Ausharren, bis der Arzt kommt

Ausharren, bis der Arzt kommt
Kaum sonst wo zeigen sich die Fehlentwicklungen des Systems so plastisch wie bei den Wartezeiten.

Wenn am 14. Dezember der Streik- und Aktionstag der Ärztekammer über die Bühne geht, wird auch die Ordination von Naghme Kamaleyan-Schmied in Wien-Floridsdorf geschlossen bleiben. "Ich bin überzeugt davon, dass vor allem meine älteren Patienten dafür Verständnis haben. Sie haben ja am besten mitbekommen, wie das Gesundheitssystem in den vergangenen Jahren verfallen ist", sagt die Allgemeinmedizinerin.

Dieser Verfall zeige sich anschaulich an den stetig steigenden Wartezeiten, die die Patienten auf sich nehmen müssten. "An starken Tagen müssen sie bei mir eineinhalb, zwei Stunden warten, bis sie drankommen", schildert die Medizinerin. Allein am vergangenen Donnerstag kamen 87 Patienten in ihre Praxis. "Das war aber kein starker Tag. Vor allem im Winter, zur Grippezeit, ist es eine Katastrophe."

Verschärfung

Vor allem in den vergangenen zwei Jahren habe sich die Situation verschärft: "Denn die Spitäler können die Patienten nicht mehr wie früher versorgen, weil die dortigen Ärzte selbst am Limit arbeiten." So komme es vor, dass Patienten nach ihrer Entlassung mit unvollständigen Verschreibungen oder Arztbriefen in ihre Ordination kommen würden. "Das macht dann die Bewilligung von Medikamenten oft sehr kompliziert und zeitraubend. Oft bin ich noch Stunden nach Ordinationsschluss mit dem Papierkram beschäftigt", sagt die Ärztin.

Das Problem Wartezeiten im Gesundheitssystem kennt man auch bei der Wiener Patientenanwaltschaft nur zu gut. Immer wieder rufen dort empörte Patienten direkt aus Spitalsambulanzen an, nachdem sie dort schon seit Stunden ausharren mussten. Hinzu kommen monatelange Wartezeiten auf planbare Operationen in den Spitälern oder auf Kontrolltermine bei Fachärzten. Letztere hat die Wiener Ärztekammer zuletzt 2013 erhoben (siehe Grafik), seitdem habe sich aber nichts geändert, betont man dort.

"Besonders große Sorgen machen uns die Wartezeiten bei der Strahlentherapie", sagt Patientenanwältin Sigrid Pilz. Erhebungen hätten ergeben, dass Patienten vor allem in Ostösterreich oft weit länger als die medizinisch zumutbaren drei Wochen warten müssten.

Generell gilt: "Vielen Patienten bleibt als Ausweg nur mehr die Zuflucht in der Privatmedizin", schildert Pilz. Sie kennt Fälle, wo Patienten für eine Operationen ihre letzten Ersparnisse zusammenkratzen, nur um schneller einen Termin zu bekommen. Im niedergelassenen Bereich weichen wiederum viele zu den Wahlärzten aus, deren Zahl in den vergangenen Jahren stetig anstieg. "Es braucht daher auch eine bessere Verrechnung der Leistungen, damit der Beruf des Kassenarztes attraktiv bleibt", sagt Pilz.

Während die Ärztekammer mit der geplanten Gesundheitsreform eine weitere Verschlechterung der Versorgung befürchtet (etwa wegen der Kostendämpfung) sieht Pilz aber gerade darin eine Chance. Vor allem in den Primärversorgungszentren mit großzügigen Öffnungszeiten, in denen unterschiedliche Gesundheits-Berufsgruppen mit den Ärzten zusammenarbeiten.

Kamaleyan-Schmied ist überaus skeptisch: "Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wird damit zerstört. Ihre persönliche, wohnortnahe Betreuung geht damit verloren."

Mit gemischten Gefühlen erwarten die direkt Betroffenen den bevorstehenden Ärztestreik: "Einerseits gebe ich den Ärzten recht", sagt Kamaleyans Patientin Rosemarie Vogler. "Die Patienten sind aber die Leidtragenden, wenn sie am Streiktag ins Spital ausweichen müssen."

Zahlen oder Schmerzen wochenlang ertragen? Wie sehr das Thema "Wartezeiten bei MRT- und CT-Untersuchungen" bewegt, haben zahllose Leser-Reaktionen nach einem KURIER-Bericht gezeigt. Patienten bekommen oft erst nach acht bis zehn Wochen einen Termin in einem Röntgeninstitut mit Kassenvertrag; jedoch die gleiche medizinische Leistung nach wenigen Tagen in einer ausgelagerten Ordination, wenn sie die Untersuchungskosten (je nach Region und Institut von 170 bis 495 Euro) als Privatpatienten selber begleichen. Das Gesundheitsministerium verlangt jetzt "substanzielle Verbesserungen".

Genauso wie vielen anderen ist es Brigitte Eichinger ergangen, die aufgrund von Kieferschmerzen eine Überweisung zu einem CT-Spezialisten bekam. Erst im März 2017 käme sie in einem Röntgeninstitut mit Kassenvertrag an die Reihe. Um 220 Euro – auf eigene Kosten – wäre schon ein Termin innerhalb einer Woche in einer privaten, ausgelagerten Praxis frei. "Es ist mehr als deutlich zu erkennen, dass Privatzahler bevorzugt behandelt werden", ist Eichinger empört.

Eindruck

Wer sich mit dem Vertragskonstrukt zwischen Hauptverband der Sozialversicherungsträger und den Röntgeninstituten näher beschäftigt, bekommt davon folgenden Eindruck: Die Institute akzeptieren einen niedrigen Kassentarif von 150 Euro pro Untersuchung und eine jährliche Honorar-Obergrenze, weil sie aufgrund des steigenden Bedarfs bei den Privatpatienten dazuverdienen. Im Gegenzug brauchen die Krankenkassen keine Zusatzausgaben fürchten, weil alle Privatpatienten – auf Basis des Paragrafen 131 ASVG – unterschreiben, dass sie keine Kosten zurückerstattet bekommen. Patientenanwalt Gerald Bachinger kritisiert "das bürokratische Problem".

Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) verlangt rasch Verbesserungen. Sonst müsse über eine gesetzliche Regelung nachgedacht werden, heißt es aus ihrem Büro.

Zahlreiche Ordinationen werden am 14. Dezember in Wien, Kärnten und dem Burgenland geschlossen bleiben. In den anderen Bundesländern werden die Ärzte ihre Patienten über die in ihren Augen inakzeptable Gesundheitsreform informieren. Sie wurde im Zuge des Finanzausgleichs beschlossen und soll ebenfalls am 14. Dezember den Nationalrat passieren. Ärztekammer-Vizepräsident Johannes Steinhart appellierte zuletzt an die Abgeordneten, nicht nach Parteidisziplin, sondern nach ihrem Gewissen zu entscheiden.

Im Zuge der von der Regierung geplanten Kostendämpfung würden um 4,3 Milliarden Euro weniger in das Gesundheitssystem fließen als notwendig, befürchtet Steinhart. Die vorgesehenen Primärversorgungszentren würden das bewährte System der wohnortnahen Versorgung durch Hausärzte aushebeln. Zudem bestehe die Gefahr, dass gewinnorientierte Großkonzerne solche Zentren übernehmen könnten. Dies sei das Ende der sozialen Medizin.

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