Aufgespürt: Die Doppel-Staatsbürger
Zwischen Ankara und Berlin fliegen die Giftpfeile. In Deutschland wurden, wie berichtet, mehrere Auftritte von türkischen Ministern unterbunden, die dort für eine Verfassungsreform bei ihren im Ausland lebenden Staatsbürgern werben wollten. Mit dem Referendum versucht sich Präsident Erdoğan, umfassende Macht zu sichern (siehe dazu Artikel auf Seite 14).
Die Abstimmung entscheidet darüber, in welche Richtung sich die Türkei entwickeln wird. Jede Stimme zählt. Darum steht auch wieder die wahlberechtigte türkische Diaspora im Fokus von Erdoğan und seiner AKP, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich.
Rund 116.000 Türken leben zwischen Boden- und Neusiedler See. Darüber hinaus gibt es aber auch noch ein unbekannte Zahl von österreichischen Staatsbürgern, die illegal auch türkische sind. Sie sind in den vergangenen Jahren in Tirol massiv ins Visier der Behörden geraten.
"Wir haben 2012 ein Musterverfahren geführt", erklärt Martin Plunger, der die Abteilung Staatsbürgerschaft beim Amt der Tiroler Landesregierung leitet. Im konkreten Fall wurde festgestellt, dass eine Türkin, der 1997 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, ein Jahr später auch die türkische wieder angenommen hat. Das kommt einem automatischen Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft gleich, der per Bescheid festgestellt wurde. Eine Beschwerde der Frau wies der Verwaltungsgerichtshof zurück.
"Seither haben wir etliche Altfälle aufgerollt. Eine Mitarbeiterin ist exklusiv mit dieser Materie betraut", sagt Plunger. 2015 und 2016 wurde dann bei 24 Tirolern türkischer Abstammung der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft per Bescheid festgestellt. Zehn weitere Verfahren laufen derzeit.
Die meisten Fälle haben ihren Ursprung in den Jahren 1996 bis 2000, also noch bevor die AKP in der Türkei ihren Siegeszug antrat. Aufgedeckt werden sie in der Regel nur durch Zufall – etwa wenn die österreichischen Ämter bei Familienzusammenführungen Einblick in das türkische Personenstandsregister erhalten.
Wie viele illegale Doppelstaatsbürger in Österreich leben, wissen die Behörden nicht. Zahlen, die im Zuge der türkischen Parlamentswahlen im November 2015 bekannt wurden, machen jedoch stutzig. Am Wahlabend gab die AKP Avusturya auf ihrer Facebookseite bekannt, dass in Österreich bei einer Wahlbeteiligung von 45 Prozent 48.020 Stimmen abgegeben wurden.
Zu viele Wähler
Somit wären umgerechnet rund 106.000 Personen wahlberechtigt gewesen. Laut Statistik Austria lebten per 1. 1. 2016 – also kurz nach der Wahl – in Österreich nur rund 93.000 türkische Staatsbürger, die 18 Jahre und älter waren. Bei den 13.000 offenbar zusätzlichen Wahlberechtigten könnte es sich um illegale Doppelstaatsbürger handeln.
Die Diskussionen über diese Thematik sind nicht ohne Folge geblieben. "Es gibt eine regelrechte Panik in der türkeistämmigen Community", sagt die aus der Tiroler Minarett-Gemeinde Telfs stammende grüne Nationalrätin Berivan Aslan (Grüne).
"Viele kennen sich rechtlich nicht gut aus und sind erst jetzt draufgekommen, dass sie neben der österreichischen auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzen, nachdem sie sich erkundigt haben", sagt sie. Dieses Argument wird von Betroffenen auch gegenüber den Behörden immer wieder angeführt, die das jedoch als Schutzbehauptung werten.
Der jüngste Fall wurde erst im Dezember vor dem Tiroler Landesverwaltungsgericht entschieden. Und er steht musterhaft für eine Serie von Verfahren, die in den vergangenen beiden Jahren in Tirol geführt wurden (siehe dazu Artikel auf Seite 13): Durch Zufall erhielten die Behörden davon Kenntnis, dass eine Türkin etwa ein Jahr nachdem sie die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen bekam, die zuvor zurückgelegte türkische illegal wieder angenommen hatte.
Der Rechtfertigung, dass der Wiedererwerb ohne ihr Wissen erfolgt sei, folgte das Gericht nicht, sondern wie in vielen ähnlichen Fällen der Argumentation der Behörde. Die sah es als erwiesen an, dass "die Beschwerdeführerin eine positive Willenserklärung zum (Wieder-)Erwerb der türkischen Staatsbürgerschaft abgegeben hat".
Warum eingebürgerte Türken das Risiko eingehen, die österreichische Staatsbürgerschaft wieder zu verlieren, darüber kann auch der Wiener Politologe Cengiz Günay nur spekulieren. "Ich glaube, den meisten geht es darum, dass sie die Bindung zum Heimatland nicht so leicht aufgeben möchten. Und vielleicht sind sie sich des Risikos auch gar nicht bewusst, dass einem die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt wird", sagt der Türkeikenner vom Österreichischen Instituts für Internationale Politik (oiip).
Vom Verbot der Doppelstaatsbürgerschaft hält er generell aber wenig: "Ich finde die österreichische Lösung, dass man keine Doppelstaatsbürgerschaft haben kann, idiotisch. Fast die Mehrzahl der Länder erlaubt sie. Es ist eine Illusion, dass man Identität einfach wie ein Kleidungsstück abstreifen kann. Ich kenne viele, die nur nicht österreichische Staatsbürger werden, weil sie dafür die türkische Staatsbürgerschaft ablegen müssten." Das sei ja auch eine emotionale Frage, meint Günay.
Der Faktor Wahlrecht
Die Türkei ermöglicht ihren ehemaligen Bürgern zwar den Erwerb der sogenannten "blauen Karte", die sie in fast allen Belangen mit türkischen Staatsbürgern gleichstellt. Das Wahlrecht ist damit aber nicht verknüpft.
Dass das eine Rolle bei Doppelstaatsbürgern spielt, will der Politologe nicht ausschließen: "Ich könnte mir schon auch vorstellen, dass viele aufgrund der engen Verbindungen zu ihrer Heimat auch motiviert sind, in der Türkei die politischen Dinge mitzubestimmen. Es spielt sich in diesem Land ja immer wieder Dramatisches ab."
Dass der Besitz von zwei Staatsbürgerschaften ein Integrationshemmnis darstellen könnte, glaubt der Wiener allerdings nicht: "Ich kann verstehen, dass man nicht will, dass die Polarisierung in der Türkei hierher getragen wird. Das Integrationsargument verstehe ich nicht ganz. Das kommt mir so vor, als ob man über die Erziehung kleiner Kinder spricht. Es würde wahrscheinlich auch vielen Österreicher nicht leicht fallen, ihre Staatsbürgerschaft abzulegen, wenn sie in ein anderes Land gehen."
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