Enns und Wien: Ein Wettkampf ums Alter
Wien ist deutlich älter als bisher gedacht, das soll nun eine römische Bronzetafel beweisen. Die Bundeshauptstadt hat damit erneut den Wettkampf um die älteste Stadt Österreichs eröffnet: Auch Zwettl und St. Pölten haben schon versucht, die seit jeher führende Stadt Enns vom Thron zu stoßen. Die Ennser Stadtgemeinde sieht dieser Herausforderung jedoch gelassen entgegen.
Im Jahr 1913 wurde das Bruchstück einer Bronzetafel beim Haus Am Hof 4 in der Wiener Innenstadt gefunden. 41 Zeichen sind darauf eingraviert, nur zwei Wörter davon konnten in der Vergangenheit entziffert werden: „edicta“ (Bekanntmachung) und „galba“ (der römische Kaiser Lucius Livius Ocella Servius Sulpicius Galba). Da keine näheren Details herausgefunden wurden, kam die Tafel ins Depot des Wien Museums.
Der 28-jährige Geschichte- und Lateinlehrer Niklas Rafetseder stieß schließlich bei seiner Dissertation über das römische Stadtgesetz auf das Fragment. Er stellte Parallelen zwischen den Stadttafeln der Stadt Irni im spanischen Andalusien und dem Wiener Bronze-Bruchstück fest.
Das wissenschaftliche Fazit: Wien soll nicht im Jahr 1221 gegründet worden sein, sondern bereits etwa 1.000 Jahre früher, genauer gesagt 120 bis 250 nach Christus.
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) ließ daraufhin anklingen, den Geschichtsunterricht nun überdenken zu müssen. Sei doch nicht mehr Enns die älteste Stadt, sondern Wien.
„Wien am letzten Platz“
Der Ennser Bürgermeister Franz Stefan Karlinger (SPÖ) sieht in dem ganzen Tumult hingegen nur ein „kleines Rauschen im Blätterwald“. Denn schon mehrere haben versucht, Enns den Titel als älteste Stadt Österreichs streitig zu machen – bis dato jedoch ohne Erfolg.
„Also ich sehe die Debatte sehr ruhig und besonnen“, sagt Karlinger auf KURIER-Anfrage. Prinzipiell müsse man erst einmal zwischen mittelalterlichem und römischen Stadtrecht unterscheiden.
Denn die Basis für die Bezeichnung „älteste Stadt Österreichs“ bildet zurzeit das mittelalterliche Stadtrecht. Dieses ist in Enns anhand einer Originalurkunde auf das Jahr 1212 zurückzuführen, in Wien hingegen auf 1221, also neun Jahre später.
Seriöser Vergleich
„Und selbst wenn das römische Stadtrecht herangezogen wird, ist Wien nicht die älteste Stadt“, ist Gottfried Kneifel, Heimatforscher und Obmann des „Museumverein Enns Lauriacum“, überzeugt, denn das Ergebnis von Rafetseder falle in dieselbe Epoche, wie das bereits nachgewiesene römische Stadtrecht von Enns aus dem Jahr 212.
Die älteste Stadt Österreichs wird derzeit am mittelalterlichen Stadtrecht gemessen, da in jenem die Rechte der Bürger auf Freiheit und Grundbesitz erstmals geregelt wurden.
Zudem könne laut Heimatforscher Gottfried Kneifel auch die heutzutage vorzufindende Bausubstanz der Altstädte auf das Mittelalter zurückgeführt werden
Die Stadtrechte vergaben die Landesherren. Herzog Leopold VI. erhob 1212 Enns, 1221 Wien und 1222 Eferding zu Städten
„Wenn man sich auf die römische Ebene begibt, dann müssen auch andere Städte wie Salzburg in die Debatte miteinbezogen werden und dann zieht Wien sicherlich den letzten Platz“, sagt der Heimatforscher.
Sowohl Kneifel als auch der Ennser Bürgermeister Karlinger wollen einen seriösen Vergleich. Solange kein vollständiges Originaldokument vorliege, sei das Alter von Wien aber ohnehin nicht belegbar.
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