Bergung im Höhlendrama beginnt
Jacob Krammer lässt sein Handy nicht mehr aus den Augen. Der 40-Jährige arbeitet als Anästhesist im LKH Salzburg. Am Freitag hat er als Notarzt Bereitschaftsdienst. Gegen 13 Uhr kommt der Anruf von der Salzburger Höhlenrettung: Krammer, aktuell als Reservist bei der Organisation, muss in die Riesending-Höhle im Untersberg. Wann genau, weiß er noch nicht, aber er ist vorbereitet. "Der Rucksack mit dem Equipment ist gepackt, ich bin mental und körperlich fit", sagt er zum KURIER. Wie er diese schwierige Aufgabe angeht? "Ich lasse das, wie jeden Einsatz und jedes Abenteuer in meinem Leben, einfach auf mich zukommen. Sich zu fürchten, wäre unprofessionell", scherzt er.
Arztablöse
Krammer soll gemeinsam mit einem Münchner Arzt jene beiden Mediziner ablösen, die seit Mittwochnacht beim Verletzten an der Unfallstelle ausgeharrt haben. Einer von ihnen ist der aus Stockerau stammende Martin Göksu, 37. "Wir erwarten ihn am Samstag zurück aus der Tiefe", bestätigt der Niederösterreicher Erich Hofmann, der in Berchtesgaden – unterstützt von einem Kärntner Kollegen – den Einsatz des österreichischen Höhlenretterteams leitet. Göksus Aufstieg dauert mehr als zwölf Stunden. "Er ist in einer Gruppe unterwegs und muss sein Tempo daher den anderen anpassen." Kommende Woche soll übrigens ein weiterer Arzt aus NÖ in die Riesending-Höhle hinabklettern. Hofmann: "Er hält sich schon bereit."
Patient Johann Westhauser liegt seit Sonntag mit einem Schädel-Hirn-Trauma, das er nach einem Steinschlag erlitten hat, in 1000 Meter Tiefe. Den Zustand des 52-Jährigen beschreibt Stefan Schneider von der Bergwacht Bayern als "unverändert stabil". Eine Operation in der Höhle sei nicht geplant. "Es sind keine Gehirnschwellungen mehr zu erwarten", beruhigt Schneider. Für den Fall, dass Westhausers Schädeldecke doch geöffnet werden müsse, liege ein Bohrer bereit.
Start für Transport
Per Textnachricht verständigten am Freitag die Retter an der Unfallstelle das Basislager um 17.28 Uhr: "Transport startet jetzt." Der Weg nach oben ist beschwerlich, die erste Etappe reicht von Biwak 5 zu 4. Die Vorbereitungen an den nächsten Abschnitten laufen weiter auf Hochtouren: Eine Seilbahn wurde eingebaut, Seile mussten erneuert und Trittstifte in die Felswände geschlagen werden.
In der Nacht auf Freitag wurde es eng in der Höhle: Acht internationale Teams übernachteten nach getaner Arbeit in den Biwaks. Schneider: "Manche mussten im Stehen und Sitzen schlafen." Der logistische Aufwand sei enorm, erklärt Einsatzleiter Hofmann: "Es ist eine wahre Materialschlacht." Ein Teil seiner Leute sei laufend damit beschäftigt, das benützte Equipment auszutauschen.
Am Freitag stieg mit der erfahrenen Höhlenforscherin Sabine Z. erstmals ein weiblicher Retter in die Tiefe.
Christian Lassacher war am vergangenen Sonntag einer der ersten Retter in der Riesending-Höhle. Von Beruf ist er Wagner, von Sonntag bis Dienstag war seine Aufgabe, Biwaks in Hunderten Metern Tiefe auszustatten. Jetzt ist er wieder daheim in Tamsweg. Der 32-Jährige fiebert mit seinen Kameraden mit.
KURIER: Was waren Ihre Eindrücke, als Sie mit dem ersten Trupp abgestiegen sind?
Christian Lassacher: Das ist eine Expedition, für die man sich normalerweise wochenlang vorbereitet. Am Sonntag musste es aber schnell gehen. Ich bin seit meinem 16. Lebensjahr bei der Höhlenrettung, aber so etwas habe ich noch nie erlebt. Erst als wir drinnen waren, haben wir begriffen, welche Ausmaße dieser Einsatz hat.
