Das verbotene Geschäft mit den Ärztedaten
Was mit den Daten von Spitälern und Ärzten über den Medikamentenverbrauch passiert ist, skizziert die ehemalige Mitarbeiterin einer Pharmafirma im KURIER-Gespräch: „Wir wussten damit, in welchem Bezirk Österreichs gerade die Medikamente der Konkurrenz gekauft wurden. Dann schickten wir unsere Vertreter dort hin, die mit – sagen wir es vorsichtig – Sponsoring für Studien oder anderen Zuwendungen die Ärzte dazu überredeten, künftig unsere Mittel zu verwenden. Jedes Unternehmen in der Branche hat diese Daten von IMS Health natürlich gekauft und eingesetzt.“
Die Folgen für den Patienten seien damit höhere Kosten für Medikamente und damit höhere Beiträge für die Krankenkassen gewesen. Dieses System funktioniere seit 15 Jahre so.
Doppelfunktion
Die Datensätze über den Medikamentenverbrauch haben etwa alle niederösterreichischen Spitäler, aber auch die Vinzenz-Gruppe an die US-Firma IMS Health gemeldet. Das ist insofern brisant, als dazu auch das Spital Göttlicher Heiland in Wien gehört. Dessen Geschäftsführer Martin Steinhart ist zugleich der Vizepräsident der Wiener Ärztekammer. Diese forderte jetzt ein Berufsverbot für jene 350 Ärzte, die an IMS Health Patientendaten verkauft hatten. Gestern, Donnerstag, legte noch Kammer-Vizepräsident Harald Mayer nach. Er will auch Konsequenzen für die Spitals-Manager.
Steinhart wollte zur seiner Doppelrolle nicht Stellung beziehen. Die Vinzenz-Gruppe wird laut deren Sprecherin Annemarie Kramser nun die Verträge aber prüfen und betonte, die Daten würden auch dazu verwendet, den eigenen Verbrauch mit anderen Krankenhäusern zu vergleichen. Die Daten seien streng anonym.
„Stöger muss handeln“
Rund um die Weitergabe der Patientendaten steigert sich die Aufregung in der Politik. SPÖ und ÖVP gerieten erstmals direkt aneinander. Die ÖVP fordert Gesundheitsminister Alois Stöger zum Handeln auf. Dessen Sprecher sieht gegenüber dem KURIER dazu aber keinen Grund: „Die Weitergabe von Daten ist schon jetzt strengstens verboten.“
Die FPÖ spricht vom „Gesundheitsdaten-Klau“ und forderte eine sofortigen Stopp der elektronischen Gesundheitsakte ELGA. Auch VP-Generalsekretär Hannes Rauch sieht einen „Datenklau“, die „Untätigkeit Stögers ist symptomatisch für die SPÖ“, meinte er in einer Aussendung. Das Thema erreicht somit immer mehr den Nationalratswahlkampf.
Verbot im Vertrag
Die Ärztekammer will künftig die Weitergabe von Daten für die Marktforschung generell verbieten. Der Hauptverband möchte eine Generalklausel in allen Kassenverträgen, die eine Datenweitergabe an Dritte verbietet – bei sonstiger Kündigung des Vertrages. Die Apothekerkammer will ebenfalls ein Verbot für ihre Mitglieder erlassen.
Noch immer ist allerdings unklar, welche Ärzte bei der Datenweitergabe mitgemacht haben. Bis zu 850 Mediziner, 150 Spitäler und 280 Apotheken werden genannt. Ob deren Identität jemals gelüftet wird, ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft. Erst wenn es Hausdurchsuchungen und dann Verfahren gibt, könnte bekannt werden, welche Mediziner Patientendaten für 432 Euro pro Jahr verkauft haben. Bis dahin könnte deren Identität nur durch Hinweise an die Kammer oder die Krankenkassa gelüftet werden.
Die Korruptionsstaatsanwaltschaft hat von sich aus Ermittlungen aufgenommen. Die Staatsanwaltschaft Wien hat noch keine Anzeige erhalten, heißt es dort.
IMS Health: Weltweiter Datensammler
„IMS Health ist jenes Unternehmen, das seit Jahrzehnten für die gesamte Gesundheitsbranche Daten aufbereitet – auch für öffentliche Einrichtungen“, sagt ein Gesundheitsexperte. „Alle haben das gewusst. Die Firma ist quasi der Monopolist in diesem Bereich.“ Laut dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ verfolgt IMS Health die Krankheiten von mehr als 300 Millionen Patienten weltweit, viele zurück bis ins Jahr 1992.
Laut eigenen Angaben ist IMS Health in mehr als 100 Ländern weltweit präsent. In Österreich hat das Unternehmen 25 Mitarbeiter. Nähere Auskünfte wollte IMS Health am Donnerstag mit dem Verweis auf die laufenden Untersuchungen nicht mehr geben.
Der deutsche Arzt und Apotheker Wolfgang Becker-Brüser ist Herausgeber der unabhängigen medizinischen Fachzeitschrift Arznei-Telegramm.
