Martin Kruiss trägt jedes Mal die gleiche Kombination: einen schwarzen Kapuzenpulli, braune Wanderschuhe, eine schmutzige Latzhose. Auch in diesem Moment, als Lila auf ihn zusprintet. Er steht mit den Beinen fest am Boden, der Oberkörper nach vorne gebeugt. Die Malinois-Hündin springt in die Luft und beißt in den Juteärmel.
Es ist dieser kurze Moment, der zum Politikum wurde. Und der Martin Kruiss und die Mitglieder seines Vereins in Verruf bringt. Hier, am Trainingsplatz der Sporthundeschule Baumgarten im Burgenland, trifft man sich, um dem Hundesport nachzugehen. Fährtenarbeit, Unterordnung, Agility. Doch im Fokus steht nur eine Ausbildung: jene zum Schutzhund. Sie beinhaltet das umstrittene Beiß- und Angriffstraining, bei dem der Hund auf Kommando in die „Beute“ – also den Juteärmel oder ein Spielzeug aus Jute – beißt. Ab 15. April ist es in Österreich verboten. Der frühere Gesundheits- und Tierschutzminister Johannes Rauch (Grüne) erließ die Verordnung kurz vor seinem Abtritt.
„Ich mache das schon so viele Jahre. Es ist einfach nur traurig“, sagt Conny Rybar. Sie ist die Besitzerin von Malinois-Hündin Lila. Bis zu 30 Stunden pro Woche verbringt sie auf der Hundewiese zwischen Äckern und Bahngleisen. Mit dabei hat sie ihre zwei kleinen Kinder. Die Angst, dass ihre Hündin dadurch zur Gefahr werde, hat sie nicht. Sie fasziniere die Teamarbeit mit dem Tier.
Tierschutzorganisationen hingegen jubeln ob des Verbots. Es handle sich bei diesen Trainings um nachgestellte Kampfszenen zwischen Mensch und Hund. „Das ist nicht mehr zeitgemäß und birgt ein Risiko“, sagt Julia Eppinger, Heimtierexpertin bei Vier Pfoten. Der Hund könne Fehlverknüpfungen entwickeln und nicht mehr zwischen dem sogenannten Figuranten am Trainingsplatz und dem Menschen im Alltag unterscheiden. „In diesen Trainings wird ihnen das beigebracht, was wir in der Gesellschaft nicht wollen“, sagt Eppinger.
Vereinsobmann Martin Kruiss ist von Beruf Diensthundeführer beim Bundesheer
Attacke nach Training
Anlass für die Novellierung war eine tödliche Hundeattacke 2023 in Oberösterreich. Damals fielen drei American-Staffordshire-Terrier eine Joggerin an und verletzten sie so schwer, dass sie starb. Kurz danach kam heraus, dass der Rüde an einem Schutzhundetraining teilgenommen hatte. Die Diskussion, ob Hunde durch diese Trainings „scharf“ gemacht werden, war entbrannt.
Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten verweist auf Passagen aus der Prüfungsordnung für Schutzhunde. Darin ist die Rede von Übungen „mit dem Softstock“ und „Angriffe auf den Hund“. „Das hat in einem Hundetraining nichts zu suchen und schadet der positiven Beziehung zwischen Mensch und Tier“, sagt Heimtierexpertin Julia Eppinger.
Martin Kruiss sitzt an einem langen Tisch im Vereinslokal und macht sich Vorwürfe. Man habe die Öffentlichkeit zu wenig darüber aufgeklärt, wie die Schutzhundeausbildung tatsächlich ablaufe. „Die Leute glauben, wir hetzen Hunde auf Menschen und sperren sie dann in den Zwinger. Das stimmt nicht. Die Hunde leben im Familienverband“, sagt der Vereinsobmann, von Beruf Diensthundeführer beim Bundesheer.
In den Trainings arbeite man ausschließlich mit Belohnung. Die Tiere hätten Spaß dabei. Danach seien sie ausgepowert und entspannt. Zudem ortet er ein großes Missverständnis: Der Hund attackiere nicht den Menschen, sondern jage seiner Beute – dem Juteärmel – hinterher. „Wir machen unsere Hunde nicht ,scharf’. Im Gegenteil. Sie werden dadurch leichter zu kontrollieren.“ Im Fall der getöteten Joggerin hätte der Hund das Training nur einmal besucht und nicht die ganze Ausbildung absolviert, sagt er.
Während die einen also von grausamer Abrichtung und die anderen von tadelloser Ausbildung sprechen, ist die Faktenlage schwierig. Zwischen 3.000 und 4.000 Hundebisse müssen in Österreich jährlich im Spital behandelt werden, besagen Schätzungen des Kuratoriums für Verkehrssicherheit. Dem gegenüber stehen 3.000 Österreicherinnen und Österreicher, die diese Form des Hundesports betreiben. Daten, ob ein Zusammenhang besteht, gibt es nicht. Sie werden nicht erhoben.
In der Sporthundeschule werden Latzhose, Kapuzenpulli und Wanderschuhe trotzdem nicht im Schrank bleiben. Zum einen hat man noch Hoffnung, die Novelle hat Ex-Minister Rauch eine Anzeige bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft eingebracht. Zum anderen überlegt Martin Kruiss, seine Schutzhundetrainings ins Ausland zu verlegen. Bis nach Ungarn sind es nämlich nur zwei Kilometer.
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