Erik kämpft gegen Krebs: Warum Rückgang der Blutspender dramatisch ist
Es ist die Vanillemilch, die am meisten betroffen macht. Es ist nicht die blasse Haut. Und es sind auch nicht die ausgefallenen Haare.
Es ist die Sache mit der Vanillemilch.
„Ich glaube, die darf ich nicht mehr trinken“, sagt Erik. Das Packerl steht erst seit wenigen Stunden offen, aber Erik fürchtet Konsequenzen wegen seines stark beschädigten Immunsystems.
Erik ist erst vier Jahre alt – und muss jetzt schon so erwachsen sein. Vor sechs Monaten wurde bei Erik Krebs diagnostiziert, ein Neuroblastom. Das ist ein bösartiger Tumor des Nervensystems im Kindesalter.
Noch Kind sein
Zwischendurch darf er dann aber trotzdem ganz Kind sein. Beim Besuch will er „Abschießen“ spielen – man wirft ihm den Ball zu, er wehrt ihn ab und lässt sich dabei spektakulär auf das Bett fallen.
Seine Beine sind dünn und mit blauen Flecken übersäht. Jedes Mal wenn er den Ball wieder holt, geht er auf Zehenspitzen. Die Behandlung verursacht oft Schmerzen, heute auf den Fußsohlen. Richtig aufzutreten tut einfach zu weh.
Dabei ist heute noch einer der guten Tage.
Denn am nächsten Tag braucht Erik Erythrozyten, vereinfacht: Blut. Dreieinhalb Stunden lang muss der Vierjährige ganz ruhig daliegen. Es wird genau überwacht, ob sein Körper das Blut annimmt und nicht abstößt.
Ohne diese Blutspenden hätte Erik gar keine Chance zu überleben. Genau wie die meisten anderen an Krebs erkrankten Kinder, die im darauf spezialisierten St.-Anna-Spital behandelt werden. Pro Jahr werden 120 Familien neu erkrankter Kinder aufgenommen.
Blutspenden wird längst nicht mehr hauptsächlich von den klassischen Unfallopfern gebraucht. „Mehr als 50 Prozent der Spenden gehen mittlerweile an internistische Patienten – chronisch Kranke und eben auch Kinder“, sagt Christof Jungbauer, medizinischer Leiter des Rotkreuz-Blutspendedienstes für Wien, Niederösterreich und Burgenland.
Dafür, dass immer genug Blutspenden vorhanden sind, sorgt das Rote Kreuz. Es zeichnet sich für 90 Prozent aller Blutspenden in Österreich verantwortlich. „Dass die Blutsicherheit im Land gewährleistet ist, ist nicht die Frage. Es ist nur die Frage, mit welchem Aufwand man diese Sicherheit erreicht“, sagt Jungbauer.
In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Blutspenden um 100.000 Spenden gesunken.
Das Positive daran: Das ist hauptsächlich dem medizinischen Fortschritt geschuldet. Operationen gehen heute einfach unblutiger vonstatten.
Zahl der Spender sinkt
Das Negative: Auch die Anzahl der Spender ist dramatisch gesunken. 2010 waren es noch um 50.000 mehr als heute. Die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er- und 1960er-Jahre gehen in absehbarer Zeit schrittweise in „Blutspendepension“. Die Jahrgänge der 2000er-Jahre sind im Vergleich zahlenmäßig kleiner und bei ihnen ist Blutspenden kein gelerntes Verhalten.
Die Jüngeren müssten aktiver angesprochen werden, um sie auf das Spenden aufmerksam zu machen und die gesellschaftliche Notwendigkeit zu erklären.
Erik hingegen kennt sich schon gut aus. Er will schließlich genau wissen, was in seinem Körper passiert. Dabei helfen seine Mutter Ilse, studierte Biologin, und die Kult-Zeichentrickserie „Es war einmal ... das Leben“ aus den 80er-Jahren.
„Was ist das?“, fragt Erik, den Blick gebannt auf den Bildschirm gerichtet. „Sie kommen gerade zum Golgi-Apparat“, sagt seine Mutter und erklärt den Aufbau einer Zelle. „Ist doch ganz normal, dass ein 4-Jähriger weiß, was der Golgi-Apparat ist“, sagt sie später sarkastisch. Aber auch mit einem Hauch von Stolz, so wie alle Eltern, wenn ihre Kinder etwas Kluges tun.
„Die Detektive in meinem Blut – haben die eigentlich eine Lupe oder ein Fernrohr?“
Bei dieser Frage ist er wieder ganz Kind.
