„Wir essen uns zu Tode“

„Wir essen uns zu Tode“
Übergewicht und Blutzucker nehmen massiv zu. Die Folge: Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die Sterblichkeit steigen.

Die Zahlen der Statistik Austria über die Todesursachen im Jahr 2011 belegen es: Die Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind noch immer die häufigste Todesursache. Ein Gespräch mit Dr. Herbert Hackl. Der 55-Jährige ist Facharzt für Innere Medizin in Attnang-Puchheim und Obmann dieser Fachgruppe in der Ärztekammer.

KURIER: Nach wie vor sterben mehr als 40 Prozent an Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Herbert Hackl: In den vergangenen 30 Jahren ist schon ein Rückgang der Sterblichkeitsrate infolge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen  um 24 bis 28 Prozent  feststellbar. Die Behandlungen sind besser geworden, das heißt, die Leute überleben heute  leichter einen Herzinfarkt. Aber sie bleiben herzkrank, das Problem verschiebt sich nur nach hinten. Hingegen hat die Mortalität bei den Karzinomen (Krebs, Anm.) zugenommen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass man heute einen Herzinfarkt überlebt, ist wesentlich höher?

Vor 20, 30 Jahren hatten wir im Krankenhaus eine Mortalität von mehr als 20 Prozent. Heute liegt sie bei vier Prozent. Das liegt an den besseren Therapien. Wir haben mehr Überlebende, aber auch mehr Betroffene.

Die  Überlebenschancen sind höher, aber das Verhalten der Menschen hat  sich nicht verändert.

Das ist das Problem. Die Grunderkrankung der meisten Erkrankungen ist die Arteriosklerose.

Es geht hier um Ablagerungen in den Arterien, die den Blutfluss verengen?

Es geht  nicht nur darum, dass  Cholesterin abgelagert wird und es zu einer Verengung kommt,  sondern es kommt auch zur Entzündung der Gefäße und zu Abszessen, die dann nach innen aufbrechen. Es kommt an der Bruchstelle zu einem Gerinnsel, das  das Gefäß verschließt. Das ist der akute Gefäßverschluss. Wenn das ein Versorgungsgefäß des Herzens verschließt, nimmt der Herzmuskel Schaden.
Die Arteriosklerose kann sich auch im Gehirn manifestieren, dann kommt es zum Schlaganfall. Es kann aber auch zu Verschlüssen in den Beinen kommen, dann haben wir das berühmte Raucherbein.

Diese Ablagerungen in den Arterien entstehen durch die Lebensweise der Menschen. Ununterbrochen gibt es Kampagnen, sich gesünder zu ernähren, weniger Fleisch und mehr Obst und Gemüse zu essen, nicht zu rauchen, sich  zu bewegen etc. Diese zeigen offensichtlich wenig Wirkung.

Ich will das nicht zu pessimistisch sehen.  Die Sterblichkeitsrate bei Herzinfarkten ist einerseits durch die bessere Behandlung, andererseits  auch durch die bessere Prävention gesunken. Die klassischen Risikofaktoren sind das Rauchen, Bluthochdruck, Cholesterin und der Blutzucker (Diabetes).
Es sind klassische Wohlstandserkrankungen. Der klassische Diabetiker ist meist übergewichtig, er bewegt sich zu wenig. Von den Laien wird gerne der Stress angeführt.  Chronisch erhöhter Stress bewirkt natürlich auch Arteriosklerose. Depression ist auch eine chronische Stresssituation. Aber Stress wirkt nicht so stark wie die anderen Risikofaktoren.
Zwei klassische Risikofaktoren kann man nicht beeinflussen. Das ist die genetische Disposition und das Alter. Je älter man wird, umso größer ist das Risiko.

Was kann man dagegen  tun?

