"728 Helden, bin nur einer davon"

Jacob Krammer, Notfallmediziner und Höhlenretter, war am Einsatz in der Riesending-Höhle beteiligt
Jacob Krammer über die spektakuläre Bergung von Johann Westhauser aus der Riesending-Höhle.

Das Bild eines Mannes, der mit geschlossenen Augen und gut eingepackt auf einer Trage liegt, um ihn herum ein gutes Dutzend Bergretter, ist im Juni um die Welt gegangen. 274 Stunden waren vergangen, als Johann Westhauser (52), der am 8. Juni in rund 1000 Metern Tiefe der Riesending-Höhle im Untersberg verunglückt war, wieder Tageslicht sah. 48 Stunden davon war Notfallmediziner Jacob Krammer an seiner Seite. Der KURIER hat mit dem Höhlenretter über die spektakuläre Rettungsaktion in Berchtesgaden, Bayern, gesprochen.

KURIER: Herr Krammer, 60 Stunden in der Höhle, 48 beim Patienten – welche Erinnerungen sind da hängen geblieben?

Jacob Krammer: Am besten wohl der vorletzte Tag der Bergung. Weil in der Höhle noch Sicherungsmaßnahmen nötig waren, haben wir acht Stunden in einem provisorischen Lager auf offener Strecke zubringen müssen. Da hatte ich Gelegenheit, Johann Westhauser besser kennenzulernen. Ich war beeindruckt von seiner Person, und dass er von sich aus so gute Stimmung verbreitet hat.

Da ging es ihm offenbar schon besser. Zu Beginn der Bergung hat es ja nicht besonders rosig ausgeschaut.

Er hatte eine schwere Kopfverletzung durch einen Steinschlag erlitten, aber sein Zustand hat sich täglich verbessert. Er hat eine perfekte Konstitution mitgebracht und seine positive Grundeinstellung hat ihm sicher auch geholfen, das zu überstehen.

Gab es einen Moment, in dem Sie dachten, die Aktion scheitert?

Ich bin am achten Tag in die Höhle gestiegen. Da konnte ich schon zuversichtlich sein, dass wir es schaffen. Die Variable war die Zeit – also wann wir es schaffen. Die Höhle ist mit ihren Klüften und Schächten bergetechnisch anspruchsvoll. Da war jeder Zentimeter, den man vorwärts kam, ein Kraftakt.

Was kann man als Arzt in einer dunklen, feuchten und engen Höhle überhaupt ausrichten?

Man muss mit minimalen Mitteln eine sinnvolle Therapie durchführen, also Medikamente verabreichen, auf den Flüssigkeitshaushalt und die Körpertemperatur achten, die Lagerung kontrollieren. Als Anästhesist bin ich es gewohnt, die volle Kontrolle über einen Patienten zu haben. Dort unten muss man Abstriche machen.

Hatten Sie Angst? Der Einsatz war ja nicht ungefährlich.

Nein, aber natürlich ist man angespannt, weil man nie weiß, was einen erwartet. Ich bin Notarzt mit Leib und Seele, darum war es eine konstruktive Freude an der Arbeit – trotz aller Entbehrungen.

Was haben Sie aus dem Einsatz persönlich mitgenommen?

Was gutes Teamwork bedeutet. Ich war ja nicht alleine der Held. Es 728 Einsatzkräfte beteiligt, davon 202 Höhlenretter, 42 aus Österreich. Von der Größe her war der Einsatz einzigartig, wir alle haben viel daraus gelernt. Im August war ich beim nächsten großen Einsatz in Abtenau (polnischer Forscher verunglückte im Tennengebirge, Anm.). Die Erfahrungen aus Berchtesgaden waren sehr nützlich.

Im August war das Wiedersehen von Johann Westhauser und seinen Rettern – gab es Umarmungen und klirrende Gläser, wie man sich das vorstellt?

Es war ein konstruktiver Abend, der einen freundschaftlichen Ausklang gefunden hat. Mit seinen Erfahrungen als Höhlenforscher hat er unsere Runde sehr bereichert. Es war schön, sich persönlich davon überzeugen zu können, dass er voll genesen ist, und natürlich haben wir darauf angestoßen.

Hat er gesagt, ob er wieder in eine Höhle gehen wird?

Das müsste man ihn selbst fragen. Im Geiste ist er ein Forscher, der sich sicher weiterhin aktiv einbringen wird.

Rettung aus der Riesending-Höhle

Der „Höhlenarzt“
Jacob Krammer, 41, ist Facharzt für Anästhesie im Salzburger Landeskrankenhaus. Seit 2006 ist er als Notarzt für die Flugrettung des ÖAMTC tätig. Während seines Medizinstudiums in Wien hat er 1997 seine Leidenschaft für Höhlen entdeckt, war als Forscher aktiv. Bevor er am 16. Juni 2014 – dem achten Tag der Bergung – in die Riesending-Höhle stieg, war er Reservist, heute ist er wieder aktives Mitglied der Höhlenrettung.

Die Bergung
Am 8. Juni 2014 wurde der deutsche Höhlenforscher Johann Westhauser im Untersberg von einem Felsbrocken am Kopf getroffen. Die Bergung aus 1000 Metern Tiefe dauerte elf Tage, 728 Helfer, davon 202 Höhlenretter, aus fünf Nationen waren beteiligt.

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