Nach dem Grazer Amoklauf: "Man fühlt sich innerlich alleine"

AMOKLAUF IN GRAZ: KERZEN VOR DER SCHULE
Auch Wochen nach der Tat in Graz sind Menschen schwer erschüttert. Eine Psychologin erklärt, wie ihnen geholfen wird.

40 Tage sind seit dem Amoklauf in Graz vergangen, zwei Wochen seit Beginn der Sommerferien. Die Katastrophe rückt medial und in der Bevölkerung zunehmend in den Hintergrund – doch die Unterstützung bleibt.

„Den Sturm, der über Graz geweht hat, können viele nicht verstehen – und viele, ja sehr viele sind davon immer noch betroffen“, sagt Psychologin Monika Baumann. Sie arbeitet für eine der vielen Organisationen, die aktuell helfen: Brainspotting Help. Diese Hilfsorganisation ermöglicht emotionale Unterstützung für Menschen, die unter den Folgen von Krieg, Flucht oder Katastrophen leiden.

Nur wenige Tage nach der Tat stellte Brainspotting Help ein Hilfsangebot für Betroffene in Graz bereit. Es ist auch jetzt – nach der sogenannten Akutphase – weiterhin gratis verfügbar.

Verstummt

„Viele Menschen sind tief erschüttert, andere verunsichert, manche verstummt“, sagt Baumann. Die Folgen zeigen sich in Schweigen, emotionaler Erschöpfung, Traurigkeit oder auch in körperlichem Unwohlsein. 

In solchen Momenten, wenn das Leben aus dem Gleichgewicht gerät, brauche es Räume, in denen Menschen wahrgenommen und gehört werden.

Wer kann Hilfe in Anspruch nehmen? 

Direkt betroffene Schüler, Lehrer, Ersthelfer können sich melden. Aber auch Menschen aus deren Umfeld. Das Angebot ist online zugänglich. Professionelle Ansprechpartner – Psychotherapeuten, Ärzte, Klinische Psychologinnen – stehen bereit: bis zu zehn Stunden kostenlos.

Das bedeutet: Auch Menschen, die nicht direkt vor Ort waren, aber dennoch das Gefühl haben, etwas habe sich seit dem Amoklauf verändert, können sich melden. 

Alte Verletzungen

Denn in solchen Situationen treten oft eigene alte Verletzungen wieder hervor. „Das passiert vielen Menschen. Wir nennen das einen Trigger“, sagt Baumann.

Krisenintervention

„Wir wissen heute, dass therapeutische Krisenintervention dabei helfen kann, aus der Handlungsunfähigkeit wieder ins Tun zu kommen“, erklärt Baumann. Brainspotting ist eine anerkannte körper- und emotionsbasierte Behandlungsmethode für Situationen, in denen Worte nicht mehr ausreichen. Ziel ist es, tief verankerte seelische Belastungen zu erreichen.

Innerhalb dieser Methode entwickelte Baumann eine eigene Ausbildung, mit Schwerpunkt auf der therapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die von Traumata betroffen sind.

Ein Schwerpunkt von Brainspotting Help ist die emotionale Hilfe für Kriegstraumatisierte. „Krieg und Amoklauf sind Situationen, wo man nichts tun kann“, erklärt Monika Baumann.

Notfallmodus

Diese Handlungsunfähigkeit führt dazu, dass das Gehirn auf Notfallmodus stellt. „Und man ist gefühlt innerlich alleine, auch wenn viele Menschen um einen rundherum sind“.

Bei der Behandlung wird das durchbrochen: „Es ist jemand da, der mir glaubt, dem ich vertrauen kann, dem ich frei von der Seele weg erzählen kann, wo ich gemeinsam hinspüren darf“, sagt die Psychologin.

Brainspotting Help sowie viele weitere Organisationen – allen voran die Gesundheitsdrehscheibe Graz, die seit Ferienbeginn Hilfe koordiniert – stünden Betroffenen zur Seite. „Wenn sie das Gefühl haben, nicht aus den stürmischen Gewässern rauszukommen, oder einfach nicht mehr so funktionieren wie vor dem Amoklauf.“

46-216799485

Die Psychologin ist auch ehrenamtlich engagiert. 

Wie funktioniert Brainspotting?

Die Psychologin Monika Baumann zitiert gerne einen Satz von Aristoteles, um Brainspotting zu erklären. „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“ Brainspotting geht davon aus, dass körperliche und seelische Verletzungen im Gehirn und im Körper gespeichert werden. 

Mithilfe der Augenpositionen und Orientierung können die Fachleute gemeinsam mit den Klient und Klientinnen die emotionalen Verletzungen „anschauen“ und so dazu beitragen, dass „die Segel anders gesetzt“ werden können. 

Das Erlebte bekommt einen Platz in der Biografie und belastet nicht mehr (so intensiv) im Hier und Jetzt. 

Entwickelt wurde die Methode vom New Yorker Psychoanalytiker David Grand. Er arbeitete mit Opfern von 9/11 und dem Hurrikan Katrina in New Orleans. Über den körperlichen Zugang kann emotionale Wirksamkeit erzielt werden, so Brainspotting Austria.

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