Wirtschaftsexperte: "Wir werden turbulente Jahre erleben"

Teodoro Cocca, Ökonom an der Linzer Kepler Universität
Der Staat wird es sich nicht leisten können, alle und jeden durch die Krise zu tragen, sagt Teodoro Cocca, Finanz- und Wirtschaftswissenschafter der Kepler Universität.

Teodoro D. Cocca (47) ist Schweizer Wirtschaftswissenschafter, Professor für Asset Management und Mitglied des Forschungsinstitutes für Bankwesen an der Linzer Johannes Kepler Universität.

KURIER: Sie vertreten die Meinung, dass die Tiefe und Folgekosten der Krise davon abhängen, wie schnell es gelingt, die Wirtschaft wieder hochzufahren. Dauert der Shutdown schon zu lange?

Teodoro Cocca: Wenn man sich für den Shutdown entscheidet, worüber man auch diskutieren kann, dann hat man in Österreich den vernünftigsten Weg gesucht, ihn so kurz

wie möglich umzusetzen. Wenn das Hochfahren der Wirtschaft so weiterbetrieben wird, dann entspricht das im Runter- und im Rauffahren einer vernünftigen Strategie. Ich würde dafür plädieren, dass nun alle Teile der Wirtschaft aus dem Lockdown rausgenommen werden. Es ist inzwischen allen die Gefahr der Virus-Ansteckung bekannt, die Vorsichtsmaßnahmen werden eingehalten. Es spricht sehr viel dafür, die Wirtschaft mutigen Schrittes wieder hochzufahren.

Wenn man die Wirtschaft weiter im Ruhezustand bewahren würde, wären die Kosten massiv. Sie wären auch irgendwann von der Republik Österreich nicht mehr bewältigbar. Sie würden Ansteckungsgefahr implizieren, nicht im gesundheitlichen, sondern im ökonomischen Sinn, woraus sich hohe Risiken ergeben könnten, weil die Kosten irgendwann exponentiell steigen.

Sie warnen vor einer Bankenkrise. Die Banken betonen, sie seien gut aufgestellt, weil sie das Eigenkapital nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/’09 deutlich erhöht hätten.

Das Problem ist und bleibt Italien. Es ist der gefährlichste Dominostein in der Eurozone, wo eine Bankenkrise beginnen könnte. Sie hätte natürlich in der gesamten Eurozone Auswirkungen. Es ist für mich relativ klar, dass in Italien eine Bankenkrise wahrscheinlich ist. Die italienische Wirtschaft wird von der Corona-Krise am härtesten getroffen. Der Umstand, dass Italien in der Eurozone den größten Schuldenberg hat und die Wirtschaft wenig wettbewerbsfähig ist, macht es wahrscheinlich, dass eine Pleitewelle über das Land ziehen wird. Pleitewellen bedeuten, dass Bankkredite nicht zurückgezahlt werden. Italienische Banken haben in den letzten Jahren nicht genügend Vorkehrungen betrieben, um große Verluste tragen zu können.

Wenn es zu einer solchen Bankenkrise käme, würde sich natürlich die Frage der Stabilität des Euro stellen. Die Diskussionen um die Corona-Bonds zeigen, dass vielen Entscheidungsträgern in der Eurozone dieses Risiko bewusst ist.

Wird dieses Paket, auf das sich die Finanzminister geeinigt haben, tatsächlich reichen?

Es wird nicht reichen. Das ist ein erster Schritt. Aber diese Krise ist so massiv und so historisch außergewöhnlich, dass noch größere Rettungs- und Stützungsprogramme notwendig sein werden. Die Frage ist vielmehr, unter wie strengen Bedingungen man den Ländern hilft, die in solche Schwierigkeiten geraten sind.

Sie schätzen die Folgekosten der Krise, die von der jungen Generation zu tragen sind, hoch ein.

Irgendjemand muss es zahlen. Entweder zahlt es diese Generation in irgendeiner Form, aber dafür ist der Schuldenberg wahrscheinlich einfach zu groß, dass das schnell stattfinden wird. Je länger es dauert, umso stärker wird es auf die kommende Generation geschoben. Staatliche Schuldenberge tendieren dazu, nie kleiner zu werden, es ist meist nur die Frage, wie schnell sie größer werden. Aber sie sind eine Belastung für die kommende Generation, denn sie müssen mehr Zinsen zahlen und zumindest einen Teil zurückzahlen. Zinsen werden nicht ewig tief bleiben und Schulden sind ein Verschieben der Last in die Zukunft.

