Erschlagen, abgelegt und verbrannt

2 Gesichtsrekonstruktionen sollen helfen, das Opfer zu identifizieren. Doch es gelingt nicht.
Es ist Sonntag, der 9. Jänner im Jahr 2005. Ein kalter Vormittag. Zwei Gendarmen sind auf der Südautobahn A2 unterwegs. Die beiden Beamten stellen ihren Dienstwagen auf einem verbreiterten Pannenstreifen in Pirka bei Graz ab. Dort ist eine Autobahnbrücke und sie wollen darunter Radarmessungen vornehmen. Doch dazu kommt es nicht mehr.
Einer der Beamten verschwindet ein Stück nach hinten ins Gebüsch. Er muss nämlich kurz austreten. Und dabei macht er einen grausamen Fund. Plötzlich steht er vor einer furchtbar zugerichteten Leiche. Er sieht schnell, dass es sich um eine Frau handelt.

Kurz danach läutet das Telefon von Ermittler Anton Kiesel, damals der Leiter der Mordgruppe in der Steiermark. „Mein Team und ich sind sofort ausgerückt und haben einen Lokalaugenschein durchgeführt. Es hat sich herausgestellt, dass es sich nur um Mord handeln kann.“ Die Frau ist teilweise entkleidet und durch Verbrennen fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Sie trägt einen roten Strickpullover. Der Frau fehlt außerdem ein Ohr. Die Gerichtsmedizin stellt später fest, dass es erst nach dem Verbrennen abgeschnitten und mitgenommen wurde. Herausgefunden wird auch, dass der Auffindungsort nicht der Tatort ist. Die Frau wurde durch mehrere Schläge auf den Kopf getötet. Dann innerhalb von 24 bis 36 Stunden zu dieser Stelle neben der Autobahn gebracht und hier angezündet.

Ermittler bei der Arbeit, 2005
Kiesel und sein Team müssen nun so schnell wie möglich die Identität der Frau herauszufinden. Da ihr Gesicht kaum noch zu erkennen ist, kann kein Foto erstellt werden. Allerdings ist es möglich, einen kompletten Fingerabdruck zu nehmen sowie DNA. Ein Abgleich in Österreich führt zu keinem Treffer. Es gibt hier auch keine passenden Abgängigkeitsmeldungen. Folglich wird die deutsche Anthropologin Ursula Wittwer-Backofen gebeten, eine Gesichtsrekonstruktion durchzuführen. Sie arbeitet mit einem damals neuen Computerverfahren und konnte damit bereits Erfolge erzielen.
Großer Stress vor dem Mord
Mit dem von ihr erstellten Foto geht man an die Öffentlichkeit. Außerdem gibt es neue Details zu der Frau: 175 cm groß, 50 kg schwer. Ihr fehlt ein Backenzahn, er wurde ihr ausgeschlagen. Sie hatte eine chronische Nasen-Nebenhöhlenentzündung und eine Tuberkulose-Erkrankung. Und: Im Zahnzement der Frau findet man einen sogenannten „Stressmarker“. Das Opfer soll zwischen dem 18. und 19. Lebensjahr schwer krank oder schwanger gewesen sein. Die Frau dürfte zwischen 23 und 28 Jahre alt sein. Ein paar Monate vor der Ermordung muss sie außerdem großer Belastung ausgesetzt gewesen sein. Auch das zeigen ihre Zähne, da sie stark abgerieben sind. Ermittler Kiesel geht davon aus, dass die Frau vor ihrem Tod längere Zeit eingesperrt war, vielleicht sogar gefoltert wurde.
Sieben lange Jahre
Das erstellte Foto, der Fingerabdruck, die DNA und diese Informationen werden auch international weitergegeben. Kurz danach wird von der deutschen Universität Hildesheim noch eine weitere Schädelrekonstruktion durchgeführt. Auch ein Isotopengutachten wird in Auftrag gegeben. Dieses ergibt, dass die Frau vermutlich in einem der GUS-Staaten aufgewachsen ist. Kiesel und sein Team warten. Aber niemand meldet sich. „Es scheint, als würde diese Frau niemanden abgehen“, sagt er damals in einem Interview. So vergehen sieben lange Jahre.
In Rom tritt 2012 ein neuer österreichischer Verbindungsbeamter seinen Dienst an. Er nimmt sich den Fall der Unbekannten neben der Autobahn noch einmal vor und sichtet offene Vermisstenfälle in Italien. Danach durchleuchtet er auch noch die geklärten Vermisstenfälle, also jene, wo die Frauen wieder aufgetaucht sind. Und plötzlich hat er einen Treffer des Fingerabdruckes.

Die Tote ist Olga Tarkivska, 1982 in der Ukraine geboren. Seit einigen Jahren lebte sie mit ihrem Lebensgefährten in der Nähe von Venedig. Von ihm, ebenfalls ein Ukrainer, wurde sie 2004 in Italien vermisst gemeldet. Nach einiger Zeit erschien Olga Tarkivska allerdings selbst bei der Polizei und gab Entwarnung, sie sei wieder da. Erzählungen aus ihrem familiären ukrainischen Umfeld zufolge, wollte sie sich von ihrem Lebensgefährten trennen, da er gewalttätig gewesen sein soll. Außerdem erzählt die Schwester den Ermittlern, dass er Olga Tarkivska mit dem Tod gedroht haben soll, wenn sie sich von ihm trennt. Der Mann, der als Lkw-Fahrer tätig war, soll zudem die Autobahnstrecke, an der die Leiche gefunden wurde, öfter gefahren sein.
Für Kiesel scheint der Mann höchst verdächtig zu sein. „Bei seiner Befragung als Zeuge in Italien hat er sich außerdem in Widersprüchen verstrickt.“ Daher bereitet Kiesel alles akribisch für eine Einvernahme des Mannes als verdächtige Person in Österreich vor, doch dann kam die „böse Überraschung“, wie er sagt. “Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen eingestellt.“ Auf KURIER-Anfrage gab es vonseiten dieser keine Reaktion. Für Kiesel ist das bis heute völlig unverständlich. „Der Mann wurde in Italien lediglich zur Abgängigkeit von Olga Tarkivska befragt, er wurde niemals als Verdächtiger einvernommen.“ Auch für ihre Familie war das ein Schock.
Olga Tarkivska liegt seither in einem Armengrab im steirischen Lieboch.
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