Der Tod des Diamantenhändlers
Am Abend zuvor war es spät geworden. Diamantenhändler Werner Haas hatte eine Veranstaltung im Casino Baden besucht. Doch der 46-Jährige war ein Frühaufsteher. Er zog sich ein Sakko über und war bereit für das Tagesgeschäft, als es gegen 8.30 Uhr an seiner Tür läutete. Über eine Videokamera konnte Haas sehen, wer an der Tür stand. Es muss ein bekanntes Gesicht gewesen sein.
Als Haas die Tür öffnete, fiel der erste Schuss. Er taumelte zurück, flüchtete ins Innere der Wohnung – in sein Arbeitszimmer. Dort wurde der zweite Schuss abgefeuert. Wieder wurde Haas in den Oberkörper getroffen. Und dieser Schuss war tödlich.
Tresor durchwühlt
Es dauerte elf Stunden bis Werner Haas gefunden wurde. Seine Geschäftspartnerin hatte sich Sorgen gemacht, weil er nicht auf Anrufe reagiert hatte. Gegen 19.30 öffnete sie die Tür zur Wohnung in der Lammgasse 12 in Wien-Josefstadt und stieß auf seinen leblosen Körper. Daneben stand der Tresor offen. Er war durchwühlt worden.
Der Mord am Diamantenhändler ereignete sich am 27. September 2007. Bis heute ist unklar, warum Werner Haas sterben musste.
„Im Tresor haben sich Tage zuvor Schmuck und wertvolle Farbedelsteine befunden. Außerdem waren da noch ein paar tausend Euro drin für kurzfristige Ankäufe oder Bezahlungen“, berichtet Chefinspektor Ernst Hoffmann. Er leitet heute eine der Mordgruppen im Landeskriminalamt Wien und war auch damals am Tatort.
Bis zuletzt ließ sich nicht klären, ob der Inhalt des Tresors gestohlen wurde – oder ob der Schmuck schon vor dem Mord weitergegeben worden war. Denn: „Viele kleinere Schmuckstücke und eine größere Skulptur für Golfturniere, die doch einen beträchtlichen Wert hatte, waren vom Täter nicht mitgenommen worden.“
Hoffmann glaubt nicht, dass es sich um einen klassischen Raubmord handelte. Doch die Welt der Diamanten ist eine eigene. „Das ist ein hartes Geschäft“, sagt Leopold Rössler. Er ist der Präsident der gemmologischen Gesellschaft, also Edelstein-Spezialist. Und er war mit Haas befreundet.
Dunkle Spuren: Chefinspektor Hoffmann zum Tathergang
Diamanten als Anlage
Haas sei ein Manager gewesen, der „Diamanten auf modernen Stil verkaufen wollte“. Er war der erste, der Diamanten als Anlage-Objekte verkaufte. „Das war für damalige Zeiten ein heißes Eisen“, sagt Rössler. Sein Freund war aber auch der erste, der Fancy Diamonds, also farbige Diamanten, nach Österreich brachte. „Damals eine Sensation.“
Haas hatte Sicherheitsvorkehrungen in der Wohnung, in der auch seine Geschäftsräume waren, getroffen – an seinem Arbeitstisch stand ein Monitor, auf dem er sehen konnte, wer vor seiner Tür stand. Und ebenfalls bei diesem Tisch war ein Alarmknopf angebracht. Haas hatte ihn nicht gedrückt.
Die Schüsse im Haus – sie waren nicht unbemerkt geblieben. Mehrere Bewohner hatten sie wahrgenommen. Darunter auch Herr N. „Es war ungefähr halb neun, ich musste zum Arzt. Und da habe ich einen Knaller gehört. So, als würde man einen leeren Karton vom ersten Stock runter auf die Straße schmeißen“, erinnert er sich. Er wunderte sich nicht. Im Haus fanden gerade Bauarbeiten statt.
Am Tatort fanden sich keine Kampfspuren. Und auch der Täter hatte keine Spuren hinterlassen – bis auf möglicherweise eine. Am Sakko von Werner Haas fand man fremde DNA. Sie konnte bis heute niemandem zugerechnet werden. Allerdings: Dieses Sakko hatte Haas auch schon am Vorabend im Casino getragen.
High Society
Haas war in der "besseren Gesellschaft" bekannt. Der eigentlich zurückhaltende Mann machte hier seine Geschäfte. Er sponserte Veranstaltungen für die Krebshilfe, veranstaltete gut besuchte Ausstellungen.
„Er hat wunderschönen Schmuck gehabt, wirklich originellen“, erinnert sich Rechtsanwalt Manfred Ainedter. „Wir waren Kunden bei ihm. Aber er nicht bei mir. Er hat keinen Anwalt gebraucht.“ Ainedter beschreibt Haas als besonders großzügigen und höflichen Menschen, der viele Freunde und Bekannte hatte. "Wer kann den erschießen?", fragt er sich. "Noch dazu in dieser brutalen Art in seinem eigenen Büro. Also wir waren alle weg und sind bis heute erschüttert."