Der Lebensstil ist die effizienteste Maßnahme. Das Wichtigste ist eine ausgewogene, vernünftige Ernährung. Reduktion von tierischen Fetten, eine ausgewogene Kost mit viel Gemüse und Obst und ausreichende körperliche Aktivität. Es ist sogar so, dass der übergewichtige fitte Mensch  besser dran ist als der normalgewichtige, nicht fitte.  All` die Vitaminpillen bringen  nichts. Das belegen die Studien. Rauchen ist ein Problem.
Der gesunde Lebensstil wird tagtäglich propagiert, aber mit wenig Auswirkung.
Die Änderung des Lebensstil ist offensichtlich das Schwierigste. Das sehe ich in meiner täglichen Praxis. Meist scheitert es an der körperlichen Aktivität.

Warum?

Wenn jemand den ganzen Tag arbeitet und  abends erschöpft nach Hause kommt, ist es nicht einfach, sich aufzuraffen und sich noch auf das Rad zu schwingen. Bei manchen ist es so, das sie schon so übergewichtig sind, dass sie kaum noch aktiv werden.
Oft wird das Problem nicht erkannt. Manche meinen, Diabetes zu haben ist so wie wenn man ein Bäucherl hat. Diabetes und Herzinfarkt sind sozial akzeptierte Prognosen. Krebs oder HIV lösen hingegen einen Schock aus. Das hat vielleicht auch mit der Angst vor sozialer Isolation und vor dem gesellschaftlichen Ausschluss zu tun. Denn wenn man so eine Krankheit hat, ist man  mit einem Ablaufdatum versehen.

Es gab viele Anti-Raucher-Kampagnen, viele Junge greifen dennoch zum Glimmstängel.

Es gibt hier eine interessante EU-weite Studie, die Patienten  nach Herzinfarkten untersucht hat. Sie ergab, dass die Patienten ihr Verhalten nicht geändert haben. Die Raucher haben beispielsweise weiter geraucht. Der einzige Bereich, wo sich wirklich etwas zum Positiven verändert hat, ist das Cholesterin. Das ist aber auch nicht durch eine Änderung des Lebensstils passiert, sondern eine Folge der Einnahme von Medikamenten. Das ist ein Grund, warum die Mortalität abgenommen hat.
Diabetes ist ein Riesenproblem. Er ist extrem im Vormarsch. In Österreich liegt der Prozentsatz bereits bei elf Prozent. Und 55 Prozent der Diabetiker haben bereits eine koronare Herz-erkrankung.

Hat Diabetes mit dem Verzehr industriell gefertigter Nahrung zu tun?

Auch, aber es sind sicher mehrere Faktoren. Das Hauptproblem ist das Übergewicht. Die falsche Ernährung, der Bewegungsmangel, der schlechte Lebensstil. Wenn die Patienten bei mir in der Ordination sind, versichern sie mir, dass sie sich beim Essen halten und wenn ich sie dann im Supermarkt treffe, dann wundere ich mich, was sie alles einkaufen. Das Übergewicht hat in der Bevölkerung von 25 auf 38 Prozent massiv zugenommen. Das wird dazu führen, dass die Sterblichkeit wieder steigen wird. Das Zusammenwirken von Übergewicht, Diabetes, Fettstoffwechselstörung   und Bluthochdruck ist   gefährlich.

Leben die Leute heute gesünder als früher?

Es hat mit sozialem Status und Bildung zu tun. Schlechter gestellte Menschen haben häufiger Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Höher Gestellte leben gesünder. Es gibt auch ein Ost-West-Gefälle. Die östlichen Bundesländer haben eine höhere Mortalität als die westlichen.

Nahrungsmittel: „Sie sind zu billig“

„Wir essen uns zu Tode“

Vor 50 Jahren gaben die Menschen 40 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Heute sind es  zehn Prozent.  „Es ist ein gesellschaftliches Problem, dass  Lebensmittel  nicht teuer sein dürfen. Wir  geben zu wenig für Nahrungsmittel aus.

Dabei sind sie sind essenziell  und wertvoll.   Die meisten Leute auf der Welt sterben an Hunger, wir sterben an Überernährung. Wir essen uns zu Tode, weil es nichts mehr kostet.

Man kann heute mit wenig Geld vernünftig einkaufen. Man muss nicht den Bio-Apfel kaufen, man sollte den Apfel kaufen. Das Problem ist, dass viele nicht den Apfel kaufen, sondern Chips."

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