Amokfahrt: "Zeitweise lachte er sogar"

Graz trauerte offiziell eine Woche lang: Zehntausende Kerzen brannten im Gedenken an die Todesopfer.
Am Dienstag beginnt der Prozess gegen Alen R., der behauptet, er habe Passanten "versehentlich" erfasst.

Zweiglgasse 12. Dort wurde Adis D. von dem grünen SUV niedergefahren. "Der Tod trat sofort ein." So nüchtern fasst ein Satz der Staatsanwaltschaft Graz ein Drama zusammen: Adis D. hatte erst zwei Wochen zuvor geheiratet. Seine Frau Adisa ging neben ihm und überlebte.

Herrengasse 23. Michaela S. sah das Auto nicht kommen: "Sie starb an Ort und Stelle",so die Justiz.

Herrengasse 17. Dort spielte Valentin, vier Jahre alt. "Der Betroffene lenkte seinen Pkw gegen den ahnungslosen kleinen Buben. Das Kind starb an Ort und Stelle."

Übermorgen, Dienstag, beginnt der Prozess gegen Alen R.: Der 27-Jährige fuhr am 20. Juni 2015 mit dem Auto seines Vaters durch die Grazer Innenstadt, tötete dabei Adis, Michaela und Valentin, verletzte Dutzende Menschen und gefährdete viele mehr.

Antrag, nicht Anklage

Einer dieser gefährdeten Menschen war der Grazer Bürgermeister, Siegfried Nagl. "Niedergemäht" habe der Lenker seine Opfer, wird Nagl in jenem Antrag der Staatsanwaltschaft zitiert, mit der auf Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher plädiert wird. Denn R. gilt als unzurechnungsfähig: Er sei "paranoid und schizophren", befanden Psychiater. Deshalb gibt es keine Anklage wegen Mordes und Mordversuches, sondern bloß einen Antrag auf Einweisung. Aus dem Grund gilt R. nicht als Angeklagter, sondern als Betroffener.

Dem KURIER liegt dieser Antrag auf Einweisung vor. Minutiös listet der Staatsanwalt jede Station der Amokfahrt auf: Beginnend um 12.04 Uhr bei der Zweiglgasse 12, wo Adis D. getötet wurde, bis zum Ende in der Schmiedgasse vor der Polizeiinspektion.

Dazwischen liegen sechs Minuten. In diesen sechs Minuten raste R. laut Staatsanwaltschaft durch die City: "Dabei hatte er einen konzentrierten Gesichtsausdruck, zeitweise lachte er sogar."

Als ihn Polizisten in der Schmiedgasse stoppten, ließ sich R. widerstandslos festnehmen. Auf dem Beifahrersitz lag jenes Messer, mit dem er zuvor in der Grazbachgasse ein Ehepaar niedergestochen hatte.

Und R. selbst? Der Alkoholtest ergab null Promille, die toxikologische Untersuchung einen geringen Wert von Cannabis. "Verfolgt" habe er sich gefühlt, von "südosteuropäischen aussehenden Männern". Diese ihm nach "dem Leben trachtenden Verfolger" habe er am 20. Juni stellen wollen. Auch einen Schuss habe er gehört. Aber, so räumte R. ein, es könne sein, "dass er während seiner Fahrt Passanten versehentlich mit dem Fahrzeug erfasst habe".

Eine Psychologin billigte R. übrigens "überdurchschnittliche Intelligenz" mit einem IQ von 132 zu.

Kein Extremismus

Die Ermittler durchforsteten die Kontakte des 27-Jährigen ebenso penibel wie mögliche Verbindungen zur religiös motivierten extremistischen Szene. Die Daten von acht Mobiltelefonen, Twitter- und Facebook-Accounts ergaben nichts.

Nüchtern wieder der Abschlusssatz der Staatsanwaltschaft. "Rechtlich erfüllen die Handlungen die Verbrechen des dreifach vollendeten Mordes und in einer Vielzahl von Angriffen versuchten Mordes."

108-facher Mordversuch, genau gezählt.

Der Grazer Rechtsanwalt Gunther Ledolter (Kanzlei Rath und Partner)begleitet rund 50 Opfer der Amokfahrt durch das Verfahren.

KURIER: Wie geht es Ihren Mandanten so kurz vor dem Prozess?
Gunther Ledolter: Vielen geht’s jetzt gerade ganz schlecht. Bei den meisten lebt das Ganze komplett auf. Viele brauchen psychiatrische Hilfe, einige werden auch im Gericht vom Gewaltschutzzentrum begleitet.

Wie kann man die Betroffenen auf die Verhandlung vorbereiten?
Man erklärt, wie ein Verfahren abläuft. Dass es dabei auch die Möglichkeit gibt, nicht unbedingt mit dem Täter in einem Raum sein zu müssen. Vor den Aussagen einiger Mandaten werde ich diesen Antrag auch stellen. Er soll dann aus dem Saal gebracht werden. Und es ist auch wichtig, ihnen zu sagen, dass der Prozess eine Möglichkeit darstellt: die Möglichkeit, einen Schlussstrich zu ziehen.

Wollen die Opfer überhaupt noch über die Folgen der Amokfahrt reden?
Ganz ehrlich gesagt, würden sehr viele meiner Mandanten am liebsten überhaupt nicht an dem Prozess teilnehmen. Aber sie wollen dazu beitragen, die Geschworenen davon zu überzeugen, dass R. doch zurechnungsfähig war.

Laut zwei von drei Gutachtern gilt R. jedoch als unzurechnungsfähig. Wie gehen die Opfer damit um?
Dass das so sein soll, trifft auf völliges Unverständnis bei meinen Mandanten. Da geht es aber nicht um Kritik am Justizsystem an sich, sondern darum, dass Psychiater lange nach einer Tat darüber entscheiden.

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