Brückeneinsturz: Haarscharf an der Katastrophe vorbei

Bei Tageslicht zeigte sich das ganze Ausmaß des Schadens.
Frohnleiten.Intercity fuhr laut KURIER-Recherchen nur eine Minute vor dem Einsturz unter der Brücke durch

Maximal eine Minute stand Samstagabend offenbar zwischen dem vermutlich größten Zugunglück Österreichs und „nur“ einem handfesten Millionenschaden. Laut Recherchen des KURIER fuhr der Intercity 718 von Graz nach Salzburg mit rund 100 km/h um 18.04 Uhr unter der Brücke in Frohnleiten durch.

Bereits um 18.05 Uhr, also nur Augenblicke später, traf der erste Notruf bei den ÖBB ein. Das bestätigten zwei unabhängige Quellen.

Geistesgegenwärtig betätigte der Fahrdienstleiter von Frohnleiten den Notstopp. Der Intercity blieb daraufhin etwa fünf Kilometer hinter der eingestürzten Brücke stehen, wie Auswertungen ergeben haben. Entsprechende Berichte tauchten auch in einem Eisenbahn-Fachforum im Internet auf. „Wir sind hart an einer Katastrophe vorbeigeschrammt“, sagte der steirische Vida-Gewerkschafter Gernot Acko am Montag bei der Einsturzstelle in Frohnleiten.

Wie viele Menschen exakt in dem Intercity saßen, ist unklar. Die ÖBB betonen, dass die genaue Zahl der Insassen nicht registriert wird. Theoretisch gibt es in dem Intercity der Deutschen Bahn, der aus acht Waggons, einem Triebwagen und einer Lokomotive besteht, 528 Sitzplätze. Der Intercity soll wegen der Semesterferien jedenfalls sehr gut gefüllt gewesen sein, hieß es. Die ÖBB sprachen hingegen auf Anfrage von nur „etwa 70 Fahrgästen“.

Brückeneinsturz: Haarscharf an der Katastrophe vorbei
ABD0028_20150222 - FROHNLEITEN - ÖSTERREICH: Die eingestürzte Brücke des Neubaues der S35 in Frohnleiten am Sonntag, 22. Februar 2015. Die Brückenteile stürzten Samstagabend auf die darunterliegende Bahntrasse. - FOTO: APA/S. ULLRICH

Millionenschaden

Doch auch ohne derartiges Horrorszenario ist allein der finanzielle Schaden enorm: Rund 30 Millionen Euro dürfte der Schienenersatzverkehr nach dem Einsturz der S35-Brücke laut Asfinag-Schätzungen kosten. Der Neubau der Brücke mutet mit sechs Millionen Euro Baukosten im Vergleich geradezu bescheiden an. Nicht bezifferbar seien die Kosten der Aufräumarbeiten, heißt es seitens der Asfinag.

Details zu Schienenersatzverkehr und Umleitungen

Bei der Baustelle der S35 war das Arbeitsinspektorat jedenfalls von Beginn an Dauergast. Zuletzt besuchten die Kontrollore des 11. Aufsichtsbezirks wenige Wochen vor dem Einsturz die Baustelle, wurde dem KURIER bestätigt. Dabei wurde auch das Statik-Gutachten für das nun im Mittelpunkt stehende Brücken-Tragegerüst kontrolliert. „Das war vorhanden. Mehr als eine Sichtprüfung ist aber nicht möglich“, erklärt Josef Kerschhagl vom Zentral-Arbeitsinspektorat.

Lange Mängelliste

Allein zwischen November 2013 und September 2014 waren die Inspektoren sechs Mal bei der S35-Baustelle zu Überprüfungen, geht aus der Beantwortung einer Anfrage der FPÖ an das Sozialministerium hervor. Dabei wurde eine ganze Latte an Mängeln festgestellt – etwa im Zusammenhang mit Gerüsten, mit Arbeitsmitteln, mit Abbrucharbeiten, mit gefährlichen Arbeitsstoffen sowie dem Aufstellen von Anlegeleitern, schrieb das Ministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz. Betont wird dort, dass mehrfach „unverzügliche Maßnahmen“ angeordnet wurden. Strafen habe es in diesem Zusammenhang aber keine gegeben.

