in der Kammer kaum wer vorstellen. „Dann würde Vieles bei uns nicht mehr angepflanzt werden können. Die Versorgungssicherheit ist ja nicht gottgegeben.“ In Nordamerika gebe es Regionen, die mit weniger Pflanzenschutz auskommen, dort würden vor allem Gentechnik-Pflanzen eingesetzt – „und das kann ja auch niemand wollen“.
Info gibt es hier.
Europäische Bürgerinitiative
Damit Bürger sich besser in die EU-Politik einbringen können, gibt es seit 2011 die Europäische Bürgerinitiative – als Möglichkeit, konkrete Änderungen des EU-Rechts anzuregen. Um eine Initiative zu starten, braucht es mindestens sieben EU-Bürger in sieben unterschiedlichen EU-Staaten. Sobald eine Initiative eine Million Unterstützungsbekundungen gesammelt hat, müssen die Europäische Kommission und das EU-Parlament entscheiden, ob und wie sie tätig werden.
Rettet Bienen und Bauern
Heute startet die Bürgerinitiative „Save Bees and Farmers“. Mit dieser Initiative „sollen die Bienen und Ökosysteme gerettet, Bauern und Bäuerinnen beim Umstieg auf eine umweltfreundliche Landwirtschaft unterstützt und chemisch-synthetische Pestizide bis 2035 aus dem Verkehr gezogen werden“, erklären die Initiatoren. Unterstützt wird die Initiative von mehr als 90 Organisationen aus 17 EU-Ländern, darunter Imker und Landwirte. In Österreich
ist Global 2000 Mit-Initiator.
Was will die Petition?
Sie will den Einsatz synthetischer Pestizide, beginnend mit den gefährlichsten Stoffen, bis 2030 um 80 Prozent verringern. Bis 2035 soll es ein Totalverbot geben. Weitere Ziele: die Ökosysteme auf Agrarflächen wiederherstellen und die Landwirtschaft reformieren. Nachhaltige Betriebe sollen Priorität erhalten. Die rasche Zunahme der biologischen Verfahren soll gefördert werden
– ebenso wie eine unabhängige Forschung zur pestizid- und gentechnikfreien Landwirtschaft.
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