"Tourengeher verlassen sich auf Lawinenpieps"

Der Großteil der Lawinentoten (11 von 21) waren Tourengeher, die übrigen vor allem Variantenfahrer.
Im heurigen Winter kamen bereits 21 Menschen durch Lawinen ums Leben. Tourengeher vertrauen zu sehr auf die Technik, sagt ein langjähriger Tiroler Bergretter.

Die erschreckende Erkenntnis kam erst nach der Bergung eines toten Deutschen. "Ich habe im Eifer um die mögliche Rettung eines Menschenlebens die Gefahr unterschätzt", gibt sich Walter Zobl im KURIER-Gespräch selbstkritisch. Am Freitag vergangener Woche hatte der Ortsstellenleiter der Bergrettung Berwang (Bezirk Reutte) 20 seiner Kameraden in einen Hang unterhalb der Engelspitze geschickt, in dem ein Tourengeher rund 600 Meter von einer riesigen Lawine über extrem steiles Gelände mitgerissen wurde. "Unsere Leute mussten durch den Lawinenkegel steigen, weil links und rechts davon die Gefahr zu groß war, dass der Rest vom Hang runterkommt", erzählt Zobl.

Der 37-jährige Vermisste konnte, wie berichtet, nur noch tot geborgen werden. Hatte es zunächst danach ausgesehen, dass der Tourengeher sein und das Leben der Retter für eine Tiefschneefahrt aufs Spiel gesetzt hatte, relativiert Zobl inzwischen. "Ich habe mir das noch einmal angeschaut. Er dürfte Riesenpech gehabt haben und einfach zu weit vom Hangrücken abgekommen sein."

"Tourengeher verlassen sich auf Lawinenpieps"
Walter Zobl aus Namlos ist seit 40 Jahren bei der Bergrettung. Er ist Ortsstelleneliter von Berwang/Namlos.
Doch der Einsatz beschäftigt den 60-Jährigen bis heute: "Meine Kameraden hatten ein Mordsrisiko." Immer wieder bewegen sich Bergretter auf dem schmalen Grat zwischen der Gefahr für das eigene Leben und der möglichen Rettung eines anderen. Die Sinnfrage stellt sich immer dann, wenn ein Wintersportler seinen Unfall durch zu große Risikobereitschaft selbst verursacht hat. Nach 40 Jahren bei der Bergrettung zeigt die Entwicklung für Zobl, dass neue Technik kein Garant für Sicherzeit ist. "Es sind immer wieder neue Geräte gekommen: Der Lawinenpieps und später der Airbag. Sobald es etwas Neues gibt, verlassen sich viele Tourengeher darauf, dass ihnen nichts passieren kann und sie sowieso gefunden werden."

Auf Skitour in den Tod gestürzt

Nur noch tot konnte am Samstag ein Tourengeher auf dem Hohen Göll im Salzburger Tennengau mit dem Hubschrauber geborgen werden. "Er ist beim Zustieg in die Ostwand ausgerutscht und abgestürzt", sagt Christian Schartner von der Bergrettung Hallein. Die wollte zum Verunfallten aufsteigen, musste den Einsatz aber abbrechen. "Das war wegen Gleitschneelawinen zu gefährlich", berichtet Schartner. Der unverletzt gebliebene Begleiter des Mannes und der Tote wurden ausgeflogen.

In dem Fall war klar, dass dem Verunglückten nicht mehr zu helfen war. "Dass man umdreht, wenn man die Chance hat, ein Leben zu retten, kommt selten vor", sagt der Salzburger, der wie sein Tiroler Kollege die Belastung als Einsatzleiter kennt. "Man ist oft nicht vor Ort und muss die Entscheidung, seine Leute reinzuschicken, aus der Ferne treffen. Das ist nicht immer leicht."

Junger Brite rutschte über Rinne ab

Riesenglück hatte ein 14-jähriger Bursche am Freitag. Der junge Brite war am Mölltaler Gletscher beim Fotografieren an einer Geländekante hingefallen und rutschte etwa 500 Höhenmeter über eine Rinne ab. Ein Begleitskilehrer leistete Erste Hilfe. Der Bursche wurde mit dem Hubschrauber ins Spital geflogen. Er ist mit Prellungen und Abschürfungen davongekommen. Der Brite war Teil einer Gruppe mit fünf weiteren Jugendlichen, die an ihrem letzten Urlaubstag noch Panoramafotos schießen wollten. Dabei passierte das Unglück.

Die Serie schwerer Pistenunfälle mit Fahrerflucht reißt nicht ab. Auf der Schmittenhöhe in Zell/See wurde Freitagnachmittag ein Neunjähriger aus den Niederlanden von einem Skisportler (etwa zehn bis 14 Jahre alt) überfahren und schwer verletzt zurückgelassen.

Mit einem günstigen Schneedeckenaufbau erklärte Karl Gabl, Präsident vom Kuratorium für Alpine Sicherheit, Ende des vergangenen Winters die geringe Zahl an Lawinentoten. 13 Menschen waren in der Saison 2013/14 ums Leben gekommen. Dass heuer bereits 21 Menschen in Österreich nach Lawinenunfällen nur noch tot geborgen werden konnten, hat für Experten ebenfalls einen Grund: Der schlechte Schneedeckenaufbau, vor allem in Tirol, wo bisher alleine 10 Lawinentote registriert wurden.

Es ist die Bestätigung dessen, dass vor allem die Begleitumstände eines Winter – etwa schönes Wetter und große Lawinengefahr während der Ferien – die Zahl der Toten von Winter zu Winter variieren lassen. In der Saison 2004/05 ereilte der weiße Tod etwa 48 Menschen, im Jahr davor waren es gerade einmal acht. Wie schwarz die Bilanz des heurigen Winters ausfallen wird, steht noch in den Sternen. 2009/10 waren bis zum 15. Februar 22 Menschen bei Lawinenabgängen gestorben, am Saisonende waren es 35.

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