Brückeneinsturz: Haarscharf an der Katastrophe vorbei
ABD0035_20150222 - FROHNLEITEN - ÖSTERREICH: Die eingestürzte Brücke des Neubaues der S35 in Frohnleiten am Sonntag, 22. Februar 2015. Die Brückenteile stürzten Samstagabend auf die darunterliegende Bahntrasse. - FOTO: APA/ERWIN SCHERIAU

Nachdem bereits die Staatsanwaltschaft ermittelt, geben sich die Beteiligten zugeknöpft. Die Baufirma Strabag etwa kommuniziert nur noch schriftlich mit Medien. Betont wird, dass erst ab November im Unfallbereich gearbeitet wurde. Die Beanstandungen der Inspektoren hätten andere Bereiche der Baustelle betroffen.

Über die genaue Ursache des Einsturzes wird noch gerätselt. Erst am Freitag wurden als bislang letzte Maßnahme Stahlseile gespannt, um die Brücke leicht aufzuwölben. Ob das Einfluss auf den Einsturz hatte, werden Sachverständige klären. Bei der Asfinag geht man davon aus, dass die Brücke auch ohne das Tragegerüst (Lehrgerüst, Anm.) gehalten hätte.

Brückeneinsturz: Haarscharf an der Katastrophe vorbei
Was zu dem Einsturz geführt hat, ist noch unklar.
Brückeneinsturz: Haarscharf an der Katastrophe vorbei
Die eingestürzte Brücke Samstag Abend.

Für die Kinder ist es ein Spaß“, ist Franziska Adam überzeugt und nimmt die Situation mit Humor. „Jetzt haben sie eine längere Busfahrt und eine Zugfahrt an einem Tag.“ Dass die Reise nach Wien zu ihrer Schwester nun etwas länger dauert, sieht die 28-Jährige aus dem südsteirischen Leibnitz gelassen. „Es funktioniert alles super, es ist gut organisiert.“

Auch Helmut Erker, der von Wien nach Graz fuhr, ist zufrieden. „Es hat 15 Minuten länger gedauert, aber es hat alles gepasst.“ Schmunzeln musste der 65-Jährige auch. „Der Buslenker hat sich ein bisserl verfahren und Hilfe von den Passagieren gebraucht.“ Adam und Erker sind zwei von 10.000 Bahnkunden, die wochentags vom Streckenausfall zwischen Graz und Bruck an der Mur betroffen sind.

46 Autobusse setzten die ÖBB gestern ein, um Pendler, Schüler und übrige Reisende dennoch an ihre Ziele zu bringen.

Abbruch

Daran dürfte sich in nächster Zeit auch nicht viel ändern: Die Sperre der Bahnstrecke werde „mehrere Wochen“ dauern, bedauert ÖBB-Sprecher Christoph Posch. Im Lauf dieser Woche soll das Abbruch-Konzept einer Baufirma vorliegen, danach beginnen statische Untersuchungen. Erst dann kann begonnen werden, die Gleise wieder aufzubauen.

Bis dahin muss der Schienenersatzverkehr aufrechterhalten und auch bezahlt – werden: Pro Tag gehe es um Summen in sechsstelliger Höhe. Experten der Asfinag kolportieren gar 30 Millionen Euro, die Anmietung der Busse, Bezahlung der Lenker und Pönalen für Verzögerungen kosten dürften. Um die Kapazitäten einer Zuggarnitur zu ersetzen, sind bis zu sechs Autobusse nötig.

Verzögerungen

Den Fahrgästen kostet die Unterbrechung vor allem Zeit: Im Fernverkehr beträgt die Fahrzeit durchschnittlich zehn Minuten mehr, im Nahverkehr zwischen Graz und Bruck bis zu 30 Minuten.

