"Das ist Katastrophenmedizin": In Kärnten wurde bereits triagiert

Symbolbild
Krankenhausmitarbeiter berichtet von "Priorisierung" - Intensivkoordinator spricht von "ethischen Therapieentscheidungen".

Entgegen mancher Darstellungen von Politik und Krankenhaus-Verantwortlichen hat es laut Betriebsrat Ronald Rabitsch in den Kärntner Spitälern Triage-Situationen bereits gegeben - "phasenweise". Er wisse das nicht aus persönlicher Wahrnehmung, er habe entsprechende Berichte von Kollegen erhalten, sagte er gegenüber der APA. Triage bedeutet, dass nicht für alle Patienten ausreichend Ressourcen vorhanden sind und Ärzte entscheiden müssen, wer ein freies Intensivbett bekommt.

Ein Mitarbeiter des Klinikum Klagenfurt, der anonym bleiben möchte, berichtete am Donnerstag im APA-Gespräch von "Priorisierung". Man habe bis zu 70 Zugänge pro Tag, viele davon aus Pflegeheimen, die älter sind und auch andere Krankheiten haben, dabei seien die Ressourcen bei Betten und Personal begrenzt. Die Chancen eines Patienten, seine Nebenerkrankungen werden dann bewertet. "Ich möchte das Wort Triage nicht in den Mund nehmen. Patienten mit größeren Chancen werden vorgezogen."

Harte Entscheidungen

Als Beispiel nannte er eine 84 Jahre alte Frau mit Krankheiten, darunter Diabetes, auf die sie gut eingestellt ist, und zu Hause normal lebt. Als Herzinfarktpatientin würde die Frau normal therapiert. Kommt diese Frau als Covid-Patientin, "dann hat man aber nur x Betten." Dann müsse man entscheiden, ob man das Intensivbett einem 50- bis 60-Jährigen mit Herzinfarkt gebe, weil die Bettenkapazität beschränkt ist. Wenn Covid nicht wäre, würde die Frau die Maximaltherapie bekommen, sagte der Mitarbeiter.

Eine andere Covid-Patientin, deren Zustand sich verschlechtert hatte, sei knapp vor der Reanimation in den Covid-Schockraum gekommen. Bei der Frage, ob sie intubiert wird, hatte die Infektion einen sehr großen Stellenwert. "Covid hat eine Auswirkung, wie man Therapien anlegt. Man schaut genau, welche Gruppen von Personen weiter intensiv betreut werden. Das ist Katastrophenmedizin." Im Sommer sei berechnet worden, dass man 40 bis 50 stationäre Patienten und fünf bis acht Intensivpatienten haben werde - nur im Klinikum. Diese Zahlen werden nun weit übertroffen.

Kärnten mit höchster Todesrate

Kärnten sei in der ersten Welle Musterschüler gewesen. "Entweder haben wir es verschlafen oder nicht wahrgenommen, dass das ein Problem wird." Nun habe Kärnten die höchste Sterblichkeit auf 100.000 Einwohner. Auch bei den Intensivpatienten habe man die höchste Todesrate. Die Debatte über das "an oder mit einer Infektion gestorben" verstehe er nicht, sagte der Mitarbeiter. Die multimorbiden Patienten sterben nach seiner Ansicht nicht an Nebenerkrankungen. "Die sterben an Covid."

In Summe seien es wenige Patienten unter 50 Jahre, aber es gebe auch jüngere auf der Intensivstation, "die mit der Lunge fertiggefahren sind". Covid-Patienten bräuchten dann eine Lungentransplantation. "Da gibt es mehrere solche Fälle. Die haben eine extrem weiße Lunge." Eine Maschine müsse dann das Blut mit Sauerstoff versorgen. "Das ist keine banale Grippe."

Es gibt im Klinikum, so berichtet der Mitarbeiter, die Vorgabe durch die medizinische Leitung, dass Patienten mit einem CT-Wert über 30 nicht mehr als infektiös gelten. Sie kommen nach einem entsprechenden Test auf eine Intensivstation für nicht-infektiöse Patienten, wo nicht mehr die gleichen Sicherheitsstandards gelten.