Beides, ist die Antwort, damit sie von nah und von fern alle bösen Zellen finden können. Der Vierjährige nickt ernst. Klingt logisch.
Einige Tage später läuft auch in der Wiedner Hauptstraße in Wien Blut durch einen Schlauch – allerdings in die Gegenrichtung und aus dem Körper hinaus.
Der 35-jährige Marius Weber ist einer der Vorzeigespender. „Ich habe mit 22 angefangen, hauptsächlich aus Neugierde“, sagt er während seiner 32. Blutspende. „Ich bin damals mit einem guten Gefühl rausgegangen und seither gehört das irgendwie zu meinen Leben dazu, es ist fast schon ein Hobby.“
Seine Mutter, erzählt er, habe lange Zeit gedacht, er brauche als Student einfach Geld. „Bezahlt wird man hier allerdings mit Wertschätzung. Mit ganz vielen kleinen Sachen, die in der Summe ganz viel sind.“
Die kleinen Sachen, das sind etwa ein Essen nach der Spende. Oder, dass man eine SMS bekommt, wenn die Spende zum Einsatz kommt. „Man wird benachrichtigt, dass jetzt zum Beispiel jemand im Hanusch-Krankenhaus mein Blut bekommen hat. Da fühlt man sich gut.“
Zusätzlich gibt es auch eine Blutuntersuchung gratis dazu. Es muss schließlich getestet werden, bevor es zum Einsatz kommt. Wenn etwas nicht stimmt, wird man sofort informiert.
„Das ist aber alles nicht der Grund, warum ich spende“, sagt Weber. „Ich finde einfach, es ist eine Bürgerpflicht. Genau wie man für eine alte Dame im Bus aufsteht, kann man doch auch spenden.“
Mehrfachspender
Im Kühlraum in der Blutspendezentrale hat es 4 Grad – so gelagert ist das Blut 42 Tage lang haltbar. Es sieht aus wie ein Paradies für Vampire, überall stehen Kisten mit hunderten Beuteln Blut.
„Das hier zum Beispiel“, sagt Blutspendeleiter Jungbauer – und hält einen gekühlten Beutel hoch, „ist Cellano-negatives Blut. Das hat nur jeder 500. Mensch. Und da müssen die Hauptgruppen, also zum Beispiel A oder B, auch noch dazu passen.“
Neben den bekannten AB0-Blutgruppen gibt es rund 340 andere anerkannte Eigenschaften der roten Blutzellen. Oft wüssten das nicht einmal die Ärzte, sagt Jungbauer.
Darum ist es so wichtig, dass Spender nicht nur einmal kommen, sondern regelmäßig. „Wenn sich aus der Statistik erkennen lässt, dass jemand auch weiterhin spenden kommen wird, können wir das Blut noch genauer testen“, sagt Jungbauer. „Das macht man nur, wenn man weiß, dass man genau auf dieses Blut öfter zurückgreifen kann. Wenn ein bestimmtes Blut gebraucht wird, kann man gleich die passenden Spender anrufen.“
Notaufruf im Juni
Dass man Blut auf diverse Eigenschaften testet, ist auch für Patienten wichtig, die auf regelmäßige Blutspenden angewiesen sind. Beim „Optimatch-Programm“ für und mit St. Anna zum Beispiel bekommen jene Kinder, die über Jahre hinweg zusätzliches Blut brauchen, individuelle Spenden. Diese gleichen in möglichst vielen Eigenschaften dem eigenen Blut, damit die Patienten es bestmöglich vertragen.
„Die Notfälle sind ein kleineres Problem“, sagt der Blutspendeleiter. „Wenn es zu Engpässen bei Blut kommt, spenden sehr viele Menschen nach einem öffentlichen Aufruf. Wichtig wäre aber zusätzlich, dass sie dann wiederkommen. Dann kann man leichter kalkulieren.“
Den letzten öffentlichen Notaufruf gab es im Juni in Oberösterreich – wegen vieler Notfälle sank der Blutkonservenstand auf ein kritisches Niveau. Gepaart mit der gesunkenen Blutspendebereitschaft aufgrund der Hitze ist das eine gefährliche Kombination. Bei Hitze- oder Grippewellen sind Engpässe am wahrscheinlichsten.
Nach rund 25 Minuten ist Weber mit einer Spende fertig – inklusive Anmeldung und Vorbesprechung. Danach setzt er sich in das dazugehörige Café und bekommt als Dankeschön eine Kürbiscremesuppe.
