Warum beim Hausbau in Österreich oft der Mut zur Architektur fehlt

Weiße Fassaden, dunkle Dächer: So sehen viele Neubauten in Österreich aus.
Wer durchs Land fährt, sieht oft ein vertrautes Bild: Neubausiedlungen voller hell verputzter Einfamilienhäuser, Flachdächer, Doppelgaragen, hohe Zäune. Dazwischen ein Hauch von Toskana-Villa. Doch statt Lavendel wächst der Rollrasen.
In Wien: Grau-weiße Wohnblöcke zwischen Gründerzeitfassaden, Balkone zur viel befahrenen Straße, Dachausbauten, die wirken, als hätte man sie einfach oben draufgesetzt.
Da drängt sich eine Frage auf: Warum baut Österreich eigentlich oft so?
Eine einfache Antwort gibt es nicht. Und man kann sich doch in die Nesseln setzen. Denn, wie heißt es so schön: Trautes Heim, Glück allein. Und: „Offenbar gefällt das“, sagt Renate Scheidenberger, die als Baumanagerin zwischen Baumeistern, Architekten und Bauherren vermittelt. Sie lacht. „Ich werde Schimpfe von meinen Kollegen bekommen, Geschmäcker und Ohrfeigen sind verschieden. Aber wenn man übers Land fährt, wundert man sich schon über den ein oder anderen Baustil“, sagt Scheidenberger, die auch Baumeisterin ist und sich für einen Schulterschluss mit Architekten ausspricht.
Häuslbauen ist teuer
Ein Grund sei schlicht das Geld: „Bauen ist teuer geworden“, sagt Scheidenberger. Oft gebe es zunächst ambitionierte Entwürfe – dann folgt die Ernüchterung: „Zu teuer. Also wird abgespeckt. Und das wirkt dann nicht mehr ganz so rund.“ Das Pferd werde von hinten aufgezäumt. Besser wäre es, gleich mit realistischen Budgets zu planen.
Auch die Größe vieler Häuser sei kein Zufall. „Ebenerdig zu bauen, ist günstiger als ein Keller. Alles soll praktisch und möglichst ohne Barriere sein – und der Garten wird miteinbezogen.“ Also wird die Garage auch größer und gleich zum Stauraum für Gartenmöbel.
Für die Stadt wirkt die Erklärung auch einfach. „In Wien erfüllt man die Bauordnung – aber nicht mehr“, sagt Georg Scherer, Gründer des Architekturblogs WienSchauen.at, der sich mit Architektur, Ästhetik und öffentlichem Raum beschäftigt. Warum Balkone an lauten Straßenzügen? „Weil man das jetzt darf.“
Die Angst vorm Zitieren
Was ihn besonders irritiert: „Man hat Angst, traditionelle Formen weiterzuentwickeln oder historische Stile zu zitieren.“ Lieber beim Vertrauten bleiben. In den Niederlanden etwa gehe man damit entspannter um – dort werde mutiger und oft auch schöner gebaut. Und dann ist da noch die Angst vor Farbe. „Man will nicht postmodern wirken“, sagt Scherer. Also nicht verspielt, nicht ironisch, nicht zitierend. Die Postmoderne war ab den 1960ern der Gegenentwurf zur strengen Moderne. Die Folge: „Alles wird weiß oder grau.“
Auch beim Material wird gespart: Während in den Niederlanden Klinkerfassaden üblich sind, setzt man hier auf einfachen Putz. „Weil es billiger ist“, sagt Scherer. Auch bei Dachausbauten gehe es oft um die günstigste Lösung: „Das wirkt dann völlig bezugslos zur Umgebung.“
So kommt Qualität in den Wohnbau
Ein strukturelles Problem sieht er in den Genehmigungsverfahren: Zwar prüfe die Magistratsabteilung 19 (Architektur und Stadtgestaltung), doch an den Resultaten sehe man, dass das nicht ansatzweise funktioniert. In den Niederlanden beurteilen externe Fachleute jedes Projekt. „Das bringt Qualität – und sieht man auch.“
Jeder will individuell sein, aber das führt in der Summe zu einer Art Monotonie.
Architekt
Besser ist es im geförderten Wohnbau. „Dort ist die Qualität oft höher als im frei finanzierten Bereich – weil es klare Vorgaben gibt: zu Raumgrößen, zu Freiflächen, zur Ausstattung“, sagt Architekt Johannes Zeininger, Vorstandsmitglied der IG Architektur.
Dass viele Gebäude als langweilig empfunden werden, liege für Zeininger nicht nur an mangelnder Gestaltung, sondern auch an gesellschaftlichen Entwicklungen: „Wir leben in einer Zeit, in der Individualismus ein dominierender Wert ist – mit allen positiven und negativen Folgen. Jeder will sich verwirklichen, jeder will sein eigenes Ding machen. Und Gemeinden werden sich hüten, zu viel einzugreifen.“
- 101,7 Quadratmeter betrug laut Statistik Austria im Jahr 2024 die durchschnittliche Wohnfläche
pro Wohnung.
