Warteschleife in ein neues Leben

Warteschleife in ein neues Leben
Verfolgt, attackiert oder sogar fast getötet: In der Innviertler Gemeinde Reichersberg hoffen 26 Asylwerber auf eine sichere Zukunft.

Acht Tage und Nächte verbrachte  Familie Z. versteckt in der stickigen Dunkelheit eines Lkw-Laders, weitere zwölf Tage eingeschlossen in einer türkischen Lagerhalle. 40.000 US-Dollar mussten die Iraner  einer Schlepperbande für die Flucht von vier Personen nach Österreich  bezahlen. Heute sitzen sie nur zu dritt in einem Doppelzimmer der alten Pension Hildegard in Reichersberg.
Die Tochter von Gholam Z. wurde kurz vor der Abfahrt  aus dem Iran erschossen, weil die Familie in dem streng islamischen Land zum Christentum konvertiert ist. Wegen ihrer Religion oder Meinung verfolgt zu werden – dieses Schicksal sollen im Asylwerberheim der Caritas 25 Menschen teilen, die ihrer Heimat für ein neues, sicheres Leben den Rücken gekehrt haben.

Neubeginn

Warteschleife in ein neues Leben

In seinem alten Leben war Oraz N. ein Fußball-Star, spielte im Nationalteam von Tadschikistan und als Legionär in der 2. Deutschen Bundesliga. Weil sich seine Frau Dilorom als politische Funktionärin für Demokratie in ihrer Heimat eingesetzt hat, soll sie auf offener Straße zusammengeschlagen und laufend bedroht worden sein. Der 42-Jährige hat all seinen Besitz verkauft, um sich die Flucht leisten zu können. Aufatmen könne er erst, wenn er den positiven Asylbescheid in der Hand halte, sagt er. Diese Unsicherheit und die Angst um seine Eltern, die er zurücklassen musste, bestimmen den Alltag.

Vergangene Woche wurde der 26. Bewohner des Reichersberger Asylheims geboren. Zabi F. findet Trost in der Geburt seines Sohnes. Der Mann soll  in Afghanistan drei Mal  mit Messern attackiert worden sein, weil er Propaganda gegen die Taliban verbreitet hat.  Auch der junge Vater Safiqullah H. fiebert der Geburt seines zweiten Kindes entgegen. Er kam erst vor wenigen Tagen ins Innviertel. Bei der Flucht aus Afghanistan wurde er vorübergehend von seiner hochschwangeren Frau und dem zweijährigen Sohn getrennt. Nun ist die Familie wieder vereint. 

Zeitfaktor

„Zeit ist ein wesentlicher Faktor. Enge und Beschäftigungslosigkeit nagen am Nervenkostüm der Asylwerber“, weiß Sozialarbeiter Michael Felder.
In den elf Doppelzimmern der ehemaligen Frühstückspension leben seit Anfang Juni vier Familien und einige alleinstehende Männer. 150 Euro Taschengeld bekommt ein Asylwerber pro Monat vom Land Oberösterreich. Das reiche gerade für das Nötigste. Obwohl einige Reichersberger massiv gegen das Heim mobil gemacht haben und bis heute kritisch bleiben, gebe es Zeichen von Nächstenliebe, so Felder.  

Spenden wie Spielzeug, Bekleidung und sogar ein Wuzler-Tisch bringen etwas Farbe in den Alltag der Menschen, die in der Warteschleife ihres Asylverfahrens auf Nadeln sitzen.
Seine Arbeit habe Sozialarbeiter Felder – selbst Vater zweier kleiner Kinder – nachdenklich gemacht: „Sicherheit und Freiheit sind absolut keine Selbstverständlichkeit. Das vergisst man als Österreicher gerne einmal.“

Reichersberger Gemeinderat lehnt Caritas-Heim erneut ab

Nur wenige Wochen nach Inbetriebnahme des Asylwerberheims in Reichersberg will der Gemeinderat das Haus per Beschluss wieder zusperren lassen. Bürgermeister Bernhard Öttl (VP) wurde wegen Befangenheit von der Abstimmung ausgeschlossen. „Es liegt jetzt an der Rieder Bezirkshauptmannschaft, den Bescheid zu exekutieren. Wir müssen abwarten“, sagt er. Die Proteste in der Innviertler Gemeinde schlugen im Frühling medial große Wellen. In einer Unterschriftenaktion und auf einer Facebook-Seite äußerten Anrainer rund um die ehemalige Pension Hildegard offen ihre Ablehnung gegen das Projekt der Caritas. Im April wurden die Rufe aus der Bevölkerung erhört: Der Gemeinderat entschied gegen das Heim. Die Begründung: Das Wohngebiet sei für einen derartigen Zweck nicht ausgewiesen. Der Betrieb sei rechtswidrig.

Grundbesitzer Helmut Antesberger legte Berufung ein, woraufhin das Land den Beschluss aufhob. Das Caritas-Heim öffnete nach Pfingsten. Gegen den Vermieter soll ein Nachbar ein Verfahren wegen Wertminderung seines Grundstücks eingeleitet haben.
Die Gemeinde besteht weiterhin auf ihrer Rechtsmeinung und betont, dass persönliche Vorbehalte in der Debatte keine Rolle spielen sollen. „Es geht hier nur um eine unsachgemäße Nutzung des Grunds“, so Bürgermeister Öttl.
Um die einst so lautstarke Volksseele ist es still geworden. Weder direkte Nachbarn wie Evelyn Höckner noch Andrea Henzl von der Bürgerinitiative wollen sich gegenüber dem KURIER äußern. Vizebürgermeister Alois Schönberger (VP) verweist bei Anfragen zum Gemeinderatsbeschluss auf den Anwalt.
Nur Helmut und Corona Wiesbauer, Zaun-Nachbarn der Asylwerber,  bringen die Stimmung auf den Punkt: „Es gibt einige, die noch immer keine Freude damit haben und andere, denen es egal ist. Wir helfen, soweit unsere Hilfe gebraucht wird. Das ist gar keine Frage.“

Zahlen

Im Mai 2012 haben bundesweit 1348 Personen einen Antrag auf Asyl gestellt. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl um 35 Prozent. Insgesamt laufen derzeit rund 20.000 Asylverfahren. Knapp 2300 Personen sind in der Grundversorgung des Landes Oberösterreich.
„Nicht jeder, der nach Österreich kommt, muss finanziell vom Land unterstützt werden. Viele werden privat bei der Familie oder Freunden versorgt“, erklärt Franz Wall von der Sozialabteilung.
2020 Plätze gibt es in oö. Heimen der Caritas, Volkshilfe und von SOS Mitmensch für die Dauer des Asylverfahrens.

Diese seien in den vergangenen Jahren deutlich schneller abgeschlossen worden. Bei Ländern wie Syrien, Afghanistan und dem Iran sei der Fall relativ klar, sagt Wall.
Anträge aus Syrien wurden laut Bundesstatistik bisher zu 80 Prozent angenommen. Bei Staatsangehörige des Kosovo und Armeniens enden hingegen nur ein bzw. sieben Prozent der Verfahren positiv.
Bis zum Stichtag 31. Mai 2012 wurden bundesweit 4185 Anträge rechtskräftig abgelehnt und 1405 angenommen – zwei Drittel davon in erster Instanz.

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