Im Herbst 2022 wurde Anton Matltle zum ÖVP-Landeshauptmann von Tirol gewählt. Er befindet sich mitten in der zweiten Hälfte seiner ersten Amtsperiode. Im KURIER-Interview erklärt er, warum er sich in Gesundheit und Bildung eine „ordentliche Bereinigung der Strukturen“ erwartet.
Und warum er kein Geld für eine mögliche Song-Contest-Austragung in Innsbruck hat.
KURIER:Täuscht der Eindruck, dass Sie nicht besonders begeistert davon sind, den Song Contest nach Innsbruck zu holen, oder besser gesagt, als Land einen finanziellen Beitrag zu leisten?
Anton Mattle:
Generell ist der Erfolg Österreichs etwas Tolles. Das Event selbst hat großen Charme. Leider ist es bei dieser derzeitigen budgetären Situation schwer, Mittel einzubringen. Deshalb: Infrastruktur, die Stadt und Land gemeinsam betreiben – unter anderem die Olympiaworld –, stellen wir gerne zur Verfügung. Aber sonst wird unser Beitrag eher ein ideeller sein.
Mehr nicht?
Es funktioniert nicht, wenn ich auf der einen Seite zu Sozialvereinen oder Kultureinrichtungen sagen muss, die Kassen sind klamm. Und dann nimmt das Land Millionenbeträge für den Song Contest in die Hand. Wenn es gelingt, über ORF, Tourismus, Wirtschaft und die Hostcity Innsbruck entsprechend finanzielle Mittel aufzubringen, dann ist das großartig.
Wäre dieser Event, der in die ganze Welt ausstrahlt, nicht eine Chance für das Sportland Tirol, sich mal anders zu positionieren und kann man sich diesen Werbeeffekt überhaupt entgehen lassen?
Es wird ein großer einmaliger Werbeeffekt sein. Dass aber Innsbruck so populär und Tirol so bekannt ist, hängt auch damit zusammen, dass die Olympischen Winterspiele bis heute nachhaltig wirken.
Tirol hat sich damit als Berg- und Wintersportland positioniert. Aber ein Song-Contest-Land werden wir mit einer einmaligen Veranstaltung nicht werden.
Bleiben wir bei den knappen Kassen. Bund, Länder und Gemeinden wollen bis Herbst einen neuen Stabilitätspakt vereinbaren. Wo werden denn die Länder reinschneiden müssen?
Ich kann nicht für alle Länder sprechen. Ich kann nur sagen, dass es in Tirol seit zwei Jahren einen sehr strengen Fahrplan gibt, wenn es um die Budgetkonsolidierung geht. Der Schuldenstand darf maximal 25 Prozent der Jahreseinnahmen ausmachen.
Das einzuhalten, ist eine große Herausforderung. Im Rahmen dessen wird es uns aber gelingen, keine neuen Schulden zu machen und den Beitrag zu leisten, den sich der Bund von den Ländern erwartet.
Die Länder Westösterreichs galten immer als die Sparfüchse der Republik. Wie weh tut es denn, dass auch hier die Schulden etwas aus dem Ruder gelaufen sind?
Unser Budget läuft nicht aus dem Ruder. Es ist natürlich für alle, die politisch aktiv sind, schön, wenn man zu allem Ja sagen kann. Aber jetzt ist die Zeit, wo man den Leuten sagen muss: Das geht im Moment nicht. Das ist keine angenehme Aufgabe. Aber ich erfahre in der Gesellschaft durchaus Verständnis für diese Maßnahmen.
Salzburg spart jetzt nachträglich 29 Millionen Euro alleine in der Gesundheit ein. Müssen sich die Österreicher darauf einstellen, dass sie die Haushaltskrise nachhaltig in der Daseinsvorsorge spüren?
Der Zugang im Land Tirol ist ein anderer. Wir haben ein sehr strenges Budget gemacht. Deswegen müssen wir nicht unter dem Jahr noch einmal Millionen einsparen, sondern einfach konsequent im Budgetvollzug sein. Bei den Dingen, die sich die Bevölkerung vom Land erwartet – das sind zum Beispiel die Spitäler –, müssen wir drauf schauen, dass das funktioniert.
Aber alleine die Komplexität in der Gesundheitsversorgung mit Finanzierung von Bund, Land, Krankenhausverbänden und den verschiedenen Krankenkassen ist sicher eine Aufgabe, die der Bund angehen muss. Hier braucht es eine ordentliche Strukturbereinigung.
Außer beim Bieranstich - hier beim Gauderfest im Zillertal - haben weder Mattle noch ÖVP-Bundeskanzler Christian Stocker aktuell viel zum Verteilen
Da sind wir beim Unwort der Föderalismusreform. IHS und Wifo sagen: Verantwortung für Finanzierung und effiziente Mittelverwendung gehören konsequent in eine Hand. Werden wir beide noch erleben, dass Schulen oder Gesundheit aus einer Hand verwaltet werden?