Extreme Belastung

Die Situation des Klinikum-Personals habe sich seit Mitte November "extrem zugespitzt", sagte der Mitarbeiter. Im Schnitt gebe es pro Tag 15 bis 18 Neuinfektionen unter der Belegschaft. Er lobt die Krankenhausführung, weil viel getestet wird - ein bis zwei Schelltests machen Mitarbeiter freiwillig pro Woche. Wegen der vielen Ausfälle müssen auch Mitarbeiter, die als Kontaktpersonen 1 oder Infizierte mit einem CT-Wert über 30 in Quarantäne sind, arbeiten. Schüler und Auszubildende müssen zur Unterstützung herangezogen werden.

Auch auf die Versorgung in den Pflegeheimen wirke sich die Pandemie aus. Unter normalen Umständen kommt dort bei jedem lebensbedrohlichen Fall ein Notarzt. Aktuell werde bei Covid-Kranken in Pflegeheimen der Notarzt nicht einmal angefordert, "weil man gesagt hat, die Krankheit endet wahrscheinlich letal - das kann man natürlich schon als Triage bezeichnen". Auch im Krankenhaus habe die Frage, ob ein Patient Covid-positiv oder negativ ist, einen "sehr großen Stellenwert", wenn über die Behandlung von Patienten entschieden wird.

Müdigkeit und Tränen

Auch Rabitsch berichtet von der schwierigen Lage der Mitarbeiter, die große Flexibilität zeigten und jetzt vielfach in anderen Bereichen arbeiten, als jenen, auf die sie spezialisiert sind. "Die Kollegen sind ermüdet." Zusatzdienste stünden auf der Tagesordnung. Manche berichteten ihm, dass sie beim Autofahren einnicken, junge Kolleginnen würden auf der Station weinen, weil sie nicht wüssten, wie sie die Aufgaben bewältigen sollen.

Dazu kommen Akne und Schuppen mit Juckreiz von der Schutzkleidung. "Eine Pandemie ist eine Ausnahmesituation, die wir alle noch nicht gehabt haben." Rabitsch fürchtet, dass sich die Menschen jetzt, wenn die Maßnahmen gelockert werden, nicht mehr an die Vorgaben halten, und die Infektionszahlen wieder steigen und auch wieder mehr Menschen ein Krankenhausbett brauchen.

Kärntens Intensivkoordinator Rudolf Likar verneinte auf Anfrage, dass es Triage gegeben habe, auch keine Priorisierung. "Es gibt ethische Therapieentscheidungen." Ältere Patienten mit vielen Vorerkrankungen würde man auch ohne Corona nicht auf die Intensivstation tun, jetzt mit Covid mache man das auch nicht. "Wer ein Intensivbett braucht, bekommt eines", versicherte er. Es habe immer genug Intensivbetten gegeben, auch wenn es knapp dran war, dass es nicht mehr reicht. In der jetzigen Situation - erstmals seit ca. zehn Tagen weniger als 400 Spitalspatienten - würde er noch nicht von Entspannung sprechen, sagte Likar. Es sei aber ein "leichtes Durchatmen". Der Primar geht davon aus, dass Mitte Dezember Entspannung eintritt.

Patientenzahlen sinken nur langsam

Österreichweit gehen die Zahlen auf den Intensivstationen zurück - jedoch nur langsam. 668 Erkrankte waren es am Donnerstag, die intensivmedizinisch behandelt werden mussten - 37 Patienten bzw. 5,3 Prozent weniger als vor einer Woche. Ein Rundruf in den Bundesländern zeigte zumindest eine weiterhin kritische Situation, in Oberösterreich und Tirol war die Auslastung bei den Intensivbetten laut AGES-Dashboard am höchsten bei über 80 Prozent - der Österreichschnitt lag bei rund 55 Prozent.

Die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) sieht laut ihrem Präsidenten Klaus Markstaller inzwischen leichte Rückgänge bei der Zahl schwer an Covid-19 Erkrankter, "verbunden mit der Hoffnung, dass die abnehmenden Infektionszahlen sich hier zeitversetzt noch deutlicher auswirken werden."

Allerdings sei das noch keineswegs ein Grund zur Entwarnung, so der ÖGARI-Präsident in einem Statement am Donnerstag. "Von jenen angestrebten Zielwerten, die sicherstellen, dass eine Überlastung des Gesundheitssystems abgewendet ist, sind wir noch weit entfernt. Lockerungen bei bestehenden Maßnahmen und nächste Öffnungsschritte müssen behutsam und mit Bedacht gesetzt werden, um diese ersten Erfolge nicht zu gefährden und eine noch deutlichere Trendwende sicherzustellen."

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