Eine Haftstrafe für "blöd schauen"?

Was erregt öffentliches Ärgernis?
Mit reaktiviertem Sex-Paragrafen will die Polizei gegen "entartete Meinungsäußerung" vorgehen.

Der kleine Ordner mit den Organmandaten hieß früher einmal Rezeptblock, erinnert sich ein langgedienter Polizist. "Ging dir jemand bei einer Amtshandlung schwer auf die Nerven, dann hast du ihm damit ein Rezept zur Beruhigung ausgestellt", schildert er. Das lautete dann auf "Erregung öffentlichen Ärgernisses" und eine kleine Geldstrafe wurde fällig.

Eigentlich war der Begriff in das Bürgerliche Gesetzblatt aufgenommen worden, um Leute in den 70er-Jahren abstrafen zu können, die etwa an einem Kiosk Pornomagazine öffentlich verkauft hatten. Noch heute gibt es diese Bezeichnung in Deutschland für Menschen, die in der Öffentlichkeit Hand an sich legen. Später übernahmen die österreichischen Beamte diesen Passus mit dem öffentlichen Ärgernis, um "Rezepte" zu verteilen. In den 90er-Jahren wurde dies gestoppt, weil die Sache ausuferte.

Geldstrafe oder Haft

Nun plant die Polizei ein Revival. Im neuen Sicherheitspolizeigesetz, das derzeit in Begutachtung ist, wird die alte Definition wieder aufgewärmt. Es wird sogar ausdrücklich auf den alten Paragrafen verwiesen. Wer durch "ein Verhalten, das geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen" auffällt, wird künftig bis zu 500 Euro zahlen müssen oder sogar ein oder zwei Wochen in Haft genommen. Als Draufgabe soll die Polizei mehr Möglichkeiten zur Wegweisung erhalten.

In den Erläuterungen zur geplanten Gesetzesnovelle wird das so definiert, dass die Erregung öffentlichen Ärgernisses dann stattfindet, wenn die "gesetzlichen Schranken, die der Sicherheit der öffentlichen Ordnung vor entarteter (sic!) Meinungsäußerung dienen", überschritten werden.

"Zu schwammig"

Während bekannte Verfassungsjuristen wie Heinz Mayer den Paragrafen als "zu schwammig" verurteilen, heißt es in den Erläuterungen weiter, dass etwa gegen " das Auftreten von Gruppen, die durch ihr Verhalten einen bedrohlichen bzw. störenden Eindruck auf Anwesende vermitteln" mit Strafe und Wegweisung vorgegangen werden kann. Ein dort genanntes Beispiel: Wenn Geschäftseingänge verstellt werden. Dabei müsse man aber nicht einmal in irgendeiner Form besonders rücksichtslos sein, es reicht offenbar vor einem Geschäft zu stehen.

"Jeder Polizist wird das anders auslegen. Vielleicht wird dann von einem schon blöd schauen bestraft", sagt Katharina Beclin, Kriminologin an rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien. "Es könnte aber auch das Filmen und Beobachten einer Amtshandlung sein."

Filmverbot

Beamte können damit künftig also Personen strafen und wegweisen, die Amtshandlungen filmen oder fotografieren. Selbst unliebsame Zeugen könnten mit diesem Paragrafen vertrieben und sogar mit Haftstrafen eingeschüchtert werden. Natürlich könnten auch Obdachlose so verscheucht werden.

Es gibt auch weitere diskussionswürdige Neuerungen in der Novelle. So müssen Personen, die Sexualdelikte begehen, künftig zu Belehrungen bei der Polizei erscheinen. Dort solle "in Österreich befindlichen Fremden" eine Orientierung "am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich" gegeben werden. Das Gesetz sagt nicht, wer die Belehrung vornimmt.

"Demokratiepolitisch bedenklich"

Für Ärger sorgte auch die stark verkürzte Begutachtungsfrist von nur zwei Wochen. Normal wären vier oder sechs Wochen, was in zahlreiche Stellungnahmen als "demokratiepolitisch bedenklich" eingestuft wird. "Das ganze Gesetz scheint darauf abgezielt zu sein, gegen die Dealer an zwei U 6-Stationen vorzugehen", sagt Beclin. "Und diese gibt es nicht mehr".

Kritik gibt es auch vom neuen Chef der Polizei-Gewerkschaft: "Alles wird jetzt auf die Polizei abgewälzt."

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