In Gesprächen mit Bundespolitikern ist es schon Thema, dass man klar zuordnet, wer für was verantwortlich ist. An unserer Universitätsklinik in Innsbruck arbeiten zum Beispiel Bundesbedienstete und Landesbedienstete. Die Mitarbeiter in Bezirkskrankenhäusern sind wiederum Gemeindebedienstete. Das ist sehr komplex.
Eine klare Struktur zu schaffen, bedeutet ja nicht, den Föderalismus abzuschaffen. Bei den Geldflüssen gehört aber definitiv aufgeräumt. Bei allen Maßnahmen geht es immer darum, dass die Bevölkerung jene qualitätsvollen Dienstleistungen erhält, die sie erwartet.
Wo würde denn Landeshauptmann Mattle aufräumen und die Strukturen bereinigen, wenn er es sich aussuchen könnte?
Es sind vor allem zwei Bereiche: Gesundheit und Bildung. Als Landeshauptmann ist man immer wieder überrascht, warum das so kompliziert sein muss. Generell werden die Lehrer vom Bund finanziert. Den Bereich der landwirtschaftlichen Schulen zahlt das Land.
Und jetzt ist neu dazugekommen, dass pädagogische und administrative Assistenten von den Gemeinden bezahlt werden. Aber in der Verfassung ist klar geregelt, dass die Pädagogik Aufgabe des Bundes wäre. Das zu bereinigen, steht jedenfalls an.
Wäre es dann nicht sinnvoll, einfach zu sagen: Das Spitalswesen zum Beispiel organisieren die Länder, der Bund kümmert sich um die Bildung – oder umgekehrt?
Diese Diskussionen werden stattfinden. Ob man es wirklich in dieser Dimension schafft, wird man sehen. Aber die Strukturen müssen bereinigt werden. Mut braucht es auf jeden Fall, wenn man das angeht. Und es braucht Partner, die aufeinander zugehen.
Österreich ist in Wirtschaftsrankings abgerutscht. Wie tief stecken wir denn tatsächlich im Schlamassel?
Dass man heuer neuerlich mit einer Rezession rechnen muss, erfüllt mich nicht mit Freude. Grundlage, um öffentliche Haushalte zu sanieren, ist Sparsamkeit und das Beenden von Doppelgleisigkeiten. Aber ohne Wirtschaftswachstum wird es nicht gehen. Und da bin ich optimistisch.
Deutschland ist unser Exportland Nummer eins. Ich denke, wenn dort 500 Milliarden in die Hand genommen werden, um die eigene Wirtschaft anzukurbeln, wird auch bei uns ein Wachstum entstehen.
Der Ministerpräsident des deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg, ein Grüner, hat zuletzt gemeint: Es müsse wieder mehr „rangeklotzt“ werden. Ein „Mentalitätsschub“ sei nötig. Braucht Österreich den auch?
Menschen meiner Generation können sich noch an das Lied „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt“ erinnern. Vielleicht ist das ein gutes Bild. Es wäre falsch zu sagen, dass die junge Generation nicht leistungsbereit ist.
Wir haben aber die Verantwortung, dass junge Leute wieder eine Perspektive haben und sie nicht das Gefühl plagt, sich keine eigenen vier Wände leisten zu können. Das wird die Bereitschaft, wieder in Vollzeit zu arbeiten, erhöhen.
Wenn man nur auf die durchschnittlich geleisteten Wochenstunden in Vollzeit schaut, liegt Österreich im EU-Spitzenfeld. Nimmt man die Teilzeitkräfte mit in die Rechnung, liegen wir ganz weit hinten. Muss man hier den Hebel ansetzen?
Es braucht zusätzliche Anreize. Wir müssen uns zum Beispiel die Steuerquoten in Bezug aufs Einkommen anschauen. Wer bis 36.000 Euro brutto pro Jahr verdient, zahlt 30 Prozent Steuer. Verdient man mehr, wird jeder Euro über dem Grenzwert mit 40 Prozent besteuert.
Dann ist die Frage: Tut man es sich an, mehr zu arbeiten? Es wird ein Bündel an Maßnahmen brauchen, damit die Bereitschaft zur Vollzeitarbeit wieder da ist.
Geht es nicht auch darum, zuallererst ein ausreichendes Angebot an Kinderbetreuung sicherzustellen?
Das Tiroler Modell des Rechts auf Kinderbildung und Kinderbetreuung ist österreichweit vorbildlich. Damit werden wir einen wesentlichen Beitrag leisten, damit beide Teile einer Familie die Voraussetzungen haben, einer Arbeit nachgehen zu können. Das werden wir 2026 umsetzen.
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