Ich bin eine absolute Optimistin und sage: Ja, wir können das retten. Unser großer Wunsch ist, dass es einen klaren Pakt gegen Einsamkeit gibt, auch auf Bundesregierungsebene, wo wir in allen Formen des menschlichen Lebens das Thema Einsamkeit mitdenken: Wie bauen wir Wohnungen, wie bauen wir Orte? Dazu gehört auch ein armutsfestes Sozialnetz, in dem man abgesichert ist. Mittlerweile geht vieles in anonyme Räume hinein. Früher hat man sich nach der Kirche am Stammtisch etwas ausdiskutiert, das fehlt jetzt manchmal: dass man etwas von Angesicht zu Angesicht ausdiskutiert und nicht anonym in einen Chat schreibt.
Wie ließe sich gegensteuern?
Wir brauchen Begegnungsräume, wo wir trainieren, wieder miteinander in den Dialog zu treten, gerade im Hinblick auf die Spaltungstendenzen, die entstehen. Es würde viel helfen, wenn wir uns wieder darauf fokussieren, dass wir gemeinsam in die Zukunft gehen und nicht jeder für sich allein als Einzelperson.
Wie gehen Sie Beschimpfungen auf Social Media um?
Viele Menschen wissen gar nicht, welche Auswirkungen ihre Worte haben. Ich denke an die Fälle, wo Menschen Suizidgedanken deswegen haben, so etwas darf nicht passieren. Früher hat man auch Gerüchte erzählt, aber in den persönlichen Gesprächen war das nicht so einfach, weil man relativ klar gewusst hat, wer wer ist. Beim anonymisierten Reden über Menschen bis hin zu Verleumdungen und Drohungen brauchen wir wahrscheinlich auch neue Gesetzgebungen, um dagegen stärker vorzugehen. Ich persönlich kann mich gut schützen, ich lese das einfach nicht. Ich nehme nur Kommentare ernst, die mir mit Namen geschrieben werden.
Dass die Gesellschaft auseinanderdriftet, sieht man auch am steigenden Antisemitismus.
Aus der Geschichte Österreichs haben wir eine ganz klare Verantwortung – sich einsetzen gegen Antisemitismus, aber auch gegen jede Form von Fremdenfeindlichkeit und antimuslimischen Rassismus. Wir haben den Auftrag, auf Mitmenschlichkeit zu schauen, aber da braucht es den Dialog, um Frieden stiften zu können und eine Zukunft zu bieten. Wir müssen daran arbeiten, dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit bei uns keinen Platz haben, weil bei uns die Menschenrechte zählen.
In Europa sind die rechten Parteien auf dem Vormarsch, in Österreich ist Wahljahr. Momentan merkt man wenig Dialogbereitschaft.
Ja, wir haben momentan eine Stimmung, die kühl ist, und Erzählungen, die rau sind. Wir bitten um eine Abrüstung der Worte. Das Ziel ist, in Österreich einen Ort zu schaffen, wo Vielfalt sichtbar und lebbar ist, weil wir sie ja auch brauchen. Wir haben auf der einen Seite zu wenige Menschen, die bei uns arbeiten, aber zum anderen eine Kultur, die Fremde nicht willkommen heißt.
Wo liegt da denn das größte Problem?
Ich habe Sorge, dass die rechtsradikalen Tendenzen zu stark in der Öffentlichkeit präsentiert werden. Wir brauchen den Einsatz von den vielen Menschen, die noch immer die Mehrheit sind und sich hoffentlich für Demokratie einsetzen und die Wahrung der Menschenrechte. Oft habe ich das Gefühl, wir trauen uns nicht dazu zu stehen, aus Furcht, manche Wählerstimmen zu verlieren, anstatt sich darüber Gedanken zu machen, dass man Wählerstimmen eher gewinnt, wenn man klar für etwas einsteht.
Gibt es eine Wunschkonstellation für die nächste Bundesregierung?
Wir machen als Caritas keine Parteipolitik, wir reden mit allen Parteien. Aber wir wünschen uns, dass es eine Politik ist, die ihre Aufgaben ernst nimmt, die die vielen Anliegen der Bevölkerung aufnimmt und gestaltet, wofür sie gewählt wird. Eine Partei, die sich massiv gegen Menschenrechte oder gegen Fremde ausspricht, das wäre schwierig in einer Zusammenarbeit. Ich wünsche mir eine Bundesregierung, die Demokratie und eine solidarische Gesellschaft hochhält.
Der Wunsch nach einer solidarischen Gesellschaft wird oft als zu blauäugig kritisiert. Wie schafft man den Grat zwischen dem Ernstnehmen von Problemen und Weltoffenheit?
Wir begegnen in unseren Beratungsstellen, im Lerncafé, im Pflegewohnheim dem einzelnen Menschen. Aber das sind keine Einzelschicksale, sondern das ergibt flächendeckend über ganz Österreich ein Bild. Es geht nicht um Blauäugigkeit, sondern um eine faire Diskussion, die es zulässt, dass wir auch diese Schattenseiten haben in unserer Gesellschaft. Dass wir nicht nur Wohlstand, Fortschritt und Innovation haben, sondern auch Menschen, die zurückgelassen werden. Aber auch wir wissen, dass wir nicht immer helfen können, dass Menschen auch ihren Anteil leisten müssen, dass es einen gesetzlichen Rahmen gibt, in dem wir uns bewegen. Aber in diesem Rahmen muss das Leben für alle möglich sein.
Die KPÖ wurde zuletzt bei Kommunalwahlen massiv gestärkt, der politische Mitbewerb nennt diese Partei „Caritas der Politik“. Können Sie mit dieser Beschreibung etwas anfangen?
Wir distanzieren uns ganz klar, weil die Caritas keine Parteipolitik macht. Aber wenn die KPÖ soziale Themen benennt, ist das gut und wichtig. Und ich hoffe, es ist nicht nur die KPÖ, eigentlich müssten das alle Parteien in ihren Wahlprogrammen haben. Wenn das fehlt, müsste man sich eher Gedanken machen, ob dann in einem Wahlprogramm etwas Gravierendes nicht angeschaut wird. Soziale Anliegen sollte jede Partei ganz groß drin haben, weil sie sonst ganz viele Menschen vergessen würden.
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