„Die Grätzl-Polizei, die gibt es schon“

„Die Grätzl-Polizei, die gibt es schon“
Kein Wachzimmer heißt auch keine Polizei, fürchten Kritiker. 122 Posten sperren zu. Auch Wien fusioniert Posten, bekommt am Stadtrand aber neue dazu. Die Grätzl- Polizei probt bereits für die Zukunft.

Die Wachzimmer-Reform polarisiert. 122 Posten sperren zu. Ganze Landstriche sind dann in den Bundesländern ohne Polizei-Posten. Verspricht die Regierung rund um die Uhr patrouillierende Streifen, moniert die Opposition ein Sicherheitsvakuum.

Wien wartet noch auf den Posten-Kahlschlag (siehe Interview unten). Allerdings werden in den Stadtentwicklungsgebieten auch neue Stützpunkte entstehen. Der mobile, vernetzte, flexible Grätzl-Polizist soll dann für Ruhe, Ordnung und Sicherheit sorgen. Der KURIER ging in der Nacht auf Samstag in Wien-Mariahilf mit auf Streife.

Keine „ruhige Kugel“

„Die Grätzl-Polizei, die gibt es schon“
Vorweg: Der Streifendienst der Zukunft ist alles andere als eine „ruhige Kugel“. Das Einsatzgebiet des Wachzimmers Kopernikusgasse reicht von der Mariahilfer Straße bis zum Getreidemarkt, über die Wienzeile (inklusive Naschmarkt) entlang, sowie den Mariahilfer Gürtel bis zum Westbahnhof hinauf.

„In unserem Rayon haben wir es verstärkt mit Ladendiebstahl, Raub, der Bettlerproblematik und Suchtgiftkriminalität zu tun“, erklärt Gruppenleiter Mathias Wenzl im Mannschaftsraum.

Kurz vor 20.30 Uhr starten – bei klirrender Kälte – Inspektor Jasmin Göttfried und Revierinspektor Stefan Patak ihre Nachtstreife. Der Motor des Einsatzfahrzeuges ist noch nicht warm gefahren, kommt bereits der erste Einsatz. „Psychose in der Corneliusgasse. Kollegen sind vor Ort“, tönt es kratzig aus dem Polizeifunk. Dort angekommen treffen die Beamten auf eine ältere, übergewichtige, unter Medikamenten stehende Dame. Sie trägt eine zerfranste blonde Perücke: „Seit mein Mann verstorben ist, geht es mir gar nicht gut.“ Der Todesfall ist jedoch schon Monate her. Weil Suizidgefahr besteht, kommen der Amtsarzt und der Rettungswagen. Danach geht es mit Blaulicht und Folgetonhorn in das Otto-Wagner-Spital. Am Rückweg in den Rayon kontrollieren die „Grätzl-Polizisten“ einen ihrer Hotspots, die U6-Station Gumpendorfer Straße. Auch bekannt als Drogenmarkt. Die Personenkontrollen gehen zackig über die Bühne. Einige zwielichtige Gestalten wählen den Rückzug und verschwinden aus der Station.

„Die Grätzl-Polizei, die gibt es schon“
Ein neuer, etwas aufgeregter Funkspruch garantiert Probleme: „Randalierer in der U1-Station Taubstummengasse. Flüchtiger Täter läuft mit herausgerissenem Feuerlöscher herum.“ Ohne ein Wort zu wechseln steigen die Beamten in ihre Streife und geben Gas. Sekunden später Entwarnung. Der Täter ist von Kollegen gestellt. Jetzt, gegen 23 Uhr, fährt das Team seinen Rayon im Schritt-Tempo ab. Wegen der schneidenden Kälte und der Semesterferien sind wenig Menschen unterwegs. Zeit zum Reden. „Eigentlich gibt es die Grätzl-Polizei schon. Die Mannschaft ist wesentlich öfter auf Streife als früher. Schreibarbeit und Bürokratie halten uns aber immer noch auf“, plaudert Routinier Patak aus dem Alltag. Was er von den Wachzimmer-Fusionen hält? „Die verstärkte Präsenz auf Wiens Straßen hängt von der Weitläufigkeit der zukünftigen Rayone und der Personaldichte ab.“ Die Beamten der Kopernikusgasse fuhren Freitagnacht 17 Einsätze. Es war eine verhältnismäßig ruhige Winternacht.

Hermann Greylinger, Vorsitzender der Polizeigewerkschaft, bestätigt im KURIER-Interview Schließungen mehrerer Wachzimmer in Wien, und spricht von Handlungsbedarf in den wachsenden Stadterweiterungsgebieten. Ohne neues Personal wird die Reform jedoch nicht seriös realisierbar sein.