Wie werden die Schulden abgebaut? Eine mögliche Variante wäre die Inflationierung.

Das wäre ein Weg, verursacht aber immense Kosten. Eine Hyperinflation wäre extrem schädlich für das Wachstum. Auch der Staat hätte dann eine enorm höhere Zinslast. Er hätte dann noch weniger Geld für Sozialausgaben zur Verfügung. Die Erfahrung lehrt, dass die für

die Weginflationierung der zukünftigen gigantischen Schuldenberge notwendige Inflationsrate leicht außer Kontrolle geraten kann. Damit würde dann definitiv eine ganze Generation an Wohlstand verlieren.

Für welchen Lösungsweg würden Sie plädieren?

Ich plädiere dafür, jetzt nicht zu viele Schulden zu machen. Man sollte maßvoll damit umgehen, wer mit welchen Beträgen zu retten ist. Es sollte weder das Gießkannenprinzip angewendet noch der Eindruck erweckt werden, dass man jedem helfen und jeden stützen wird, wie das die Regierung macht. Das wird nicht funktionieren. All’ die Rettungsmaßnahmen sind sehr gut gemeint, aber man muss aufpassen, dass sie nicht missbraucht werden und dass man mit den Geldern haushälterisch umgeht. Und im Auge behält, wie viel man sich wirklich leisten kann, damit man die Schulden zurückzahlen kann.

In der momentanen Stimmung versucht man mit unvorstellbar hohen Summen alles abzufedern. Das wird vermutlich nicht funktionieren. Wir werden wahrscheinlich lernen müssen mit einer kriselnden Wirtschaft und höherer Arbeitslosigkeit zu leben. Das sind die Folgekosten dieser Krise. Wir werden uns nicht leisten können, jeden und alle durch einen höheren Schuldenberg durch die Krise zu bringen.

Das Vernünftigste ist vermutlich, die Wirtschaft möglichst schnell wieder hochzufahren und zur Normalität zurückzukehren.

Das ist genau meine Antwort. Jede andere Alternative bringt so viele Unwägbarkeiten mit sich, bei denen man nicht weiß, was sie am Ende bringen können.

In der Abwägung Gesundheit versus dem Ökonomischen meine ich, dass es für die Menschen von Vorteil ist, wenn man die Wirtschaft jetzt hochfährt.

Die Börsen sind bis zu 50 Prozent abgestürzt und haben sich nun zur Hälfte wieder erholt. Eine Bärenmarktrallye?

Das ist jetzt ein Aufatmen, da die Lockdown-Perioden nicht so lange dauern werden, wie man das zu Beginn fürchtete. Zudem haben sich die anfänglichen Schreckens-Prognosen der Virologen nicht bewahrheitet. Die Börse korrigiert jetzt die anfänglich extrem negative Erwartung. Man muss aber aufpassen. In anderen Krisen hat es bis zu zwei Jahre gedauert, bis man den Tiefpunkt erreichte. Auch in diesem Fall wird es ein Auf und Ab sein. Auf das, was noch folgen wird, wird die Börse noch reagieren. Ich glaube, das war es noch nicht.

Die Experten sprechen von einer Erholung in Form eines V, eines U oder eines L. Was meinen Sie?

Ich gehe von einem W aus. Wenn die Wirtschaft wieder anspringt, wird es wieder positive Wachstumsraten geben. Aber in Summe werden jetzt Jahre kommen, in denen wir sehr ungewisse Wirtschaftsaussichten haben werden. Da wird es wieder Schwächephasen geben, das befürchte ich schon.

Wie lange werden sich die Folgen der Krise hinziehen?

Es gibt vor allem soziale Themen. Wie reagieren die Menschen? Was wird das für die politischen Strömungen und für die Wahlen bedeuten? Die Politik wird wiederum die Wirtschaftspolitik beeinflussen. Es ist schwer zu sagen, welche Umwälzungen auf uns zukommen. Wir werden sowohl politisch als auch ökonomisch turbulente Jahre erleben.

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