Dunkle Spuren: Zwei Freunde erinner sich an Werner Haas
Der Privatmann Werner Haas verbrachte die Abende gerne in Gesellschaft von Freunden. Sein Stammlokal war das Theatercafe auf dem Wiener Naschmarkt. Damals betrieb es Szene-Gastronom Ivo Brnjic. Im Lauf der Zeit freundeten sich die beiden Männer an. Haas sei sehr charmant gewesen, er habe gerne ein Glas Wein getrunken. Aber er war keiner, der über den Durst getrunken hätte und laut geworden wäre, erzählt Brnjic. Und er erinnert sich auch daran, dass sich viele Gerüchte um den Tod seines Freundes rankten.
Er habe eine Affäre mit einer verheirateten Frau gehabt. Mit ihr könnte er sogar ein Kind gehabt haben. "Aber die Leute erzählen viel, wissen aber wenig", fügt er hinzu.
Das Kind blieb ein Gerücht, die Affäre ließ sich belegen – allerdings lag die bereits einige Zeit zurück.
Zuletzt war Haas mit einer jungen Tierärztin aus Slowenien liiert. Und diese Beziehung sei ernst gewesen, schildern die Angehörigen von Werner Haas.
„Ich war überzeugt, dass er sie heiraten und mit ihr Kinder haben will“, erinnert sich auch Geschäftspartnerin Amanda Holloway. Haas hatte sie mit seiner Lebensgefährtin in London besucht. Das war außergewöhnlich. Denn es war die erste Frau, die er offiziell vorstellte. "Er hat gefragt: Was glaubst du, wie findest du sie?", erinnert sich Holloway.
Dunkle Spuren: Amanda erinnert sich an Werner Haas
Die Frau - sie war gerade frisch geschieden (es soll eine einvernehmliche Scheidung ohne Rosenkrieg gewesen sein) - wollte nach Wien ziehen. Bis dahin fuhr Haas regelmäßig zu ihr nach Slowenien. Und auf dem Weg zurück blieb er bei seinen Verwandten im kleinen Ort Limbach in der Steiermark stehen. "In erster Linie, um seine Mutter zu besuchen", erzählt die Schwägerin von Werner Haas.
Haas stammte aus einfachen Verhältnissen. Der Vater war Zimmerer, die Mutter Hausfrau. Nach der Matura wurde er Finanz- und Wirtschaftsberater, ehe er zu einer Diamantenfirma nach Wien wechselte. Dort war sein Chef häufig unterwegs, Haas führte die Firma in dessen Abwesenheit. Und irgendwann dachte er sich: Dann mache ich es gleich selber.
Gemeinsam mit einer Kollegin gründete er daraufhin die Firma "De Haas".
Bescheiden
Die Geschäfte liefen nicht schlecht, doch reich war Haas nicht. Er fuhr ein altes Auto, gab wenig Geld für sich selbst aus. Sein Luxus war das Golfspielen. Hin und wieder leistete er sich Golfreisen mit einem Freund. Dann spielte er in Florida oder Mallorca.
Sein Stammclub allerdings war der Golfclub Tuttendörfl in der Nähe von Korneuburg. Zwei bis drei Mal in der Woche kam Haas zum Spielen vorbei. "Einmal ist er sogar Clubmeister geworden", erzählt Werner Albrecht, der seit vielen Jahren im Golfclub arbeitet.
Haas war auch im Vorstand des Clubs, kümmerte sich um die Jugendarbeit. Und er blieb nach dem Spielen gerne noch auf ein Glas sitzen und plauderte mit den anderen Golfern. "Er war ein ausgesprochen freundlicher und umgänglicher Mensch", schildert Albrecht.
In seinem Umfeld verliert niemand ein schlechtes Wort über Haas. Umso unverständlicher ist für seine Familie, die Freunde und Wegbegleiter sein Tod. "Er hätte die Türe nicht aufgemacht für jemanden, den er nicht gekannt hat", sagt seine ehemalige Geschäftspartnerin Holloway. "Also habe ich mir gedacht: Ist da jemand in unserem Freundeskreis, der ihm etwas getan hat? Oder hat er jemandem etwas getan?"
Diese Frage beschäftigt auch Chefinspektor Hoffmann. Denn bis zuletzt finden sich dafür keine Anhaltspunkte. Weder gibt es Hinweise auf geschäftliche Probleme, noch auf private Streitigkeiten.
Und auch die Spuren am Tatort lieferten keinen entscheidenden Hinweis. Es gab keinerlei Kampfspuren. Die verwendete Waffe war ein Massenprodukt - eine Pistole 9 Millimeter. Hunderte Personen wurden befragt. Haas' Terminkalender durchforstet, die Handydaten ausgewertet.
"Jetzt sind seit der Tat zwölf Jahre vergangen. Vielleicht gibt es noch jemanden, den wir damals befragt haben, der über irgendwelche für uns wesentlichen Sachen Bescheid wusste. Und uns diese nicht mitgeteilt hat, um kein Gerücht in die Welt zu setzen", sagt Hoffmann. "Vielleicht fasst die Person, wenn sie das liest, doch den Entschluss, zur Polizei zu gehen und uns diese Mitteilung zu machen."
Darauf hofft auch die Familie von Werner Haas. Sie konnte seinen Tod noch nicht verarbeiten. "Auch wenn das den Werner nicht mehr lebendig macht", sagt seine Schwägerin. "Aber früher oder später wird der Mörder gefunden. Irgendwann kommt dieser Tag."
Hinweise an das Landeskriminalamt Wien (Journaldienst) unter (01) 313 10-33 800
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