Asyl: "Vorurteile werden geschürt"

Nicht nur bei Erna Herzer und Klaudia Riess herrscht Ärger und Unverständnis …
Bis zu 200 Flüchtlinge in einem Hotel: Jetzt gibt es Widerstand gegen Pläne des Innenministeriums.

Ein Quartier für 200 Asylwerber in einem kleinen Ort am Semmering in der Steiermark: Was für einen Aufschrei auf der großen Politbühne sorgte, war Mittwochnachmittag auch im beschaulichen Steinhaus das Gesprächsthema – jener Katastralgemeinde des Wintersportortes Spital, in dem das betroffene Hotel "Haus am Semmering" steht.

"Völlig verrückt" war noch das Harmloseste, was an der Schank des Gasthofs Gesslbauer zu hören war. Die Männer, die hier ihr Bier genossen, wollen nicht zitiert werden. Das, was sie über die Pläne von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner zu sagen haben, ist auch nicht zitierfähig.

Sachlicher beurteilen Wirtin Klaudia Riess und Kellnerin Erna Herzer die Situation – auch sie hegen aber nur Unverständnis für den Plan. "Wir haben in Steinhaus ohne Zweitwohnsitzer keine 200 Einwohner. Und dann sollen über 200 Asylwerber untergebracht werden? Wir haben sicher nichts gegen Ausländer, aber das geht einfach nicht", schüttelt Riess den Kopf. "Schade um das Hotel. Es hatte doch immer Gäste", meint Herzer.

Scharfe Kritik

Auch in der steirischen Politik gehen die Wogen hoch. "Eine Getto-Bildung" sei das, wettert SPÖ-Vizelandeshauptmann Siegfried Schrittwieser. Die Grünen lehnen das "Massenquartier" ab, ebenso die FPÖ. Unterstützung für die Steirer kommt von Kärntens SPÖ-Landeschef Peter Kaiser, Vorsitzender der Landeshauptleute-Konferenz. "So über ein Land und seine Bevölkerung drüberzufahren, entspricht in keinster Weise einer solidarischen Lösung." Er kritisiert Ministerin Mikl-Leitner scharf. "Sie nimmt bewusst in Kauf, dass Vorurteile und Ängste geschürt werden, was Wasser auf die Mühlen fremdenfeindlicher Rechtspopulisten bedeutet."

Die ÖVP-Politikerin bedauert aber: Es habe keine Alternative zu dem angebotenen Quartier gegeben, denn es müssten Zeltstädte wie in Deutschland verhindert werden.

48 Asylwerber sind seit Dienstagabend bereits in dem Hotel. Laut Innenministerium ist es für 200 Betten zugelassen. Erst Montag wurde der Vertrag mit der Besitzerin, einer Unternehmerin aus der Slowakei, unterzeichnet. Die rasche Vorgangsweise sei laut Ministerium nötig gewesen, weil im August die Anzahl der Asylanträge gewaltig gestiegen sei: 2341 gingen ein, das ist gegenüber August 2013 ein Plus von 73 Prozent. Und die Steiermark sei mit 535 Plätzen säumig. Schrittwieser kontert: Mit Stand Mittwoch gehe es um 461 Plätze, die Quote sei zu 88 Prozent erfüllt.

Auch Spitals Bürgermeister Reinhold Reisinger ist sauer über die Vorgangsweise des Bundes. "Das ist nicht mehr verhältnismäßig", begründet der Sozialdemokrat: Derzeit leben bereits 70 Asylwerber in der Gemeinde. Reisinger hat derzeit auch viel mit Bürgern zu tun, die sich über das Ministerium aufregen. "Da wollen Leute schon ihre Häuser verkaufen und deshalb wegziehen."

SPÖ-Vizelandeshauptmann Schrittwieser plant, "wenigstens die 70 Leute aus der Landesbetreuung in andere Gemeinden zu bringen". Außerdem will er künftig jenen Bürgermeistern mehr auf die Finger klopfen, deren Kommunen bisher wenige Flüchtlinge aufgenommen hätten: Es werde überlegt, in "sozial verträglichem Maße zuzuweisen", sobald sich Quartiergeber fänden.