KURIER: Ende Februar wird Innenministerin Mikl-Leitner die in Wien zu schließenden Wachzimmer präsentieren. Kennt die Gewerkschaft bereits Details?

Hermann Greylinger: Eine Kommission pilgerte schon vor Wochen durch Wiens Wachzimmer und führte eine Bestandsaufnahme durch. Parallel dazu wurden die örtlichen Gegebenheiten evaluiert.

Dem Vernehmen nach könnten bis zu 20 Posten dem Rotstift zum Opfer fallen. Eine realistische Annahme?

Ich kenne keine genauen Zahlen und will niemanden verunsichern. Aber die Größenordnung ist durchaus denkbar.

Wird sich die Gewerkschaft bei unrealistischen Maßnahmen querlegen? Ein Beispiel: Das exponierte Wachzimmer in der Keplergasse in Favoriten könnte bald Geschichte sein ...

Der Standort Keplergasse muss tabu sein. Denn der neue Posten am Hauptbahnhof wird sehr viel Arbeit bekommen. Auch betreffend fremdenpolizeilicher Aufgaben. Und der Hauptbahnhof ist von der unruhigen Gegend der Favoritner Fußgängerzone zu weit entfernt.

Innenministerin Mikl-Leitner kündigt neue Wachzimmer in den Stadterneuerungsgebieten im 21. und 22. Bezirk an. Woher soll das Personal kommen?

Das fehlt eben. Schon jetzt hat jedes der 95 Wiener Wachzimmer um 30 Prozent zu wenig Personal. Die Schließungen können dieses Defizit nicht kompensieren.

Das Innenressort spricht aber beharrlich von 1000 zusätzlichen Beamten bis 2015.Die kommen auch, aber die Ausbildungsjahrgänge 2014 und 2015 sitzen dann noch in der Schule. Aus den Ländern kommt keine Verstärkung. Die Ministerin garantierte ja, dass kein Kollege sein Bundesland verlässt.

Also kämpft die Reform schon vor dem Start mit Personalnotstand?

Bestehende Dienst-Zuteilungen etwa für die Bereitschaftseinheit, der Truppe der Straßenkriminalität, aber auch der WEGA müssen neu strukturiert werden. Die Kerntruppe muss zu viele Zuteilungen verkraften. Daher die eklatante Personalnot. So fallen enorme Überstunden an. Bundesweit gibt die Exekutive pro Jahr etwa 150 Millionen Euro alleine für Überstunden aus.

Gegenüber den Bundesländern dauert die endgültige Struktur-Bereinigung um sechs Wochen länger. Ein Vorteil?

Ich kann nur hoffen, dass in Wien die Kommandanten einbezogen werden. Denn nur sie kennen die Gegebenheiten vor Ort. In Restösterreich wurde darauf verzichtet. Das war nach meiner Meinung ein strategischer Fehler und sorgt jetzt für heftige Diskussionen.

Strukturmaßnahmen, Planposten, Zusammenlegungen. Johannes Weiß kann es schon nicht mehr hören. Der Bürgermeister von Klein-Pöchlarn im Bezirk Melk steht bald ohne Polizeiinspektion da, und das ist alles was ihn interessiert. „Ich bin von der Regierung schwer enttäuscht“, sagt er.

Der Frust des Politikers hat viele Gründe: Von der Sperre musste er aus den Medien erfahren, „das Postamt haben’s uns auch vor Jahren weggenommen“ und dann gibt es noch viele Sicherheitsbedenken. „10.000 Autos fahren täglich durch den Ort. Der Verkehr hat enorm zugenommen“, erzählt der Ortschef während er sich bei klirrender Kälte vor dem Wachzimmer, das in einer Bank untergebracht ist, postiert. Sieben Polizisten arbeiten hier. Noch.

Als 2013 die Flut Teile der Region verwüstete, blieb Klein-Pöchlarn aufgrund des Hochwasserschutzes trocken. Die Beamten waren damals Tag und Nacht unterwegs, um die Hilfskräfte zu unterstützen. „Gerade weil die Beamten über eine hervorragende Ortskenntnis verfügen, waren sie so wichtig und hilfreich“, erzählt Weiß. Denn nicht nur Klein-Pöchlarn gehört zu ihrem Einsatzgebiet. Es umfasst mehrere Gemeinden, darunter auch Maria Taferl, den größten Wallfahrtsort Niederösterreichs. Bis zu 60.000 Menschen nächtigen in den Sommermonaten in der Region.

