Autor übt Kritik an „unbegründeten Urteilen“
Der Mord an einer Tanzlehrerin in Gmunden (siehe unten) regt auch nach knapp sieben Jahren noch auf: Einerseits weil das Opfer grausam im eigenen Garten umgebracht wurde. Andererseits aufgrund der Verurteilung von Helmut S. zu zwanzig Jahren Haft: Ob bei dem Verfahren alles mit rechten Dingen zugegangen ist, bezweifeln mittlerweile ein Personenkomitee von 380 Personen – und Norbert Blaichinger. Er ist Autor und hat sich diesem Fall nun in seinem Buch „Kaum zu glauben“ gewidmet.
Insgesamt elf Fälle listet er in seinem Buch auf. In allen seien Ermittlungs- oder Verfahrensfehler gemacht worden – das behauptet zumindest Blaichinger. Denn Jurist ist er nicht, er kommt eigentlich aus der Pädagogik. „Ich habe mich immer für schwierige Jugendliche interessiert“, erklärt er seine Beschäftigung mit dem Thema.
Seit 15 Jahren befasst er sich schon mit Kriminalfällen. Seine Quellen seien eine „bunte Mischung“: Unterlagen von Rechtsanwälten, von Verurteilten selbst oder von Angehörigen – im Fall von Helmut S. vorrangig vom oben erwähnten Personenkomitee.
Freilich sind es meist Vertraute der Verurteilten, die die Fälle an Blaichinger herantragen. Dennoch betont er: Beeinflussen lasse er sich nicht, auch nehme er kein Geld. Vielmehr habe er sein Buch geschrieben, um Kritik am österreichischen Justizsystem zu üben – vor allem am Geschworenengericht. „Da bin ich hart“, sagt Blaichinger. Seiner Meinung nach gehöre das System reformiert – dies würden die Fälle in seinem Buch zeigen.
Blaichinger ist übrigens nicht der Erste, der Schwurgerichte kritisiert. „Es ist ein Thema, über das schon viele Juristen geschrieben und getagt haben“, bestätigt Christina Salzborn, Sprecherin des Landesgerichts für Strafsachen in Wien. Bundesweit gab es 2018 übrigens 257 Geschworenenverfahren. 72 davon – also die meisten – wurden in Wien durchgeführt.
„Gratwanderung“
Blaichinger kritisiert drei Punkte. Erstens den Mehrheitsentscheid: So könne 4:4 einen Freispruch bedeuten, ein 5:3 aber eine lebenslange Freiheitsstrafe. „Das ist eine heikle Gratwanderung“, sagt er. Zudem sei den Geschworenen oft nicht klar, welche Möglichkeiten, aber auch welche Pflichten Sie hätten. Sein Hauptkritikpunkt ist, dass die jeweils acht Geschworenen ihr Urteil nicht begründen müssen.
Laut Salzborn würden die Geschworenen einen auf den Fall abgestimmten Fragenkatalog erhalten. Ihre Entscheidung müssen die Geschworenen dann sehr wohl begründen, aber nicht öffentlich – sondern mündlich vor den Richtern. Dies werde dann stichwortartig niedergeschrieben.
Für Blaichinger ist das zu wenig: Ein laut ihm „unbegründetes Urteil“ könne man schwer anfechten. „Wie soll ich gegen etwas berufen, das nicht begründet ist?“, fragt er. Er ist überzeugt: Hätten die Geschworenen das Urteil von Helmut S. begründet, wäre bereits ein Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet – 2017 und 2018 startete S. diesbezügliche Versuche, aber ohne Erfolg. Und das, obwohl es laut Helmut S.’ damaligem Anwalt Franz Hitzenbichler handfeste Beweise für Ermittlungs- und Verfahrensfehler gebe. So sei etwa die mögliche Tatwaffe, ein Pokal, nicht berücksichtigt worden.
„Keine Fehlerkultur“
Aufgeben kommt für Helmut S. aber offenbar nicht infrage: Am 10. Jänner brachte er einen Antrag auf ein Amtshaftungsverfahren ein. Dieses wird nun von der Republik Österreich geprüft. Bis Sommer wollen sie zudem einen dritten Wiederaufnahmeantrag starten.
Blaichinger fehlt hier die Fehlerkultur in der Justiz: „Was wäre so schlimm daran, wenn man sich das noch einmal genauer ansieht?“
In der Nacht auf den 7. Juli 2013 wurde die Tanzlehrerin Ingrid S. in ihrem Garten überfallen, vergewaltigt und schwer am Kopf verletzt. Zuvor war sie mit Sportkollegen bei einer Feier im Tennisklub gewesen.
Erst zwei Tage später fand ein Bekannter die leblose 51-Jährige. Nach einer Woche starb das Opfer an einem Schädel-Hirn-Trauma, ohne je wieder das Bewusstsein erlangt zu haben. Am 12. Juli 2013 wurde schließlich ihr Tennispartner Helmut S. verhaftet. Er gibt zwar zu, sich mit dem Opfer im Garten verabredet zu haben. Auch zum Geschlechtsverkehr sei es gekommen. Danach sei die Frau gestürzt. Er habe ihr aufgeholfen, sie sei wohlauf gewesen.
Die Tat bestreitet er. Im Juli 2014 wurde S. am Landesgericht Wels wegen Vergewaltigung und versuchten Mordes durch Unterlassung zu 18 Jahren verurteilt. Ein Jahr später erhöhte der Oberste Gerichtshof auf 20 Jahre.
Kommentare