Halle hat ausgedient

Die Turnhalle der Landespolizeidirektion Salzburg hat als "Notlösung" ausgedient: Jene 40 Flüchtlinge aus Syrien, die dort am Wochenende untergebracht wurden, bekamen private Unterkünfte in der Steiermark.

Das Ministerium hofft, dass die Länder ihre Quoten zu 100 Prozent erfüllen. "Darüber wird man diskutieren müssen", formuliert Monika Baumann aus dem Ressort von Salzburgs Landesrätin Martina Berthold, Grüne. "Wir bemühen uns intensiv um neue Plätze, kommen bei dem Ansturm aber nicht nach." Die Mindeststandards, die sich das Land auferlegt hat, grenzten die Suche zwar ein, aber: "Eine langfristige Unterbringung muss menschenwürdig sein."

Durch ein schmales Tal geht es in das abgeschiedene Dorf Landl, das Teil der Gemeinde Thiersee im Tiroler Bezirk Kufstein ist. Ohne Vorwarnung hat das Innenministerium hier vor zwei Wochen einen Landgasthof gemietet und quartiert seitdem bis zu 45 Flüchtlinge ein. "Keiner hat uns gefragt. So viele Leute auf einen Haufen, das geht nicht", sagt Angela Kirchmair. Gemeinsam mit rund 20 weiteren Anrainern stand sie am Mittwoch vor dem Gasthof "Zur Post" im Zentrum von Landl. Gestern war die Gewerbebehörde da, um zu überprüfen, ob das Haus auch 100 Personen vertragen würde.

Die Anrainer wollen sich gegen diesen Plan zur Wehr setzen. Jeder zeigt zwar Verständnis für das Schicksal der Flüchtlinge. "Aber wir haben Angst davor, was auf uns zukommt", erklärt Anna Pirchmoser. Im Dorfkern von Landl würden 180 Leute leben. Da wären 100 Flüchtlinge einfach zu viel.

Auch Ortschef Hannes Juffinger ist zum Lokalaugenschein gekommen, um seine Bedenken vorzubringen. Bei seinen Bürgern sorge vor allem ein Umstand für Verunsicherung: "Es ist ein ständiges Kommen und Gehen.Fast jeden zweiten Tag werden Leute ausgetauscht. Dabei wurde uns gesagt, dass Flüchtlinge im Schnitt 26 Tage in Bundesbetreuung sind."

In ruhigeren Zeiten sei das auch so, erklärt Alexander Marakovits, Sprecher des Innenministeriums. Aber man sei mit einem enormen Flüchtlingsstrom konfrontiert: "Das ist die Situation, in der wir stecken. Wir sind über jedes Bett dankbar."

Soziale Verpflichtung

Der Unterbringung von Asylsuchenden an sich steht Juffinger aufgeschlossen gegenüber. "Wir haben hier eine soziale Verpflichtung. Aber die Anzahl an Flüchtlingen muss überschaubar bleiben", sagt der Ortschef, der dabei seine Gemeinde hinter sich weiß. "Uns wurden auch schon Objekte angeboten, wo wir Flüchtlinge längerfristig unterbringen könnten."

Dafür können sich auch die Bewohner von Landl erwärmen. "Wenn man die Leute kennt und sie bleiben, dann kann man auch helfen", sagt Barbara Fankhauser. Allerdings müssten die Flüchtlinge auf ganz Thiersee verteilt werden, meint die Anrainerin des umfunktionierten Gasthofes. Das Ministerium hat sich hier vorerst bis Ende Oktober eingemietet. Wie es danach weitergeht, steht vorerst noch in den Sternen.

Wegen des IS-Terrors im Nahen Osten (siehe unten) rollt jetzt eine neue, große Flüchtlingswelle auf Europa zu. Die ersten massiveren Auswirkungen sind in Österreich bereits zu spüren. Seit Sommerbeginn ist die Zahl der Asylanträge sprunghaft angestiegen.