Attackiert

Im Gasthaus Dorfwirt, wo man sich schon vormittags zuprostet, wird das Thema ebenfalls hitzig diskutiert. Die Stimmung schwankt zwischen Ärger und Wurschtigkeit. „Jetzt haben wir bald nix mehr“, sagt ein älterer Mann und schüttelt den Kopf. Auch Wirt Gerhard Gubi ist enttäuscht. „Es ist wichtig, dass die Polizei vor Ort ist und rasch handeln kann. Ich selbst musste einmal eingreifen, weil jemand von Bettlern attackiert wurde. Da war ich froh, dass die Beamten schnell da waren“, erzählt er.

Ein paar Schritte weiter arbeitet Judith Hahn. Seit 23 Jahren ist sie in der Konditorei für die Kunden da. „Die Leute sind verunsichert. Schließlich geht es ja um das Thema Sicherheit. Sie fühlen sich von der Politik im Stich gelassen“, erzählt sie.

Widerstand

Auch Weiß fühlt sich im Stich gelassen. Schließlich muss er den Menschen erklären, warum der Polizeiposten geschlossen wird. „Dann heißt es wieder, warum man dagegen nichts unternommen hat. In Wahrheit fällt das Ganze wieder auf die Bürgermeister zurück.“

Auch wenn er und seine Amtskollegen aus der Region wissen, dass sie die Sperre nicht mehr verhindern werden können, wollen sie wenigsten ein paar Zeichen des Widerstands setzen. Eine Unterschriftenliste wurde im Gemeindeamt aufgelegt, eine Pressekonferenz organisiert.

Der Idee, einen Raum für einen „Gemeindepolizisten“ zur Verfügung zu stellen, kann Weiß nichts abgewinnen. „Was soll das bringen? Schließlich soll der Beamte ja nur administrative Arbeiten erledigen.“Seinem Kollege aus Leiben fällt zu der Problematik nur mehr folgendes ein. „Wir können froh sein, dass die Regierung keine Bildungsreform zusammenbringt. Sonst würden sie uns die Schulen auch noch zusperren.“

„Keine Sperrstunde für die Polizei“ – mit diesem Slogan sammelte eine Bürgerinitiative aus Kobersdorf und Draßmarkt (Bezirk Oberpullendorf) im Sommer des Vorjahres, als erste Gerüchte laut wurden, etwa 2000 Unterschriften für den Erhalt ihrer Polizeiinspektionen.

Während der Posten in Kobersdorf bestehen bleibt, soll jener in Draßmarkt nun seine Pforten schließen. Eine Entscheidung, die Draßmarkts ÖVP-Bürgermeister Rudolf Pfneisl nicht widerstandslos zur Kenntnis hinnehmen will. „Die Stimmung im Ort ist mies. Erst werden die Postämter zugesperrt und jetzt wird uns auch noch der Posten weggenommen. Aber wir werden uns nicht ergeben“, zeigt sich der Ortschef kämpferisch. Er hege die Hoffnung, „seinen“ Posten – den einzigen im gesamten Rabnitztal – retten zu können. Kommende Woche wolle er Gespräche mit den Verantwortlichen führen, erklärte Pfneisl am Samstag.

„Zusperren ist keine Reform“ – so lautet die Kritik der SPÖ-Gemeindevertreter aus dem Bezirk Mattersburg. In Pöttsching, wo der Posten 2007 eröffnet wurde, kann man nicht glauben, dass die Dienststelle bald Geschichte sein soll. Bürgermeister Herbert Gelbmann: „Wir hatten von den Schließungsplänen keine Ahnung. So kann man mit den Menschen nicht umspringen.“ Gelbmann fordert als Ausgleich eine ständige Polizeipräsenz vor Ort.

Hoffnung

„Das beste aus der Situation machen“, das ist das Motto von Vinzenz Jobst, ÖVP-Bürgermeister aus Sieggraben. In seiner Funktion als Bürgermeister, die er seit 21 Jahren ausübt, habe er den in den 1920er-Jahren gegründeten Posten bereits einige Male vor dem Zusperren „gerettet“. Dass die Dienststelle jetzt zusperrt, müsse man realistisch betrachten. „Wir waren schließlich auch eine der ersten Gemeinden, die die Post ins Gemeindeamt verlegt hat. Jetzt ist die Kundenfrequenz stärker als früher am Postamt.“ So werde es sich auch bei der Polizei verhalten: „Geht die Rechnung mit den Gemeindepolizisten auf, wäre die Polizei präsenter als vorher.“

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