KURIER: Marktforschungsunternehmen sagen, die Erhebung von Verschreibungsdaten könne „für die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems von großer Bedeutung“ sein.Wolfgang Becker-Brüser: Wichtige Erkenntnisse für das Gesundheitssystem kann man aus den Daten der Krankenkassen gewinnen. Die Weitergabe von Daten an Marktforschungsunternehmen bringt für Patienten keine Vorteile, im Gegenteil: Für die Patienten ist das nur kontraproduktiv. Vorteile bringt das nur für Pharmaunternehmen, die diese Daten sehr teuer zukaufen.
Welche sind das genau?
Diese Daten dienen für die Steuerung des Marketings: Die Firmen sehen so, wo sie mit den Verschreibungszahlen deutlich unter dem Durchschnitt liegen. Dann können sie ihre Marketingmaschine genau dort anwerfen und die Ärzte viel direkter und gezielter beeinflussen. Sie können sozusagen regional ihre Marketingmaßnahmen nachschärfen. Besonders neue, teure Produkte werden auf diese Weise massiv beworben, um sie in den Markt zu drücken. Viele neue Produkte würden sich sonst nie etablieren, weil es schon viele vergleichbare, ähnliche Produkte gibt. Und da werden dann halt im Marketing Vorteile herausgestrichen, die in der Praxis allerdings nicht so wichtig sind.
Und wenn garantiert wäre, dass die von Ärzten weitergegebenen Daten nicht auf Patientenebene rückverfolgbar sind?
Erstens stellt sich immer die Frage, ob nicht doch Rückschlüsse gezogen werden können. Die Verschreibungszahlen eines Präparates werden mit Alter, Geschlecht und weiteren verabreichten Medikamenten verknüpft – schon ergibt sich ein recht transparentes Bild. Aber auch dann, wenn wirklich keine Rückschlüsse möglich wären, sollten die Ärzte nachdenken, ob sie sich und ihrer Zunft etwas Gutes tun: Für ein paar Euros verkaufen sie Details, die eigentlich intern unter der Ärzteschaft bleiben sollten. Und letztlich geht es immer darum, das Verschreibeverhalten der Ärzte zu manipulieren und zu beeinflussen. Die Verordnung von Medikamenten sollte auf den Ergebnissen von wissenschaftlich fundierten Studien beruhen. Pharmamarketing versucht, zugunsten der eigenen Präparate die Medikamentenverschreibung der Ärzte zu beeinflussen. Jeder Arzt, der Daten weitergibt, trägt dazu bei.
„Die Daten einzelner Patienten interessieren uns nicht – die haben und bekommen wir auch nicht“, sagt Jan Oliver Huber, Generalsekretär der Pharmig (Verband der pharmazeutischen Unternehmen Österreichs). „Die Firmen interessiert, ob es regionale Unterschiede in der Häufigkeit der Verschreibung bestimmter Präparate gibt und wie sie im Verhältnis zu den Mitbewerbern dastehen.“ Das sei klassische Marktforschung, von der auch Patienten profitieren würden: „Wir sehen anhand der Verschreibedaten, ob Therapieempfehlungen eingehalten werden und wie die Therapie in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern aussieht.“ Auch die Information von Ärzten über Studienergebnisse zu einem Präparat sei legitim: „Das ist keine Beeinflussung. Die haben alle ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein“, so Huber. Ähnlich argumentiert Anton Jenzer, Präsident des „Dialog Marketing Verbandes“ (DMVÖ): „Medikamente haben enorme Entwicklungskosten. Da ist es auch legitim, Marktforschung zu machen. Allerdings muss sichergestellt sein, dass kein Rückschluss auf Einzelpersonen möglich ist.“
Zu wenig Wissen
IMS-Daten zur Häufigkeit der Verordnung einzelner Medikamente werden auch von der öffentlichen AGES Medizinmarktaufsicht genützt. Leiter Univ.-Prof. Marcus Müllner: „Wir erhalten von Ärzten Meldungen über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen einzelner Präparate. Um abschätzen zu können, welche Bedeutung diese Meldungen haben, müssen wir wissen, wie viele Packungen von dem jeweiligen Präparat verschrieben werden. “ Bisher waren IMS-Daten die einzige Möglichkeit, dies feststellen zu können: „Wir sind davon ausgegangen, dass diese Daten rechtskonform erhoben werden.“
Generell sei – wenn alle Standards eingehalten werden – das Erheben von Gesundheitsdaten nichts Schlechtes, im Gegenteil: „Wir wissen in vielen Bereichen viel zu wenig über die regionale Versorgung der Patienten im Gesundheitsbereich – z. B. über die Art der Beratung bei Übergewicht in den Ordinationen oder Informationsangebote für Schwangere. “ Hier könnten mehr Daten helfen, das Angebot und damit letztlich auch den Gesundheitszustand vieler Menschen zu verbessern.
Die Apothekerkammer verweist darauf, dass durch die Speicherung aller einem Patienten verordneter Medikamente gefährliche Wechselwirkungen erkannt werden können: „Der Kunde muss dazu aber seine Zustimmung geben“, so Präsidiumsmitglied Martin Hochstöger.
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