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) schlägt daher Quartier- und Budget-Alarm. Das Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen ist trotz des vor Wochen von Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll verfügten Aufnahmestopps mit 1400 Asylwerbern wieder randvoll. Um dort rechtskonform zu agieren, musste das Innenministerium zum Teil selbst die Betreuung übernehmen. Auch sucht die Innenministerin in Österreich dringend neue Quartiere. Denn Experten erwarten in nächster Zeit keine Entspannung.

Asyl: "Vorurteile werden geschürt"
Johanna Mikl-Leitner, Mikl Leitner, Ministerin, Bundesministerin für Inneres
Die Entwicklung hat auch Auswirkungen auf das Budget. Laut Innenministerium werden Bund und Länder für die Grundversorgung erstmals um die 200 Millionen Euro aufwenden, um rund 30 bis 40 Millionen mehr als im Vorjahr. Mikl-Leitner: "Es sind zusätzliches Budgetmittel notwendig."

130 Anträge pro TagAuf der Flucht vor den Kämpfen in Syrien und dem Irak kommen seit Wochen deutlich mehr Flüchtlinge an. Am Montag meldeten sich 135 neue Asylwerber, vergangene Woche waren es 700. Mikl-Leitner: "Im August gab es um 73 Prozent mehr Erstanträge als noch vor einem Jahr."

Bund und Länder stehen daher bei der Quartiersuche noch mehr unter Druck und kommen fast nicht nach. In Traiskirchen musste sogar zu einer Notmaßnahme gegriffen werden. Der von Niederösterreich verfügte Aufnahmestopp wurde de facto außer Kraft gesetzt. Der Asyl-Betreuer ORS darf laut Bescheid zwar nur 900 Flüchtlinge beherbergen.

Trotzdem sind in Traiskirchen wieder 1400 Flüchtlinge – wie vor dem Aufnahmestopp – untergebracht. Denn in der Zwischenzeit hat das Innenministerium einen Teil der Betreuung übernommen. An eine weitere Ausweitung sei vor Ort aber nicht gedacht. "Zusätzlichen Platz gibt es nicht", sagt Mikl-Leitner. Trotzdem ist die Aufregung in der Flüchtlingsstadt groß. Bürgermeister Andreas Babler (SPÖ) fuhr am Dienstag zu Bundeskanzler Werner Faymann, um eine Entlastung zu fordern.

Quartiersuche

Angesichts der Quartiernöte greift Mikl-Leitner zu unkonventionellen Maßnahmen. Für einige Tage wurden Syrier in einem Turnsaal der Salzburger Polizei einquartiert. Trotzdem ist die Ministerin positiv gestimmt. Immer mehr private Quartiergeber würden sich jetzt melden: "Heute konnten wir in der Steiermark ein neues Bundesbetreuungsquartier für 50 Asylwerber eröffnen." Allerdings war dies gleich bis zum letzten Platz gefüllt.

Von den knapp 25.000 Asylwerbern im Land betreut die Caritas 2769. Caritas-Direktor Michael Landau hält die bevorstehenden Herausforderungen "für bewältigbar. Aber dazu müssen Bund und Länder zusammenarbeiten." Landau ermahnte daher alle Länder, ihre Verpflichtungen zu erfüllen.

Der neue Flüchtlingsstrom wird jetzt zum Problem für Europa. Die Innenministerin kritisiert: "Acht bis neun Länder betreuen 90 Prozent der Asylwerber. Da gibt es eine extreme Schieflage." Daher fordert Mikl-Leitner jetzt einen Mahnruf der EU-Kommission ein: "Alle Länder müssen sich aktiv an der Flüchtlingsbetreuung beteiligen." Anfang Oktober werde dies eine zentrale Frage beim nächsten EU-Innenministertreffen sein.

Mittelfristig wünscht sich Mikl-Leitner überhaupt einen neuen, fixen Verteilungsschlüssel in Europa. Und: "Das UNHCR soll die Erstprüfung der Schutzbedürftigkeit vornehmen." Doch darüber braucht es in Europa erst eine intensive Diskussion.

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