Was geht da in einem vor?
Es war erst einmal ein Schock. Spontan denkt man: Ich will nicht mehr. Aber man muss alle Ängste abschalten und konzentriert sich nur auf den Verunglückten.
Wie schaut es da unten aus?
Es ist kalt, nass und dreckig – aber das ist man als Höhlenretter gewohnt. Ich war heuer schon auf 20 Touren. Was hier dazukommt, sind die extrem schwierigen Passagen, die alle Kraft erfordern. Immer wieder bleibt man wo hängen, droht abzurutschen, muss sich jeden Schritt zwei Mal überlegen. Zwischendurch hinsetzen und ausruhen ist nicht drin.
Wären Sie bereit, ein zweites Mal hineinzugehen?
Jetzt sind frische Kräfte am Zug, aber wenn ich gebraucht werde, komme ich natürlich. Jeder der Helfer verdient größten Respekt. Ich hoffe, es kommt jeder heil heraus.
Donnerstagvormittag kam die Frohbotschaft: Der seit Tagen in der Riesending-Schachthöhle bei Berchtesgaden schwer verletzt ausharrende Höhlenforscher Johann Westhauser sei transportfähig. "Die Ärzte, die zu ihm vorgedrungen sind, haben dafür ihr o.k. gegeben", sagt Stefan Schneider von der Bergwacht Bayern. Der genaue Zeitpunkt, wann mit der Bergung des 52-jährigen Stuttgarters begonnen werden kann, blieb aber noch unklar. Die Vorbereitungsarbeiten für den Aufstieg waren allerdings schon voll im Gang.
Der internationale Rettungs- und Bergeeinsatz findet auch mit massiver Beteiligung durch österreichische Helfer statt. Insgesamt 15 Landsleute befanden sich am Donnerstag vor Ort. Die größte Gruppe stellte dabei der nö. Landesverband der Höhlenretter – mit neun Experten. Ernst Hofmann, stellvertretender NÖ-Landesleiter, koordiniert das Österreicher-Team. Er hält sich seit Mittwoch in Bayern auf.
Sicherungen
"Derzeit sind zwölf unserer Leute in der Höhle. Ihre Aufgabe ist es, die unterirdischen Passagen für einen möglichst schonenden Transport des Verletzten vorzubereiten", erklärt Hofmann. Großes Augenmerk werde aber auch auf die Sicherheit der Rettungsmannschaften gelegt. Ziel sei, dass die meisten Passagen von zwei Mann mit Trage passiert werden können. "Seile müssen deshalb neu verlegt, Trittstifte eingeschlagen, Flaschenzüge und Seilbahnen installiert werden", beschreibt Hofmann die Anforderungen. Problematisch für die Retter sei neben der Tiefe vor allem das Wasser in der Höhle. "Wenn außerdem noch heftige Gewitter abgehen, werden Teile der Höhle vorübergehend nicht mehr befahrbar sein, dann verzögert sich alles."
Seine Leute werden etwa zwei Tage bis drei Tage unter Tag arbeiten und dann durch andere ersetzt werden müssen. "Die psychischen Anstrengungen sind sehr hoch."
Das bestätigt auch Harald Mixanig von der Kärntner Höhlenrettung: "Jeder Helfer muss ehrlich sagen, wann er genug hat und nicht mehr kann." Die Bereitschaft zu helfen, sei glücklicherweise enorm. "Wir haben sogar schon Angebote aus Slowenien, auch diese Leute stehen jetzt auf Abruf bereit."
Halskrause
Westhauser soll mit einer Flexi-Trage möglichst behutsam transportiert werden. Er bekommt eine Halskrause, damit sich die Bewegungen auf sein Schädel-Hirn-Trauma nicht allzu sehr auswirken. Petermeyer: "Sein Kopf soll möglichst stabil gehalten werden. Bei einigen Passagen werden Verrenkungen aber nicht zu vermeiden sein – es ist daher noch ziemlich ungewiss, wie er das schafft."
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