- 48,6 Prozent: So hoch ist der Anteil der Mieter laut Statista in der österreichischen
Bevölkerung.
- 537 Tausend Euro kostet der Traum vom Eigenheim laut einer vom Baustoffkonzern Wienerberger in Auftrag gegeben Studie im Jahr 2022 im Durchschnitt. 2018 waren es noch 386.000 Euro. Das ist ein Anstieg um rund 39 Prozent in 4 Jahren.
- 250 Tausend Mitarbeiter hat die Bauwirtschaft in Österreich. Rund 5.000 Architektinnen und Architekten gibt es.
Bauen, sagt er, sei längst Teil eines größeren konsumorientierten Verständnisses geworden: „Wir denken beim Bauen in Produkten. Man geht in den Baumarkt, sieht Werbespots, bekommt ständig visuelle Anregungen.“ Das Ergebnis sei ein Paradox: „Jeder will individuell sein, aber das führt in der Summe zu einer Art Monotonie.“ Denn: „Jeder plant sein eigenes Haus – frei stehend, mit ein paar Metern Abstand zum Nachbarn, vorne Platz für die Einfahrt, hinten Platz für den Garten. Das wirkt gleichförmig – auch wenn sich jeder bemüht, es anders aussehen zu lassen.“
Das Fertigteilhaus in Vorarlberg
Werbung oder soziale Prägung sieht auch Katharina Ritter, Kuratorin im Architekturzentrum Wien, als Grund für manche Bauweise. Und die kann auch anders sein. „In Vorarlberg wird man schief angesehen, wenn man ein Fertigteilhaus hinstellt. Das hat mit sozialem Druck zu tun.“ Wer baut, bekennt sich zum Material, zur Haltung. „Das Handwerk wird geschätzt.“ Und wer sich dieser Wertschätzung entzieht, fällt auf – allerdings negativ.
Das gute Haus: Wie man richtig baut
Mit der Frage, ob Österreich fad baut, kann Johannes Zeininger wenig anfangen. „Fad ist kein planerischer Begriff“, sagt er. „Das ist eine emotionale Bewertung – kein Instrument, mit dem man Architektur analysieren oder gestalten kann.“
Vielmehr gehe es darum, stimmige Gebäude zu schaffen – solche, die den gesellschaftlichen, technischen, wirtschaftlichen und ökologischen Anforderungen ihrer Zeit entsprechen und dabei zeitlos bleiben. „Wenn man sich in Stadt und Land mit dem Bestand auseinandersetzt, und sich die Frage stellt, wie macht man es richtig, das schaut dann auch nicht fad aus“, sagt er.
Architekt Johannes Zeininger verweist auf ein Projekt von ihm. In der Geblergasse in Wien-Hernals wurde ein altes Zinshaus am Gürtel fit für die Zukunft gemacht und mit Solar- und Geothermie ausgestattet.

In der Geblergasse in Wien, gleich beim Gürtel, wurde ein altes Zinshaus mit Solar- und Geothermie zukunftsfit gemacht.
„Jedes Grundstück ist mit Energie versorgt – wir müssen nur lernen, das zu nutzen“, sagt Johannes Zeininger. Und da sind modische Tendenzen hinderlich. „Heute wird gerne Schwarz verwendet – schwarze Dächer, schwarze Fensterrahmen, schwarze Fliesen.“
Damit will man – wie auch die schwarze Kleidung vom Architekten, von den Existenzialisten bis zum Pfarrer – elitär und abgehoben wirken. Doch: „Jeder weiß, wie heiß sich Schwarz in der Sonne auflädt. In New York ist das mittlerweile verboten, dort werden Dächer weiß gestrichen.“
Gut leben, gute Architektur
Gute Architektur, sagt Johannes Zeininger, soll vor allem eines schaffen: Sie soll ein gutes Leben ermöglichen. Nicht im Sinne von Status oder Repräsentation – sondern als Ausdruck von Bewusstsein. „Wenn Menschen sich Gedanken machen – über ihre Umwelt, über ihre Kinder und deren Zukunft –, dann soll Architektur ihnen einen Rahmen bieten, in dem sie sich zu Hause fühlen. Einen Ort, an den sie gerne jeden Tag zurückkehren.“
Ein gutes Haus kann man umbauen, erweitern, anpassen.“
Architekturzentrum Wien
Und Katharina Ritter vom Architekturzentrum Wien ergänzt außerdem: „Ein gutes Haus kann man umbauen, erweitern, anpassen. Es ist kein Wegwerfprodukt“, sagt sie. Ein Fertigteilhaus hingegen, sagt Ritter, sei oft zu starr – und lande irgendwann im Sondermüll.
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