„Genau wie man für eine alte Dame im Bus aufsteht, kann man doch auch Blut spenden.“
„Manchmal kommt man hier auch mit anderen Spendern zum Reden, man hat ja schließlich im Kern irgendwas gemeinsam.“ Mittlerweile kommt er alle neun bis zehn Wochen. „Ich arbeite um die Ecke“, sagt er. „Ich weiß nicht, ob ich auch so oft gehen würde, wenn ich am Stadtrand wohnen würde.“
Stadt-Land-Gefälle
Das Stadt-Land-Gefälle ist ohnehin ein Thema beim Blutspenden: In Wien gehen nur rund 1,6 Prozent der potenziellen Spender ab 18 Jahren spenden, in Tirol sind es immerhin 5,5 Prozent.
Blutspendeaktionen im ländlichen Raum sind oft gemeinschaftliche Events, zu denen Eltern auch ihre Kinder mitnehmen. Eine wichtige Vorbildwirkung für später.
Wer als Kind das Spenden positiv assoziiert, wird wahrscheinlicher als Erwachsener selbst ein Spender. Zusätzlich nimmt man eher an einer Aktion teil, wenn der Bürgermeister persönlich in Gesprächen dafür Werbung macht.
„Der Aufwand, den es braucht, um die Blutsicherheit zu gewährleisten, wird immer größer.“
Zu Wiens Ehrenrettung: Die Stadt liegt – verglichen mit anderen urbanen Räumen – mit 1,6 Prozent Spendern dennoch im europäischen Durchschnitt.
Blutsicherheitsgesetz
Eine Erleichterung bei der Beschaffung von Blut wird, so ist Jungbauer überzeugt, die Novelle zum Blutsicherheitsgesetz bringen, die im September im Nationalrat beschlossen wurde.
In Zukunft muss bei mobilen Spendeaktionen nicht mehr verpflichtend ein Arzt anwesend sein, der die Blutspende durchführt. Auch speziell ausgebildeten Kranken- und Gesundheitspflegern ist das künftig erlaubt, sofern eine unmittelbare Rücksprache mit einem ausgebildeten Arzt möglich ist.
Die Blutversorgung ist für Erik also vorerst gesichert. Leider ist schon klar, dass er noch viele Male ins Spital muss. Der Vierjährige geht zum Glück auch nach sechs langen Monaten noch gerne ins Krankenhaus, weil er dort „mehr fernschauen darf“. Das hilft, um die Strapazen zu überstehen, wenn er Blut bekommt.
In wenigen Tagen wird ein Spender eine SMS bekommen, dass sein Blut in St. Anna zum Einsatz gekommen ist, wenn Erik wieder mal Erythrozyten braucht.
Und hoffentlich haben die Detektive dort die richtigen Bedingungen, um mit Lupe und Fernrohr jede noch so kleine Krebszelle zu entdecken.
Von Agnes Preusser
Die Voraussetzungen
Blut spenden können alle Frauen und Männer ab 18 Jahren. Es müssen allerdings gewisse gesundheitliche und gesetzlich festgelegte Kriterien erfüllt werden. Hat man zum Beispiel Antibiotika genommen, muss man vier Wochen warten. Es gibt keine Altersbeschränkung, aber Erstspender dürfen zum Zeitpunkt ihrer ersten Spende das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Bei Personen über 60 darf die letzte Blutspende nicht länger als zehn Jahre zurückliegen.
Der Ablauf
Vor der Spende wird ein Fragebogen ausgefüllt und bei einem Vorgespräch geklärt, ob das Spenden möglich ist. Bei der Spende selbst werden im Liegen 450 Milliliter Blut aus der Armvene entnommen, das dauert im Allgemeinen nicht länger als zehn Minuten. Nach der Spende erhalten Spender einen kleinen Imbiss als Dankeschön. Drei bis vier Wochen nach der Spende kriegen sie einen Blutspendeausweis zugeschickt, auf dem die Blutgruppe und der Rhesusfaktor vermerkt sind.
Die Spendezentralen
Spenden kann man entweder bei Blutspendezentralen oder bei eigenen Blutspendeaktionen. Im Jahr gibt es rund 5.000 Aktionen in Gemeinden, Spitälern, Schulen, Betrieben und beim Bundesheer. Alle Termine gibt es hier. Auch unter der kostenlosen Hotline 0800 190 190 kann man die Termine im jeweiligen Bundesland erfragen und sich bezüglich Spendetauglichkeit beraten lassen.
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