Logistisch noch viel schwieriger ist jedoch der Aufwand, der für den Frachtverkehr gemacht werden muss: 80 Güterzüge fahren üblicherweise täglich über den betroffenen Streckenabschnitt, beladen mit jeweils bis zu 1600 Tonnen Fracht. Damit vor allem

Auto- und Papierindustrie rund um Graz mit Rohstoffen versorgt werden können, werden die Güterzüge umgeleitet: Statt von Bruck an der Mur nach Graz zu fahren, werden Güterzüge über Villach, Laibach und Maribor nach Graz gebracht das ist ein Umweg von gut 600 Kilometern. Auch die Ostbahn-Strecke über Hartberg und Ungarn wird verstärkt genützt.

Der spektakuläre Sturz eines Brückentragwerkes der S35 im steirischen Frohnleiten auf die Geleise der Südbahn bringt Pendlern in der Steiermark aber auch Fahrgästen von Fernreisezügen in den Süden laut ÖBB noch bis 7. März Unannehmlichkeiten. Wie berichtet, sind Samstagabend rund 800 Tonnen Beton und Stahl auf die Bahnstrecke gekracht. Nur kurz zuvor hatte ein Zug, der von Salzburg nach Graz unterwegs war, die Unglücksstelle nahe des Bahnhofs Frohnleiten passiert.

Bus statt Bahn

Die ÖBB richteten für die rund 100 täglichen Zugsverbindungen auf der Teilstrecke Schienenersatzverkehr ein - die Mitnahme von Fahrrädern ist in den Bussen aus Platzgründen nicht gestattet. Ursprünglich wurde mit bis zu einer Stunde Verspätung für Reisende in diesem Abschnitt gerechnet. Ersten Informationen zur Folge beliefen sich die Verspätungen Montagfrüh jedoch lediglich auf 15 bis 20 Minuten.

Die Umstellungen im Detail

Bus statt Bahn heißt es für Reisende des Fernverkehrs die von Wien nach Graz fahren zwischen Graz und Bruck/ Mur.

Züge des Fernverkehrs zwischen Linz, Salzburg, Innsbruck und Graz enden beziehungsweise beginnen in Leoben. Reisende nach Graz steigen in St. Michael in den/vom Schienenersatzverkehr um. Dieser fährt Leoben nicht an.

Züge des Nahverkehrs zwischen Graz und Bruck werden zwischen Peggau-Deutschfeistritz und Mixnitz-Bärenschützklamm im Schienenersatzverkehr geführt. Dazwischen ist ein Busverkehr eingerichtet. Wie die Bundesbahnen bekannt geben, ist der Bahnhof Mixnitz-Bärenschützklamm nicht barrierefrei, daher ist ein Rollstuhltransport auf dieser Strecke nicht möglich.

Der Nachtzug von/nach Feldkirch fährt bis auf weiteres ohne Autoreisezugwagen.

Die ÖBB bitten zudem mobilitätseingeschränkte Reisende, sich vor ihrer Fahrt mit dem ÖBB-Kundenservice 05-1717 in Verbindung zu setzen.

Den Sonderfahrplan der Bundesbahnen finden Sie hier.

Auto und Lkw

Auch die S35, die eigentlich über eine parallel laufende Brücke geführt wird, ist derzeit wegen der Aufräumarbeiten in beiden Richtungen gesperrt. Zwischen der Anschlussstelle Laufnitzdorf und jener in Frohnleiten wurde eine örtliche Umleitung eingerichtet.

Ermittlungen

Unabhängige Gutachter sollen den Grund für den Einsturz der Schnellstraßenbrücke klären. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen wegen fahrlässiger Gemeingefährdung aufgenommen.

Weitere Streckensperre

Aufgrund von Bauarbeiten nach einem Felssturz ist auch die Strecke der Donauuferbahn zwischen St.Nikola-Struden und Sarmingstein in Oberösterreich voraussichtlich bis 01. März 2015 unterbrochen. Zwischen den beiden Ortschaften wurde ebenfalls Schienenersatzverkehr eingerichtet. Wie die ÖBB melden, kommt es zu "Unregelmäßigkeiten und Verspätungen".

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